Der frühere deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck hat mal über Heringe gesagt, die Leute würden diesen Fisch weitaus mehr schätzen, wenn er "so teuer wäre wie Kaviar" - deshalb ist der Bismarckhering nach ihm benannt.
Die Litfaßsäule verdankt ihren Namen dem Kaufmann Ernst Litfaß. Der Begriff Beckmesserei ist auf Sixtus Beckmesser zurückzuführen, den furchtbaren Pedanten aus der Wagner-Oper "Die Meistersinger von Nürnberg", und die bescheidene Riester-Rente heißt so nach dem bescheidenen ehemaligen Fliesenlegermeister und Bundesminister a. D. Walter Riester (SPD). Aber alles das ist kein Vergleich mit der Last, der Hartz von Hartz IV zu sein.
Viele Artikel sind in den vergangenen Wochen über den früheren VW-Personalvorstand Peter Hartz, 65, erschienen, der an diesem Mittwochmorgen als Angeklagter vor der 6. Strafkammer in Braunschweig erscheinen muss.
Untreue und Begünstigung des Betriebsrats werden ihm vorgeworfen. Es geht um Millionensummen und das Co-Management des Betriebsrats in einem Weltkonzern.
Ratschlag des Milliardärs
In den meisten Beschreibungen über den Ex-Mentor der Betriebsräte - "Mentor" war übrigens der Ratgeber des Sohnes von Odysseus - wurde die Metapher vom Aufstieg und Fall über alle Maßen bemüht.
Allerdings: Wendungen wie diese geben die Situation des Saarländers, dessen Name heutzutage mit missglückten Reformen, gewöhnlichem Elend und Lustreisen der Arbeiterklasse ("Wo bleiben die Weiber?") in Verbindung gebracht wird, nur unzulänglich wieder.
Schon eine ganze Weile, bevor die Braunschweiger Staatsanwälte im Herbst 2005 wegen des Verdachts der Untreue in seinem Fall ein Aktenzeichen anlegten, war der Erfinder von Arbeitszeitmodellen wie der Vier-Tage-Woche bei VW in Wolfsburg, des Projekts 5000 x 5000 oder der "atmenden Fabrik" eigentlich bereits erledigt, und vermutlich wird erst die Geschichte zeigen, wer daran schuld ist.
Sein Name steht für die nach ihm benannte Arbeitsmarktreform der Regierung des Freundes und Kanzlers Gerhard Schröder. VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch beispielsweise erinnert sich noch gut, dass Hartz ihn vor dessen Zusage zur Mitarbeit gefragt hat, was er, Piëch, davon halte.
Von rasender Eitelkeit
Der Milliardär hatte nur zehn Minuten Bedenkzeit. Piëch riet ab, weil im Fall eines Erfolgs Schröder der Gewinner sei und im Fall eines Desasters der Name Hartz bleibe.
Der Saarländer hat es dennoch gemacht. Das IG-Metall- und SPD-Mitglied ist sehr um das Wohl der kleinen Leute bemüht, aber gleichzeitig von rasender Eitelkeit.
Hartz kann ein hemmungsloser Rechthaber sein. Die Devise seines Parteifreundes Hans-Jochen Vogel, dass man mit seiner "eigenen Lebensführung mehr predige als mit Worten", war nie die Devise von Hartz.
Nun ist der Mann, dessen Name bei Montagsdemonstrationen skandiert wurde, schon eine Weile enttäuscht darüber, was die Politik aus seinem Konzept gemacht hat. Angeblich hat er überlegt, den Namen Hartz IV verbieten zu lassen.
Das klingt ähnlich obskur wie die Geschichte, dass er im Sommer 2005, als die VW-Affäre in den Medien anlief, angeblich die Bild-Ausgabe mit der ersten Geschichte über jene brasilianische Prostituierte, die ihn nur als "Peter" kannte, aufkaufen wollte: Gut vier Millionen Exemplare wären das gewesen - ein größenwahnsinniges Unternehmen, denn den Schwarzen Peter hätte er dennoch behalten.
Organisiertes Wegschauen
In dem jetzt in Braunschweig anlaufenden Prozess wird es um all das nicht mehr gehen. Es geht stattdessen um sehr viele Zahlen und auch um die Frage, ob Hartz die dicken Zuwendungen für seinen früheren Duzfreund Klaus Volkert aus eigenem Antrieb und ohne Wissen der Konzernführung aus der Firmenkasse gezahlt hat.
Als Zeuge bei der Staatsanwaltschaft hat sich beispielsweise Piëch, der auch viele Jahre VW-Vorstandsvorsitzender war, zum Prinzip des organisierten Wegschauens bekannt: "Ich habe niemals Geld verteilt, sondern in diesen unangenehmen Fällen mich dadurch aus der Schlinge gezogen, dass ich es an jemand anderen delegiert habe", hat Piëch mit Blick auf die Personalie Volkert am 29. März 2006 den Ermittlern in den Block diktiert.
Alle Beteiligten - einschließlich der Verteidigung - haben sich im Sinne eines schnellen Verfahrens darauf verständigt, dass es sich im Fall Hartz um Untreue gehandelt habe.
Dabei wäre es schon interessant gewesen, im Gerichtssaal oder eventuell später vor dem Bundesgerichtshof die Frage zu diskutieren, ob das angebliche Schmieren eines Betriebsratschefs dem Unternehmen schadet oder nutzt.
Reihe von Prozessen
Vielleicht hat sich das Geld ja rentiert. Denn jeder Tag Tariffrieden ist eine Menge Bares wert. Andererseits ist umstritten, ob die in Wolfsburg oft einvernehmlich zwischen Betriebsrat, Vorstand und Politik (das Land Niedersachsen ist mit knapp zwanzig Prozent an VW beteiligt) ausgehandelte Konzernstrategie dem Unternehmen mehr geholfen oder mehr Nachteile gebracht hat.
Die Hauptverhandlung gegen Peter Hartz wird die erste in einer Reihe von Prozessen sein, die sich voraussichtlich in diesem Jahr in Braunschweig abspielen werden.
Der nächste Termin könnte noch im Frühjahr oder Frühsommer vor dem Amtsgericht Braunschweig stattfinden: Falls die Richter die ihnen vorliegende Anklage gegen den SPD-Bundestagsabgeordneten Hans-Jürgen Uhl zulassen sollten, würden Abenteuer im Lustsumpf erörtert. Uhl bestreitet alle Vorwürfe. Danach wird vermutlich Volkert vor Gericht erscheinen müssen, und die anderen werden dann folgen.
Ob Hartz in den anderen Prozessen auftreten wird, hängt auch davon ab, ob er gegen das ausgehandelte Urteil in seinem Fall Revision einlegt. Wenn ja, dann stünde er anschließend als Zeuge nicht mehr zur Verfügung.