Die Industrie hat sich im Streit um die Kostenpflicht für Plastiktüten auf die Politik zubewegt. Nach Ansicht der deutschen Einzelhandelsverbands (HDE) könnten viele Kunststofftragetaschen nun doch wie ursprünglich beabsichtigt zum 1. April etwas kosten. Ob es im Zuge einer freiwilligen Vereinbarung zwischen Industrie und Politik tatsächlich dazu kommen wird, hängt aber davon ab, ob der HDE ausreichend Verbände aus anderen Branchen findet, die an der Selbstverpflichtung teilnehmen. HDE-Präsident Stefan Genth hatte Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) vorige Woche bei einem Treffen mitgeteilt, der HDE könne aus den eigenen Reihen 60 Prozent des Tütenvolumens von insgesamt gut sechs Milliarden Tüten pro Jahr abdecken. Hendricks fordert jedoch eine Abdeckung von 80 Prozent, ehe sie der freiwilligen Vereinbarung zustimmt. Andernfalls beabsichtigt sie, "eine Regelung per Ordnungsrecht", notfalls ein Gesetz auf den Weg zu bringen.
Kreisen zufolge hat die Ministerin dem HDE eine Frist bis Ende März gesetzt. Bis dahin soll dieser jene Verbände, die nicht zum HDE gehören, wie zum Beispiel Apotheker, Tankstellen oder Essenlieferanten, für die Selbstverpflichtung gewinnen. Innerhalb von zwei Jahren soll auf diese Weise die 80 Prozent erreicht werden. "Zeitlich zeigt sich die Ministerin flexibel, aber die Perspektive muss klar sein", sagte ein Insider. HDE-Chef Genth zeigte sich optimistisch, dass Hendricks die "positiven Signale" wahrgenommen hat. "Noch ist nichts vereinbart oder unterschrieben", hieß es im Ministerium.
Große Handelsketten wie Tchibo, Karstadt oder Media-Saturn haben inzwischen von sich aus angekündigt, Plastiktüten nicht mehr gratis anbieten zu wollen. Textil- und Lebensmittelhändler sollen zu jenen gehören, die sich gegen eine Selbstverpflichtung sperren. Der HDE will aus Umweltschutzgründen von April 2015 an eine EU-Richtlinie umsetzen. Diese sieht vor, dass die Mitgliedsstaaten den Einsatz von Plastiktüten bis Ende 2019 auf maximal 90 und bis Ende 2025 auf maximal 40 Stück pro Kopf jährlich reduzieren. Derzeit soll dieser Wert in Deutschland bei etwa 70 Tüten pro Jahr liegen.
Die EU-Regelung betrifft Kunststofftüten zwischen 15 und 50 Mikrometern Wandstärke. In Deutschland sollen darüber hinaus auch dickere Plastiktüten von der Vereinbarung erfasst werden. Ziel ist es, dass innerhalb von zwei Jahren 80 Prozent aller Plastiktüten der freiwilligen Bezahlpflicht unterliegen. Die Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung soll überwachen, ob die Vorgaben eingehalten werden. Die Höhe der Abgabe regelt die Vereinbarung nicht.