Pipers Welt:Nur ein Tröpfeln

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Wenn es Reichen gutgeht, ist das auch gut für Arme. Diese ökonomische Theorie ist sehr umstritten. Ein dänischer Sterne-Koch setzt sie gerade in die Praxis um - in Bolivien.

Von Nikolaus Piper

Zu den von vielen Menschen verabscheuten Begriffen der Ökonomie gehört inzwischen die "Trickle-Down-Ökonomie". Der Terminus leitet sich ab aus dem englischen " to trickle down" für "heruntertropfen" oder" herunterrieseln" und bezeichnet die Theorie, wonach es auch für die Armen gut ist, wenn es den Reichen gut geht. Denn, so die Kernaussage, von dem Reichtum tropft immer auch etwas nach unten. Der Ökonom John Kenneth Galbraith verspottete dies einmal als "Pferd-und-Spatz-Theorie": Wenn man den Pferden nur genug Hafer gibt, werden am Ende immer auch ein paar Körner auf der Straße landen, wo dann die Spatzen davon leben können. Diskreditiert wurde die Theorie vor allem durch die republikanische Rechte in den Vereinigten Staaten, deren Vertreter bis heute behaupten, man müsse nur die Steuern für die Reichen senken, dann hebe sich der Wohlstand aller. Die Theorie wurde in den 1980er Jahren getestet und eindrucksvoll widerlegt

Eigentlich schade, dass die Debatte über die Beziehung zwischen Reichtum und Armut auf diese Weise trivialisiert wurde. Tatsächlich ist diese Beziehung ja viel komplexer. So ist etwa das Gegenteil zu Trickle-Down - die beliebte Theorie, man könne Reiche praktisch unbegrenzt besteuern, ohne dass die Gesellschaft Schaden nimmt - genauso falsch. Dann gibt es das Phänomen des Pionier-Konsums: Erst waren es verrückte Reiche, die Autos, Grammofone und Fernseher kauften, danach konnten diese zu Massenprodukten werden.

(Foto: N/A)

An all dies denkt, wer die Geschichte des dänischen Unternehmers Claus Meyer hört. Meyer gilt als der Erfinder der modernen Nordischen Küche, er ist Mitgründer des "Noma" in Kopenhagen, nach Meinung von Gastro-Kritikern das beste Restaurant der Welt. Meyer hat in La Paz, der Hauptstadt von Bolivien, einem der ärmsten Länder der Welt, das Gourmet-Restaurant "Gustu" eröffnet. Dort kostet ein Abendessen um die 75 Dollar - für Touristen kein Problem, für die Menschen aus den Armenvierteln von La Paz unerschwinglich. Trotzdem betreibt Meyer das Restaurant auch als Projekt für eben diese Armen. Sie bekommen Jobs und eine gute Ausbildung, und das ist noch nicht einmal das Wichtigste. Sein Ziel sei es, "Armut durch Köstlichkeit zu bekämpfen", sagte er dem New Yorker. Die Leute von "Gustu" sollen eine eigene Haute Cuisine erfinden, auf die die Bolivianer stolz sein können und die auch deren heute sehr ungesunden Essgewohnheiten ändert. Die Gerichte sind nicht traditionell, aber die Zutaten kommen aus dem Land. Beispiel: Knochenmark vom Antennenwels an Strauchtomaten, die mit Kimchi und geräucherten Chili-Schoten fermentiert wurden.

Man mag darüber lächeln, wenn ausgerechnet ein dänischer Food-Aktivist eine bolivianische Nationalküche schaffen will. Das ganze Projekt kann noch scheitern, schließlich ist Bolivien nicht gerade ein Paradies für Jungunternehmer. Andererseits wurde auch früher schon in den Küchen der Reichen die Welt verändert. Die moderne Restaurantkultur Frankreichs wurde einst begründet von königlichen Köchen, die nach der Französischen Revolution arbeitslos geworden waren. Im 19. Jahrhundert wurden Privilegien, die einst nur dem Adel zustanden, zum Gemeingut der ganzen Nation. In Bolivien geht es darum, erst einmal eine Tradition zu schaffen, die auf das ganze Land ausstrahlt. Selbst wenn Claus Meyer den Begriff selbst verabscheuen dürfte, aber was er da in La Paz betreibt, ist tatsächlich Trickle-Down-Ökonomie im eigentlichen Sinne.

An dieser Stelle schreiben jeden Freitag Nikolaus Piper und Franziska Augstein im Wechsel.

© SZ vom 29.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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