Quickie:Zeitunglesen in fünf Minuten

Lesezeit: 3 min

Über die Versuche amerikanischer Verlage, junge Leser zu finden.

Viola Schenz

Fünf Minuten. Was kann man morgens in fünf Minuten alles tun?

Die Spülmaschine ausräumen, sich die Zähne putzen, noch mal ins Bett kriechen? - Den kompletten Inhalt einer Tageszeitung lesen, glauben die Macher des Miami Herald und basteln seit einem Jahr ein Produkt, das sie 5 Minute Herald nennen: eine Kompakt-Version, die auf einer Doppelseite im Mutterblatt die wichtigsten Nachrichten bringt. Diesem Modell folgt mittlerweile auch die Berliner Zeitung.

Zur Zielgruppe des 5 Minute Herald wurden die 18- bis 34-Jährigen erkoren. Diese in die Jahre gekommene MTV-Generation verweigert sich immer mehr der Zeitungslektüre - und ist andererseits so wichtig für die Anzeigenkunden.

Nach einer Studie des Northwestern Management Center der Northwestern Universität in Chicago lesen 40 Prozent der jungen Amerikaner keine Tageszeitung, verglichen mit 28 Prozent der über 45-Jährigen. Und die 60 Prozent, die (noch) Zeitungen lesen, widmen ihnen weit weniger Zeit als die ältere Generation.

Besser an sich selbst Anzeigen verlieren...

Die "young adults" holen sich Nachrichten aus dem Fernsehen oder dem Internet - wenn überhaupt. Gegen diese Angebote versucht der Miami Herald mit seiner Doppelseite zu bestehen.

Das neue Format soll Leute ansprechen, die "es gewohnt sind, viele Optionen im Leben zu haben", erklärt Verleger Alberto Ibargruen.

Wer das Blatt dann erst mal aufgeschlagen hat, blättert ja vielleicht weiter, findet Gefallen oder - wer weiß? - tritt gar der Abonnenten-Gemeinde bei.

Das setzt voraus, dass der Herald bereits die wichtigste Hürde genommen hat: die Türschwelle zur Wohnung des Lesers.

Vor dieser Hürde haben andere Zeitungshäuser bereits kapituliert. Sie versuchen es gar nicht erst mit Sonderseiten im Mutterblatt.

Statt dessen gibt The Cincinnati Enquirer neuerdings eine Wochenzeitung für junge Leser heraus. CiN Weekly verspricht griffige Antworten auf die Fragen: "Wohin weggehen ...Was kochen ... Wie gesund bleiben ... Wie mit dem Leben an sich fertig werden."

Die Tribune Company in Chicago ( Chicago Tribune, Los Angeles Times) druckt seit einigen Wochen tägliche Jung-Ausgaben namens amNew York und, in Chicago, RedEye.

Der Tribune-Konkurrent The Chicago Sun-Times wiederum parierte den neuen Quickie eiligst mit der Gründung von Red Streak. Junge Washingtoner können derweil Express lesen, in Boston, Philadelphia und Toronto stampfte das Verlagshaus Metro International Pendants aus dem Boden.

Die meisten werden marktschreierisch kostenlos oder für ein paar Cent in Bars, an der Uni oder an Metrostationen verhökert. Im Falle der Dallas Morning News stellte sich Verleger Jim Moroney persönlich auf die Straße, um sein neues Baby Quick an Passanten zu verteilen - und gegen A.M. Journal Express zu verteidigen.

Es besteht nämlich Verwechslungsgefahr, das Konzept ist immer gleich: kurze Texte, große Schlagzeilen, viele Fotos, Charts, Grafiken, Info-Kästen ("Smart Boxes", wie sie in der Quick-Sprache heißen) und zwischen alldem viel Luft, der Übersicht wegen.

...als an die Konkurrenz

Stets hält man also ein Boulevard-Magazin auf Zeitungspapier in Händen. "Blätter, die sich während einer Aufzugfahrt überfliegen lassen", lästert die New York Times. "Je dicker eine Zeitung, desto geringer die Chance, dass sie gelesen wird", kontert Russel Pergament, Chef von amNewYork. "Wir bringen alles, was eine Tageszeitung bringt, nur kürzer und kondensiert. Die Leute wollen heutzutage eine seriöse Presse, keine autobiographischen Traktate eitler Autoren mit vorgefasster Meinung."

Andere wittern ernste Gefahr. Richard Karpel, der Vorsitzende des Verbands Alternativer Wochenzeitungen, prophezeit den "Ausverkauf der Zeitungen". Er vertritt Blätter wie Village Voice, die, in den 60er und 70er Jahren gegründet, gerne ihre kritische Haltung betonen und sich als Sprachrohr der Jugend sehen.

Die hat im Fall von Village Voice und Co. aber inzwischen Grübelfalten und Lesebrillen - den Verband plagen ebenfalls Lesernachwuchssorgen.

Für die Macher der neuen Produkte zählen nicht Meinungen anderer, sondern Auflagen, Anzeigen, Umsätze. Das finanzielle Risiko ist begrenzt. Die Texte kommen vom Mutterblatt und von Agenturen, man braucht kaum eigene Redakteure.

Für eine Bilanz ist es bei den meisten noch zu früh. RedEye (Auflage: 90.000 Stück) konnte nach eigenen Angaben 250 neue Anzeigenkunden gewinnen.

Hinzu kommen 300, die auch im Mutterblatt inserieren. Da droht Kannibalismus, wenn Kunden zu Tochterblättern und deren günstigeren Anzeigenpreisen wechseln. Doch überwiegt die Ansicht: Wenn wir sie uns nicht selbst wegschnappen, macht es die Konkurrenz.

5 Minute Herald verbucht ebenfalls neue Anzeigenkunden, etwa das Bascom Palmer Institut, das sich auf Laseroperationen am Auge spezialisiert hat.

Seit das Institut jeden Mittwoch inseriert, sagt eine Sprecherin, sei die Nachfrage nach Operationen um 15 Prozent gestiegen. Wer eine Tageszeitung in fünf Minuten lesen soll, braucht eben besonders scharfe Augen.

© SZ vom 20.09.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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