Pipers Welt:Mit Essen spielen

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Der Milchpreis ist so niedrig, dass viele Bauern aufgeben müssen, besonders die kleineren Betriebe. Doch das liegt nicht etwa an Spekulanten.

Von Nikolaus Piper

Ein altmodisches Handarchiv aus Zeitungsausschnitten, Zetteln und Kopien hat seine besonderen Reize. Man kann, mit gebührendem Abstand, nachlesen, was man selbst und was andere früher für wichtig hielten. Da gibt es zum Beispiel eine Hängemappe mit dem Reiter "Lebensmittelpreise", und die ist prall gefüllt mit Material aus den Jahren 2011 und 2012, unter so knalligen Schlagzeilen wie "Zocken mit Getreide", "Das Geschäft mit dem Elend" oder auch: "Das Geschäft mit dem Hunger. Wie Allianz, Deutsche Bank & Co an der Börse mit Essen spielen" - so stand es über einem Artikel in der Zeitschrift der Entwicklungsorganisation Oxfam.

Es war eine Zeit, in der die Preise für Weizen, Mais, Soja und anderer Agrarrohstoffe in die Höhe schossen, nicht so stark wie vor der Finanzkrise, aber doch so, dass Menschen Alarm schlugen, die mit Armen und Hungernden zu tun hatten. Während die Experten noch nach Lösungen suchten, hatte die deutsche Skandalisierungsindustrie aus Oxfam, Foodwatch und anderen die Schuldigen sehr schnell gefunden: die Spekulanten an den Börsen. Sie wetteten auf immer höhere Preise und machten so Brot und Reis für die Armen unerschwinglich, hieß es.

(Foto: N/A)

Ökonomen haben schon lange die Luft aus dieser Argumentationsblase gelassen. Ja, Spekulation kann schon einmal kurz Preise verzerren, mittel- und langfristig bestimmen aber Angebot und Nachfrage nach den physischen Produkten die Preise. Auch der niederträchtigste Spekulant kann sich nicht seinen Wunschpreis herbei spekulieren, jedenfalls nicht bei Agrarprodukten. Warum Weizen, Mais und Soja damals so teuer wurden, lässt sich leicht erklären: Im Mittleren Westen, einer der wichtigsten Kornkammern der Welt, hatte es eine Jahrhundertdürre gegeben; die Chinesen aßen mehr Hühnchen und kauften mehr Mais auf dem Weltmarkt, um sie zu füttern; ein Drittel der amerikanischen Maisernte ging in die Biospritproduktion.

Danach kam es zu genau der Reaktion, die die herkömmliche Theorie erwarten lässt: Die höhere Nachfrage ließ die Preise steigen. Aber genau das war Teil der Lösung. Weil sie mehr verdienen konnten, nahmen Farmer in North Dakota und im Süden Kanadas brachliegendes Land unter den Pflug. Die Chinesen reagierten auf den Preis und fragten weniger Mais nach. Schließlich kam 2014 die Natur zu Hilfe in Gestalt einer Rekordernte.

Heute sind die Probleme von 2011 und 2012 vergessen. Lebensmittel sind billig, erschreckend billig für viele. Die Bauern leiden, viele Milchbetriebe werden verschwinden, besonders die kleinen in Süddeutschland, aber auch welche in Teilen der Vereinigten Staaten. An der Börse Chicago hat sich der Milchpreis seit 2012 halbiert. Kein Mensch redet mehr von den Spekulanten, die neuen Schuldigen sind die Discounter und die Verbraucher, die nicht bereit seien, mehr für Lebensmittel zu zahlen.

Man muss die Sorgen der Bauern sehr ernst nehmen. Ihre Lage ist durch Fehler der Agrarpolitik und falsche Empfehlungen des Bauernverbandes verschlimmert worden. Im Kern jedoch geht es ganz einfach um Angebot und Nachfrage. Am besten wäre es, die Bauern könnten sich wirksam gegen so einen plötzlichen Preisverfall versichern. Die gibt es in Ansätzen in vielen Ländern, nirgendwo so umfassend wie an der Börse Chicago. Dort können seit über 100 Jahren Farmer mittels Terminkontrakten darauf wetten, dass die Preise sinken und sich so gegen genau dies Ereignis schützen. Dazu brauchen sie aber jemanden, der die Gegenwette eingeht, der also auf steigende Preise setzt, zum Beispiel - Spekulanten.

Das Handarchiv jedenfalls bedarf der Ergänzung.

© SZ vom 27.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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