Polaroid-Kamera:Polaroids Welt

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Das Sofortbild war mehr als eine gewöhnliche Fotografie - auf der Aufnahme begegnete der Porträtierte seinem zweiten Gesicht.

Thomas Steinfeld

Architekten benutzten einst eine Polaroid, wenn sie den Zustand eines Baus dokumentieren wollen, Journalisten, weil die Kamera ihnen das Notieren ersparte, Gutachter, um schnell einen Schaden zu dokumentieren.

Auf einem Polaroid-Bild sah man immer ein bisschen anders aus als in Wirklichkeit. (Foto: Foto: Getty Images)

In den allermeisten Fällen jedoch diente diese Kamera zur Herstellung von Souvenirs. Die Polaroid kam diesem Bedürfnis entgegen. Zum einen, weil jedes Bild ein Einzelstück war, das sich nur unter Schwierigkeiten und in veränderter Form reproduzieren ließ, andererseits aber, und das ist noch wichtiger, weil die Kamera in den seltensten Fällen realistische Bilder lieferte.

Stets waren sie ein wenig verfremdet, immer sah die Welt ein wenig anders aus, als sie wirklich war.

Leises Erschrecken vor der bleichen Haut

Aber das leise Erschrecken vor der bleichen Haut, vor der überbelichteten Totenmaske des eigenen Gesichts, vor der froschartigen Visage auf dem Bild tat dem Vergnügen am Andenken nicht nur keinen Abbruch, sondern steigerte es sogar.

So sahen wir tatsächlich nicht aus, auf einem solchen Bild waren wir nicht wir selber. Auf einem Polaroid begegnete man, mehr noch als auf einer gewöhnlichen Fotografie, seinem zweiten Gesicht. Und bald, nach zwei, fünf, oder zehn Jahren, verblasste und vergilbte auch dieses.

Rüdiger Vogler, der Schauspieler, der in Wim Winders Film "Alice in den Städten" (1974) den Auftrag erhält, ein Mädchen von New York über Amsterdam nach Hause bringen soll, sitzt unter einem hölzernen Steg am Strand von Atlantic City. Er singt, ein Wiedergänger auch er: "Under the Boardwalk", das Lied der "Drifters" aus dem Sommer 1964.

Und knipst, und knipst und knipst

Er hat seine Polaroid, eine SX-70, in der Hand und knipst. Und knipst. Und knipst. Er ist geduldig: Eine ganze Galerie von kleinen weißen Quadraten hat er vor seinen Stiefeln aufgereiht.

Er sitzt in einem Flugzeug und knipst. Er lässt sich mit der Fähre bei Duisburg über den Rhein setzen. Und knipst. Die Kamera liefert ihm ein Tagebuch. Oder sind es Tatorte, die er gesehen hat? Er schaut hierhin und dorthin, er richtet seinen Blick auf dieses und jenes, und einen Moment später summt der Auslöser, begleitet von zweifelnder Hoffnung. Und dann heißt es, enttäuscht: "Es ist doch nie das darauf, was man gesehen hat."

Jedes Bild ist das Ergebnis einer Auswahl, ein kleines, aber herausgehobenes und kondensiertes Stück Welt. Aber immer geht der Versuch daneben. Die Welt ist leer, und der Vorwurf der Rücksichtslosigkeit - "als wärst Du der einzige, der etwas erlebt" - trifft immer. Um so mehr braucht er die Sicherheit des doppelten Sehens.

Auftritt in einem Lied

Ein Jahr nachdem der Film "Alice in den Städten" in die Kinos gekommen war, veröffentlichte die englische Popgruppe 10 CC ein Album mit dem Titel "Sheet Music". Das Polaroid hat darin seinen Auftritt in einem Lied namens "Somewhere in Hollywood", einer kleinen Moritat aus dem Schaugewerbe, die mit einer verführerischen jungen Frau auf einem Sofa beginnt: "Norman Mailer / wants to nail her" - "Norman Mailer will mit ihr schlafen", und dann "He's out on the patio / With his polaroid / And he's armed and he's dangerously."

Die Musik ist hier der imaginierte Film, und das Polaroid dient als Zeichen dafür, dass hier das Leben gleich noch einmal stattfinden wird. Nein, besser: die Wiederholung des Lebens auf dem Polaroid ist größer, intensiver, lebendiger als das Leben selber, und das Bild wird das Leben in sich aufnehmen und überhöhen. Das Polaroid war wie ein wandernder Spiegel, in dem sich das Leben selbst betrachten konnte.

© SZ vom 15.02.2008/ang - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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