Nachhaltige Mode:Klima-Engel sollen Prada tragen

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Prada zeigt bei Mailänder Fashion-Week die Herbst-Winter-Kollektion 2023. (Foto: Prada)

Der Druck auf Luxuslabel wächst. Sie müssen die Erwartungen der ökobewussten Generationen Y und Z erfüllen und einer EU-Kampfansage gegen Greenwashing begegnen. Ein Besuch bei Prada

Von Ulrike Sauer, Valvigna

Schon der Name klingt verheißungsvoll: Valvigna, Tal der Reben. Mitten in der Toskana steht hier direkt an der Autostrada del Sole die dritte "Gartenfabrik" des Modelabels Prada. Das 33000 Quadratmeter große Werk drückt einen demütigen Respekt vor der Natur aus. 980 Weinreben umranken, dem Genius loci folgend, schattige Pergolen. 8700 Kletterpflanzen begrünen Fassaden, Lichthöfe und sogar das himmelhohe Glasdach der Kantine, 74000 Bodendecker breiten sich in Beeten aus, 29000 Büsche sorgen für eine harmonische Einbettung der Fabrik in die frühlingshafte Hügellandschaft bei Arezzo. Hier schlägt das produktive Herz des Mailänder Luxuskonzerns. Und das ist auf den ersten Blick: unheimlich grün.

Weit weg in Berlin drängte sich vor drei Wochen ein anderes Bild auf. Mit der Signalfarbe Orange besprühten Klimaaktivisten Schaufenster und Logo des Prada-Ladens am Kurfürstendamm. Der Flagship Store der italienischen Modemarke wurde bis zur Unkenntlichkeit verschandelt. "Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten", stand auf den Schildern der Letzten Generation. Ihr Farbanschlag galt dabei womöglich eher den Statussymbolen des Reichtums als dem Hersteller. Der Protest trifft aber Prada und die ganze Branche an einer wunden Stelle.

Der Druck auf die europäischen Luxuslabel wächst. Sie müssen einerseits die Erwartungen ihrer klimabewussten Kunden aus den Generationen Y und Z erfüllen, deren Einfluss global rasant zunimmt. Andererseits verlangen die europäischen Gesetzgeber von der Modebranche, dass sie sich in puncto Nachhaltigkeit immer strengeren EU-Richtlinien anpasst. Brüssel will sich in Zukunft nicht mehr mit Absichtserklärungen zufriedengeben und pocht auf echte Fortschritte. Das ist eine Kampfansage an das in allen Wirtschaftssparten verbreitete Greenwashing.

Noch dazu stellt sich die Klimafrage für die Modewelt sehr grundsätzlich. Kann eine Industrie, die vom Erwecken immer neuer Begehrlichkeiten lebt, überhaupt grün werden? Ist teure Luxusmode nur deshalb schon nachhaltig, weil sie selten in der Mülltonne landet und dafür immer öfter im hippen Re-Sale-Shop?

Lorenzo Bertelli, 35, sieht Prada auf einem guten Weg in die umweltschonende Produktion. Im hellgrauen Slim-Fit-Anzug und lässigem Shirt führt der designierte Unternehmenserbe durch die Taschenfabrik in Valvigna. Der Sohn von Miuccia Prada und Patrizio Bertelli, die das 1913 in Mailand gegründete Lederwarenhaus in den Achtzigerjahren übernommen und in eine weltweit begehrte Modemarke mit 612 eigenen Läden und 24 Fabriken verwandelt haben, ist seit 2019 Marketing-Chef und seit 2020 für Nachhaltigkeit verantwortlich. In ein paar Jahren soll er die Eltern an der Konzernspitze ablösen und eines der wenigen noch unabhängigen Luxusunternehmen Italiens in die Zukunft führen.

Heute muss der dunkellockige Prada-Spross dafür sorgen, dass das Familienunternehmen sein Profil klimagerecht schärft. Das Mailänder Label versucht, sich eine transparentere Nachhaltigkeitsstrategie zuzulegen und zu den Vorreitern der Branche aufzuschließen.

Das Vorzeigeprojekt ist grünes Nylon

"Wir wollen Motor des Wandels sein", sagt Bertelli, der seine PS-Leidenschaft als Rallyefahrer auslebt, im Alltag dafür aber elektrisch unterwegs ist. Er verweist auf erste Erfolge. Die Treibhausgas-Emissionen des Unternehmens wurden 2022 um 34 Prozent gegenüber 2019 reduziert und damit bereits das für 2026 gesetzte Ziel von 29,4 Prozent übertroffen. "Unser starkes Wachstum erlaubt uns, den Prozess zu beschleunigen", sagt er. Zwei Drittel des konzernweit eingesetzten Stroms kommen aus erneuerbaren Quellen. Pelz wurde vor vier Jahren komplett aus den Kollektionen von Prada und der jungen Marke Miu Miu verbannt. Als erstes Modeunternehmen nahm Prada 2019 einen Kredit über 50 Millionen Euro auf, dessen Zinskonditionen an die Erfüllung von Nachhaltigkeitszielen gekoppelt sind.

Punkten kann Lorenzo Bertelli vor allem mit einem Vorzeigeprojekt: Es heißt Re-Nylon und bringt viel Lob. Denn es ist kein Marketing. Vielmehr knüpft es an den Durchbruch der Mutter vor 35 Jahren an.

Als Miuccia Prada 1988 ihre erste Kollektion auf den Mailänder Laufsteg schickte, schockierte die Enkelin des Meisters feiner Lederaccessoires die Modeszene mit einem Rucksack aus schwarzem Nylon. Kann ein Stück aus wasserabweisendem, funktionalem Gewebe überhaupt Luxus sein? Und wie! Der Nylonranzen in der billigen Kunstfaser, die aus Erdöl gewonnen wird, eroberte die zahlungskräftige Kundschaft und wurde zum Kultobjekt. Miuccias Rucksack war das perfekte Anti-Statement zum traditionellen Luxus. Die Designerin avancierte zum Liebling einer Generation, die sich von den klassischen Statussymbolen absetzen wollte. Der Verkaufserfolg des minimalistischen Sacks begründete den Aufstieg Pradas zur coolen Weltmarke. Nylon wurde zu einem Markenzeichen von Prada.

Vor zwei Jahren hat das Unternehmen die Abkehr von dem schmutzigen Stoff vollendet. Prada verwendet seit 2021 nur noch zu 100 Prozent aus alten Fischernetzen, Teppichböden und anderen Textilabfällen recycelte Kunstfasern. Für seine Kleidung, Schuhe und Taschen verarbeitet der Luxuskonzern jetzt mehr als 1 Million Meter grünes Nylon im Jahr. Entwickelt wurde das Material von dem italienischen Chemieunternehmen Aquafil. Der Pionier aus Arco am Gardasee spart bei der Herstellung regenerierten Econyls 90 Prozent der klimaschädlichen CO2-Emissionen ein und schafft nebenbei Berge von Nylonmüll aus der Welt. Bertelli sagt: "Für Prada ist Re-Nylon ein Meilenstein auf dem Weg in die Kreislaufwirtschaft".

Für seine Familie schloss sich damit übrigens bereits der Kreis. 1988, als Miuccia Prada ihr fulminantes Debüt feierte, gebar sie auch ihren Sohn Lorenzo. Der 35-Jährige machte nun ihr avantgardistisches Nylon wieder cool.

Die Entscheidung fiel bei Prada in einem kritischen Moment. 2019 leitete das Unternehmen nach einer fünfjährigen Schwächephase, in der das Label an Glanz verloren und Umsatz- und Gewinnrückgänge erlitten hatte, eine Trendwende ein. Die Renaissance glückte. 2022 erlebte Prada das beste Geschäftsjahr seiner Geschichte. Man erzielte einen Rekordumsatz von 4,2 Milliarden Euro, eine Milliarde mehr als im Vor-Covid-Jahr 2019. In den ersten drei Monaten dieses Jahres legte der Umsatz um 22 Prozent zu. Die Marke Miu Miu steigerte ihren Ladenverkauf gar um 42 Prozent. Außerdem gehören noch die Schuhmarken Church's und Car Shoe zum Konzern.

Der Geschäftserfolg ist für den jungen Bertelli die Voraussetzung seiner Nachhaltigkeitsstrategie. "Mein erster Gedanke gilt morgens den 13768 Mitarbeitern, deren Gehalt ich garantieren muss", sagt er in Valvigna. Darum sei auch das Projekt Re-Nylon so wichtig. Es habe viele junge Kunden in die Prada-Läden geholt, sagt er. "Re-Nylon beweist, dass sich Nachhaltigkeit auszahlt".

Auf anderen Gebieten zögert Bertelli allerdings. Zum Beispiel bei Lederwaren. Das Thema gewinnt an Bedeutung, weil das Bewusstsein für die Umweltbelastung der Lederherstellung und die Bedenken gegen die Tierzucht wachsen. Und weil Leder, das bei Prada den größten Teil des Rohstoffverbrauchs ausmacht, unter den in der Mode verwendeten Materialien einen besonders großen CO2-Fußabdruck hat. Andere Luxushersteller experimentieren mit lederähnlichen Materialien, die nicht von Schlachthöfen, sondern aus dem Labor stammen. Bertelli hält den Markt dafür noch nicht reif. "Die Verbraucher verlangen noch echtes Leder", sagt er.

Das klingt wenig ambitioniert. Denn um das eigene Nachhaltigkeitsziel zu erreichen, muss Prada seinen absoluten Ausstoß von Klimakillern einschließlich der extern von der Lieferkette verursachten Emissionen nun bis 2029 um 42 Prozent senken. Während bisher die Umweltbelastungen im eigenen Haus reduziert wurden, muss Prada nun an Emissionen ran, die außerhalb seiner direkten Kontrolle liegen und darum weitaus schwieriger zu beeinflussen sind. Beispiel: Beschaffung der Rohmaterialien. Einen Plan, wie dieses Ziel erreicht werden soll, gibt es noch nicht. Aufhorchen ließ, dass sich Bertelli Anfang des Jahres Verstärkung holte. Er warb beim französischen Luxuskonzern Kering, der als Branchenführer in Sachen Klimaschutz gilt, die erfahrene Nachhaltigkeits-Managerin Chiara Morelli ab.

Helfen soll dem glamourösen Konzern auch seine industrielle Stärke. In der schicken Gartenfabrik in Valvigna, wo 770 Beschäftigte arbeiten, werden nicht nur alle Taschenkollektionen entworfen und bis hin zur Herstellung der Prototypen entwickelt. Von hier aus steuert Patrizio Bertelli, 77, auch die anderen 23 Fabriken des Konzerns. Seit er zusammen mit seiner Frau die angestaubte Familienmarke zu dem weltberühmten "Der Teufel trägt Prada"-Label gemacht hat, setzt Bertelli auf die vertikale Integration des Unternehmens.

Schon mit 18 besaß der Toskaner einen kleinen Lederbetrieb. Er wurde in der Branche für sein Fabrik-Faible über Jahrzehnte belächelt. Jetzt kopieren die Konkurrenzmarken der Luxuskonzerne LVMH und Kering ihn. In einem Wettlauf zur Sicherung des handwerklichen Knowhows bauen inzwischen alle Modehäuser ihre Eigenfertigung im Produktionsland Italien aus oder übernehmen Auftragshersteller. Prada investiert, von hohem Niveau aus, nun in zwei Jahren weitere 130 Millionen Euro in den Ausbau der eigenen Fabriken. Dort werden bereits 30 Prozent der Waren produziert. Die Kontrolle soll nun den Kraftakt im Umweltschutz unterstützen. "Unser Industriemodell ist ein starker Beschleuniger der Nachhaltigkeitsstrategie", sagt Lorenzo Bertelli.

Auch er weiß: Bis (Klima-)Engel Prada tragen, ist der Weg noch weit. Und: Drücken kann sich die Luxusbranche nicht. Das Bruttobetriebsergebnis von Prada betrug im vergangenen Jahr 78 Prozent des Umsatzes. Am Geld fehlt es also nicht. "Wer mehr hat, sollte auch mehr tun", sagt. Bertelli

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