Pipers Welt:Subventionierte Revolte

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Die Documenta als Beispiel: Antikapitalistische Künstler sollten sich gelegentlich klarmachen, dass ihre Kunst durch den Kapitalismus erst ermöglicht wird.

Von Nikolaus Piper

Didacus Ströbele war einer der großen Äbte des Reichsstifts Schussenried in Oberschwaben. Im Jahre 1733 jedoch entließ ihn der Generalvikar des Prämonstratenserordens Knall auf Fall, und zwar mit der Begründung, er habe beim Bau einer neuen Wallfahrtskirche in Steinhausen seinen Kostenrahmen maßlos überschritten. In seinen Tagebüchern haderte der Entlassene später mit der Entscheidung seiner Oberen: "Allein Gott und seine liebste Mutter und andere Heiligen lassen nichts umsonst tun - es ist alles geschehen ad honorem Dei." Will sagen: Für Gottes Ehre kann es gar nicht zu teuer sein.

Die Episode mag den trösten, der sich in diesen Tagen über die Documenta in Kassel ärgert, deren Macher mit ihrem Geld nicht ausgekommen sind. So etwas gab es auch schon früher, und immerhin hat der geschasste Abt Ströbele ja den großen Architekten Dominikus Zimmermann dazu gebracht, in Steinhausen eine der schönsten Rokokokirchen der Welt hinzustellen.

Allerdings war das Reichsstift Schussenried eine Feudalherrschaft, deren Herren kein Parlament fragen mussten, ehe sie Geld ausgaben, für was auch immer. In einer Demokratie, stellen sich da politische, ökonomische und ethische Fragen: Was ist den Steuerzahlern Kultur wert, etwa im Vergleich zu Kitas, Straßen und Polizeiwachen? Wie übt der demokratische Staat Kostenkontrolle aus, ohne die Freiheit der Kunst zu gefährden? "Kunst stellt dem Nützlichkeits- und Verwertbarkeitsdenken etwas fundamental anderes entgegen", sagte der frühere DDR-Bürgerrechtler und heutige Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, einmal im Jahre 2013, als er einen Kongress über "Kunst und Demokratie" eröffnete. Der Konflikt liegt darin, dass es ohne "Nützlichkeitsdenken" seitens der Gesellschaft, ohne Kapitalismus also, weder Geld noch Freiraum für die Kunst gäbe.

Am leichtesten ließe sich mit dem Konflikt umgehen, wenn die Kulturschaffenden einfach ihre Budgets einhielten, aber das ist nicht unbedingt die Sache von jemandem, der sich dem Nützlichkeitsdenken entgegenstellen will. Didacus Ströbele wurde seinerzeit einfach in den Schwarzwald strafversetzt, als er zu viel Geld ausgab. Das kann man heute mit dem Leiter oder der Geschäftsführerin der Documenta nicht machen, deshalb wird es jetzt bitter: Ein kapitalistischer Wirtschaftsprüfer wird engagiert, und ob die nächste Documenta, wie geplant, in fünf Jahren stattfinden kann, ist derzeit völlig offen. Das ganze Projekt Documenta ist in Misskredit geraten.

Aber klare Verantwortlichkeit für die Finanzen gehört zu den unverzichtbaren Regeln der Demokratie. Wer dies vergisst und glaubt, eine kreative Idee könne gar nicht zu teuer sein, der bekommt ein Problem. Die Amerikaner haben dies, wie immer, auf ihre Weise gelöst. Dort war und ist Kulturförderung überwiegend privat. Das neue Whitney Museum in New York wurde von Spendern und aus den Erträgen einer Stiftung finanziert. Sollte Geld fehlen, kümmern sich Privatleute darum, die Politik hält sich raus. Nun muss man das amerikanische System nicht unbedingt kopieren. Man kann sich ja nicht darauf verlassen, dass es immer genügend reiche Leute gibt, die auch noch großherzig spenden. Daher gibt es gute Gründe für eine staatliche Kunstförderung im deutschen Stil. Nur verleitet sie eben Kulturmanager dazu, sich zu verhalten, als hätten sie es immer noch mit feudalen Mäzenen zu tun. 5,4 Millionen Euro Verlust bei der Documenta? Kein Problem, aber dass die Stadt Kassel unter den finanziellen Bedingungen nicht bereit ist, auch noch Kunstwerke von der Documenta aufzukaufen (konkret: ein "Flüchtlingsmonument" des Amerikaners Olu Oguibe), das ist schlimm.

Fahrlässiger Umgang mit dem Geld schädigt die Steuerzahler - und die Kunst

Die Widersprüche fallen auch deshalb ins Auge, weil die Documenta mit einem gewaltigen antikapitalistischen Anspruch antrat. "Die documenta 14 gehört niemandem im Besonderen", heißt es auf der Internetseite der Ausstellung. "Ihre Teilhaber_innen sind ihre Besucher_innen und Künstler_innen, ihre Leser_innen und Autor_innen sowie all jene, durch deren Arbeit sie verwirklicht wurde." Ein kleines Detail fehlt dabei: Es waren die Steuerzahler_innen der Stadt Kassel und des Landes Hessen, die die Documenta überhaupt ermöglicht haben. Gustave Flauberts Wort vom "Zeitalter der subventionierten Revolte" klingt sehr zeitgemäß.

Dass fahrlässiger Umgang mit dem Geld nicht nur die Steuerzahler schädigt, sondern auch die Autonomie der Kunst, zeigen die Vorgänge um das Haus der Kunst in München. Das Museum ist in eine finanzielle Schieflage geraten, der Leiter Okwui Enwezor bekommt einen Aufpasser zur Seite gestellt. Der Betriebsrat hofft auf ein "Klima der erhöhten Wertschätzung", das es bisher offenbar nicht gibt.

Gelegentlich sind auch kreative Kompromisse möglich, wenn Künstler mit dem Geld nicht auskommen, sind. Im Jahr 1983 beauftragte der Hamburger Senat den Wiener Bildhauer Alfred Hrdlicka mit der Errichtung eines "Gegendenkmals" zu dem düsteren Krieger-Ehrenmahl von 1936 beim Dammtor-Bahnhof. Das Denkmal sollte vier Teile haben, doch bereits nach zwei Teilen war das Budget erschöpft - "auf Grund hoher Herstellungskosten", wie es beschönigend hieß. Jetzt steht ein Fragment beim Dammtor, was dem Thema vielleicht sogar angemessener ist.

Oder man hält es mit dem Ökonomen Joseph Schumpeter. Der schrieb 1942 in "Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie": "Im Gegensatz zu allen anderen Gesellschaftstypen schafft, erzieht und subventioniert der Kapitalismus unvermeidlich und kraft gerade der Logik seiner Zivilisation ein festgewurzeltes Interesse an sozialer Unruhe". Mit andere Worten: Es ist der Kapitalismus, der antikapitalistische Kunst finanziert.

© SZ vom 06.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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