Prozesse:Kreative Darstellung

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Er habe "teilweise den Überblick und die Kontrolle über das Unternehmen verloren", so Niels Stolberg (Mitte). (Foto: Ingo Wagner/dpa)

Einst war Niels Stolberg Deutschlands Vorzeigereeder, inzwischen steht er vor Gericht. Erstmals äußert er sich nun zu den Betrugsvorwürfen.

Von Angelika Slavik, Bremen

Kurz nach neun Uhr morgens steigt Niels Stolberg aus dem Taxi. Noch 27 Minuten bis zum wichtigsten Auftritt seines Lebens. Stolberg rückt seinen Mantel zurecht. Er tut es mit fast schon beeindruckender Langsamkeit. Seine Anwälte wippen hinter dem Wagen ungeduldig auf den Zehenspitzen. Dann geht es endlich los.

Niels Stolberg, 55, muss sich seit einer Woche vor dem Bremer Landgericht verantworten. Die Liste der Vorwürfe, die die Staatsanwaltschaft ihm macht, ist heftig: Untreue, Bilanzfälschung, Kreditbetrug. Bislang hat Stolberg sich dazu nicht umfassend öffentlich geäußert. An diesem Mittwoch soll sich das ändern.

Es ist 9.30 Uhr. Stolberg steht auf dem Platz des Hauptangeklagten, eingerahmt von seinen beiden Rechtsvertretern. Vor ihm haben sich Kameraleute und Fotografen aufgebaut. Stolberg richtet den Blick zum Fenster. Üblicherweise bittet der Richter bei so einem Verfahren nach wenigen Minuten die Bildberichterstatter aus dem Saal. Heute aber ist die Richterin noch nicht da, die Objektive bleiben also auf Stolberg gerichtet. Stolberg bleibt stehen und starrt mit unbewegter Miene zum Fenster. In den Scheiben ist Milchglas.

Stolberg ist ein Mann, der weiß, wie es sich anfühlt, ganz oben zu sein. 1995 gründet er mit einem Geschäftspartner die Reederei Beluga Shipping, die sich auf Schwertransporte auf See spezialisiert. Das Geschäft läuft gut, das Unternehmen wächst rasant. Beluga eröffnet Dependancen in Brasilien, in China und in den Niederlanden. 2004 ist die Reederei Weltmarktführer im Schwertransport. Für den Gründer Stolberg bringt der wirtschaftliche Aufstieg auch viel gesellschaftliche Anerkennung: Er wird mit Titeln geschmückt wie "Entrepreneur des Jahres" oder "Mutmacher der Nation". Stolberg ist zudem eloquent, charmant, sozial engagiert. Was aber ist dann passiert?

Die Richterin ist jetzt endlich da, mit 23 Minuten Verspätung hat Stolberg nun endlich das Wort. Er soll jetzt erklären, wie das Imperium, das er selbst aufgebaut hat, in die Pleite stürzen konnte. Ob er selbst der Grund dafür ist. Weil zutrifft, was die Staatsanwälte ihm vorwerfen?

"Der Vorwurf der unrichtigen Darstellung der Bilanz 2009 ist zutreffend", sagt Stolberg. Das wolle er gleich zu Beginn einmal klarstellen. Zudem trage ausschließlich er die Verantwortung für die Geschehnisse, die drei Mitangeklagten hätten nur auf seine Anweisung hin gehandelt. "Ich war der Kapitän auf der Brücke", sagt Stolberg. Vieles, das ihm angelastet werde, treffe aber nicht zu. Er habe sich niemals selbst bereichert, im Gegenteil: Alle Finanztricks, die er angewandt habe, hätten ausschließlich zum Ziel gehabt, das Unternehmen und die Jobs der Angestellten zu retten. Die Firma sei nach der Finanzkrise 2008 in eine schwierige Lage geraten, deren Dimension er nicht richtig eingeschätzt habe. Immer sei es "15 Jahre stets bergauf gegangen", sagt Stolberg. Er habe ganz selbstverständlich gedacht, dass es diesmal wieder so laufen werde. "Dass ich ab 2009 teilweise den Überblick und die Kontrolle über das Unternehmen verloren habe, kann ich nicht bestreiten." Die Finanzierung von Schiffsneubauten sei immer schwieriger geworden, deshalb habe er ein Modell entwickelt, um das verwendete Eigenkapital möglichst schnell wieder liquide zu haben. Das Modell betrachtet die Staatsanwaltschaft heute als Kreditbetrug. "Kreative Eigenkapitaldarstellung", sagt Stolberg, sei in der Branche üblich gewesen. Die finanzierenden Banken hätten, obwohl mit ausreichend Branchenwissen ausgestattet, niemals kritische Fragen über sein Finanzierungskonstrukt gestellt. Zudem hätten die Institute bei seinen Schiffskrediten "ausgezeichnet verdient".

Ähnlich argumentiert Stolberg in Hinblick auf den Vorwurf, er habe den Finanzinvestor Oaktree mit falschen Unterlagen getäuscht und so zu einem Investment in die Beluga-Reederei angestiftet. Dass er Umsätze und Aufträge gefälscht habe, bestreitet Stolberg nicht. Allerdings sei es für ihn "nicht nachvollziehbar", dass "die vielen teuren Anwälte von Oaktree" nicht stutzig geworden sein sollen beim Blick auf die Liste der vermeintlichen Auftraggeber: "Drei Firmen aus Panama, alle an der gleichen Adresse, das muss doch aufgefallen sein." Er halte es daher für denkbar, dass Oaktree den Betrug bemerkt und von Anfang an geplant habe, mit Hilfe dieses Druckmittels die Macht bei Beluga zu übernehmen, sagt Stolberg. Ob das die Richterin milde stimmen wird?

"Mein Ruf ist vollständig zerstört", sagt Stolberg noch. Aber dieser Strafprozess werde ein Abschluss sein für sein altes Leben. Irgendwann werde es ein zweites Kapitel für ihn geben. Das Urteil wird im Oktober erwartet.

© SZ vom 28.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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