Protestaktion:Hungerstreik in der Matrosenruhe

Lesezeit: 2 min

Der inhaftierte Ex-Yukos-Chef Michail Chodorkowskij verweigert die Nahrung - die Gefängnisleitung will nichts bemerkt haben.

Daniel Brössler

Über die Art und Weise, in der die Aufseher des Moskauer Untersuchungsgefängnisses "Matrosenruhe" ihren Dienst versehen, ist am Mittwoch Überraschendes an die Öffentlichkeit gedrungen.

Michail Chodorkowskij (links) und Platon Lebedjew während ihres Prozesses. (Foto: Foto: AP)

Nein, den Wärtern sei nichts aufgefallen, ließ ein Vertreter der Verwaltung der Moskauer Haftanstalten wissen. Dabei, so sollte man annehmen, müssten die Vollzugsbeamten doch zumindest auf ihren bekanntesten Gefangenen ein Auge haben.

Dennoch hat Russlands einst reichster Mann, Michail Chodorkowskij, schon vor Tagen einen Hungerstreik begonnen, von dem die Gefängnisleitung nichts bemerkt haben will. "Chodorkowskij erhält regelmäßig seine Lebensmittelrationen und nimmt Nahrung auf", teilte sie mit.

Nach Angaben von Chodorkowskijs Anwalt Anton Drel ist das keineswegs so. "Michail Chodorkowskij befindet sich seit einigen Tagen im Hungerstreik und nimmt auch keine Flüssigkeit zu sich", sagte er am Dienstagabend in einem Radio-Interview.

"Mehr als zwei Tage"

Seit wann genau der einstige Chef des Ölkonzerns Yukos das Essen und Trinken verweigere, könne er nicht sagen, weil diese Sendung auch seine Eltern hören könnten und dann beunruhigt wären. Es seien aber mehr als zwei Tage.

Sollte Russlands Präsident Wladimir Putin gehofft haben, nach der Verurteilung Chodorkowskijs und seines Geschäftspartners Platon Lebedew zu je neun Jahren Gefängnis werde Ruhe einkehren, hat er sich bislang getäuscht.

Chodorkowskij fühlt sich als politischer Gefangener der Mächtigen im Kreml und ist nicht bereit, klein beizugeben. Im Gegenteil: Als sei er ein freier Mann, arbeitet er zielstrebig an einer politischen Karriere.

Kandidatur im Moskauer Universitätsbezirk

Vor wenigen Tagen gab er seine Absicht bekannt, sich bei einer voraussichtlich im Dezember stattfindenen Nachwahl um ein Abgeordnetenmandat in der russischen Staatsduma zu bemühen. Kandidieren will Chodorkowskij im Moskauer Universitätsbezirk, dem Wahlkreis, in dem auch der russische Präsident und dessen Frau Ljudmila als Wähler registriert sind.

Theoretisch kann sich Chodorkowskij um politische Ämter bewerben, weil er bis zum Ergebnis der Berufungsverhandlung noch nicht rechtskräftig verurteilt ist. Dennoch sei er "absolut sicher, dass sie mir nicht erlauben anzutreten", ließ der einstige Konzern-Chef einen Anwalt ausrichten. Er wolle aber die Menschen nicht enttäuschen, die ihn zur Kandidatur ermunterten.

Teil seiner Überlegungen dürfte aber auch sein, zumindest in der Hauptstadt Moskau im Gespräch zu bleiben. Dazu tragen auch aus dem Gefängnis geschmuggelte Aufsätze bei, in denen der einstige Oligarch seine Visionen von der Zukunft eines demokratischen Russlands skizziert, in dem "ein Linksruck unausweichlich" sei.

Verschärfte Haftbedingungen

In der Gegenwart aber hat es Chodorkowskij mit Gefängnisbehörden zu tun, die seine Meinungsäußerungen mit verschärften Haftbedingungen ahnden.

Aus einer Vier-Mann-Zelle mit Kühlschrank und Fernseher wurde der Nichtraucher in eine verrauchte Zehn-Mann-Unterkunft verlegt. Schlimmer noch erging es seinem Partner Lebedew, der am vergangenen Freitag für eine Woche in eine drei Quadratmeter große Isolationszelle gebracht wurde, in der er tagsüber weder liegen noch sitzen kann - angeblich zur Strafe für verweigerte Hofgänge. Das sei Unsinn, denn der kranke Lebedew sei schon seit einem Jahr nicht mehr zu den Hofgängen in der Lage, sagen seine Anwälte.

Chodorkowskij ist überzeugt, dass er der Grund für Lebedews Leiden ist, und will mit seinem Hungerstreik Solidarität bekunden. "Es ist offensichtlich, dass mein Freund in die Isolationszelle geworfen wurde, weil es den Wunsch gab, sich an mir zu rächen - für meine Artikel und ein Interview", sagte der Häftling in einer von seinem Anwalt Drel verlesenen Erklärung.

Der Kampf geht weiter

Bis zum heutigen Donnerstag sollte Lebedew in Isolationshaft bleiben; so lange beabsichtigte Chodorkowskij zu hungern. Und auch danach will er - seiner Erklärung nach zu urteilen - weiterkämpfen: "Soll der Kreml denken, er demonstriert Stärke. In Wahrheit zeigt er nur seine Schwäche."

© SZ vom 25.08.05 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: