Pipers Welt:Oberhausers Imperativ

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Der emeritierte Professor für Finanzwissenschaften aus Freiburg hat es immer schon gewusst: Über Geld kann man nur sinnvoll reden, wenn man auch weiß, was es in der Realwirtschaft bewirkt.

Von Nikolaus Piper

Alois Oberhauser ist emeritierter Professor für Finanzwissenschaften aus Freiburg. Seinen Studenten blieb er vor allem in Erinnerung durch einen Satz, der in fast jeder Vorlesung vorkam: "Meine Damen und Herren, Sie müssen lernen, in Güterströmen zu denken." Will sagen: Über Geld kann man nur sinnvoll reden, wenn man auch weiß, was es in der Realwirtschaft bewirkt.

Eigentlich ist Oberhausers Imperativ einfach nur angewandte Standardökonomie. Umso erstaunlicher, wie oft er in der Praxis missachtet wird. Der ökonomische Kern von Griechenlands Tragödie etwa liegt darin, dass griechische Politiker jahrzehntelang nur in Geld- und nicht in Güterströmen gedacht haben. Und dass Leute in Brüssel, die es eigentlich besser wissen müssten, entweder weggeschaut oder resigniert haben. Das Drama beginnt lange vor der Einführung des Euro. Mit dem Beitritt Griechenlands zur EU (sie hieß damals noch EG) 1981 flossen plötzlich Milliardensubventionen in das wirtschaftlich zurückgebliebene Land. Dem Geld aus Brüssel musste notwendigerweise ein Strom von Importen folgen, es sei denn, die Regierung hätte das Geld gespart. Griechenland hatte Ansprüche an das ausländische Sozialprodukt geschenkt bekommen und konnte diese auch nur im Ausland einlösen. Der Effekt ist nicht anders, als wenn ein Land sich auf dem internationalen Kapitalmarkt verschuldet. Die Frage war nur: Wie würde Athen seine Ansprüche einlösen?

Rational wäre es gewesen, Maschinen im Ausland zu kaufen, um damit die Wirtschaft zu erneuern. Doch Griechenlands Regierungen, allen voran die des Sozialisten Andreas Papandreou, nutzten das Geld, um Wohltaten unter das Volk zu verteilen. Renten, Löhne und der Personalbestand des Staates stiegen. Das schien zunächst sehr angenehm zu sein, schließlich blieb das Brüsseler Geld ja "im Lande". Von Oberhauser hätte man allerdings lernen können, dass das nicht geht. Jeder Import von Geld muss irgendwann zum Import von Waren führen, es sei denn, das Geld wird gespart. Im Falle Griechenlands lief der Mechanismus so ab: Die Kosten der Betriebe stiegen durch die höheren Löhne so lange, bis sie schließen mussten. Die Verbraucher hatten aber, dank Papandreou, mehr Geld in der Ta-sche und gaben dies dankbar aus. Statt Maschinen importierten die Griechen nun BMW, irische Butter und neuseeländisches Lammfleisch, um den Touristen original griechische Grillteller zu servieren. Schließlich litt auch die Landwirtschaft unter dem Kostendruck. Das bedeutet nicht, dass Griechenland außerhalb der EU besser dran gewesen wäre. Nicht jede von Brüssel finanzierte Straße war überflüssig. Aber es wurde eine verhängnisvolle Spirale in Gang gesetzt, die schließlich in die Katastrophe führte.

Bis heute tun viele in Athen, Berlin und Brüssel so, als komme es nur auf Geld an, als gäbe es keine Realökonomie. Dabei ist klar: Das Land wird nur gesunden, wenn es dramatisch mehr exportiert als heute, nur dann kann es seine Schulden zurückzahlen, oder wenigstens einen Teil davon. Und auch die vielen Leute in Deutschland, die Yannis Varoufakis für einen Helden der sozialen Gerechtigkeit halten, sollten innehalten. Hätten sich Varoufakis und Alexis Tsipras durchgesetzt und mit dem Geld aus den Hilfspaketen die Renten und den Mindestlohn erhöht und entlassene Staatsbedienstete wieder eingestellt, dann hätte sich die Spirale weiter gedreht: mehr importierte Konsumgüter, höhere Kosten, weniger Investitionen. Oberhauser hätte es gewusst.

An dieser Stelle schreiben jeden Freitag Nikolaus Piper und Thomas Fricke im Wechsel.

© SZ vom 21.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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