Pipers Welt:Leben und Tod

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Deutschland streitet derzeit darüber, wie die Zahl der Organspenden deutlich erhöht werden kann, ohne die Freiheitsrechte zu verletzen. Dies ist nicht leicht, aber Erkenntnisse der Verhaltensökonomie könnten dabei helfen.

Von Nikolaus Piper

Fragt man Ökonomen, warum sie einst ihr Fach gewählt haben, dann sagen sehr viele: "Weil ich die Welt verbessern wollte." Das steht in krassem Gegensatz zur verbreiteten Ansicht, Ökonomie sei eine kalte, herzlose Wissenschaft mit einem verqueren Menschenbild. Und diese Beobachtung führt direkt zur Debatte über Organspenden, die Jens Spahn losgetreten hat. Der Gesundheitsminister schlug vor, die so genannte Widerspruchslösung einzuführen, nach der jeder automatisch Organspender ist, sofern er dies nicht explizit ausschließt. Spahn will so die Zahl der Organspender erhöhen, die zuletzt bedrohlich gesunken ist. Seine Gegner warnen vor einer "Organabgabepflicht" und der "Ökonomisierung" des menschlichen Körpers.

Die Frage ist, ob diese Ökonomisierung wirklich etwas Schlimmes ist, oder ob nicht gerade die ökonomische Analyse dabei helfen kann, eine ethisch fundierte Entscheidung zu finden. Das Problem liegt ja darin, dass die meisten Menschen zur Organspende bereit sind, wenn man sie danach fragt, dass sie aber nicht so handeln. Sie füllen keinen Organspende-Ausweis aus, weil sie Angst haben, weil sie dem System misstrauen oder einfach, weil sie träge oder desinteressiert sind. Es geht also darum, wie man die Menschen dabei hilft, ihre eigenen Werte zu leben. Das ist das Forschungsgebiet der Verhaltensökonomie. Sie beschäftigt sich unter anderem mit " Nudging" ("Anstupsen"), Methoden also, mit denen Menschen zu pro-sozialem Verhalten bewegt werden sollen. Nudging wird oft vorgeworfen, es diene der Manipulation von Menschen. Aber stimmt das?

Was Verhaltensökonomie kann, lässt sich sehr schön beim Thema Spendernieren zeigen. Viele Menschen sind bereit, eine Niere zu spenden - nicht abstrakt, wohl aber für einen Ehepartner oder einen engen Freund. Bekanntestes Beispiel ist der heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der 2010 seiner Frau Elke Büdenbender mit einer seiner beiden Nieren das Leben rettete. Steinmeier und Büdenbender hatten Glück, weil bei ihnen die Blutgruppen passten. Viele andere Paare aber haben dieses Glück nicht. So entsteht eine Situation, in der es einen Bedarf gibt ebenso wie ein Angebot, dass aber beide nicht zusammenkommen. Was Ökonomen in so einem Falle zunächst einfällt, ist, einen Markt zu organisieren. Der aber verbietet sich aus ethischen Gründen, denn er würde dazu führen, dass reiche Leute ärmere für eine Niere bezahlen.

Die Lösung des Problems ist die Überkreuzspende von Nieren: Wenn die Niere von Spender A nicht zu dessen bedürftigem Partner A' passt, spendet er sie an den bedürftigen B', während dessen Partner B sein Organ an A' gibt. Das Prinzip funktioniert um so besser, je mehr Spender-/Empfänger-Paare sich daran beteiligen. Und hier kommt die Ökonomie ins Spiel. Der amerikanische Professor Alvin Roth, Nobelpreisträger des Jahres 2012, entwickelte das Modell einer Nierentauschbörse, das sich in der Praxis bewährt hat.

Nun ist die Niere insofern ein besonderes Organ, als es von Lebenden gespendet werden kann. Bei Jens Spahns Vorschlag einer Widerspruchslösung geht es hingegen um den Fall, dass Organe von Toten, zum Beispiel von Unfallopfern, gespendet werden müssen. Auch damit haben sich Verhaltensökonomen beschäftigt. Zum Beispiel Richard Thaler von der Universität Chicago. Als Thaler im vorigen Jahr mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, meinte er, seine wichtigste Erkenntnis liege darin, "dass wirtschaftlich Handelnde menschlich sind und Wirtschaftsmodelle das berücksichtigen müssen". In seinem Buch "Misbehaving" erörtert Thaler auch die Widerspruchslösung zur Organspende (er nennt sie presumed consent, "angenommene Zustimmung"). Thaler räumt ein, dass das Modell auf eine gewisse Weise sehr erfolgreich ist. In Ländern, die danach verfahren, entscheide sich fast niemand gegen Organspenden.

Kein Widerspruchsmodell, aber eine Pflicht, sich zu entscheiden

Trotzdem verwirft Thaler diese einfache Lösung, und zwar, weil sie in Wirklichkeit nicht einfach ist. Im Ernstfall, wenn ein Mensch einen tödlichen Unfall erlitten hat und sein Körper theoretisch für Organspenden zur Verfügung steht, sei die Lage oft uneindeutig, meint Thaler. Wo es die Widerspruchslösung gibt, fragten Notärzte meist erst noch die Angehörigen, ob sie Einwände gegen die Organentnahme hätten. Und die müssten dann in einer seelischen Ausnahmesituation herausfinden, ob der Verstorbene sich nicht vielleicht doch irgendwo dagegen ausgesprochen hat, Organspender zu werden. Thaler schlägt eine andere Lösung vor: "mandated choice" ("Pflicht zur Entscheidung"). Die wird zum Beispiel im US-Bundesstaat Illinois praktiziert: Dort muss man alle vier Jahre seinen Führerschein erneuern. Jedes Mal wenn dies geschieht, muss sich der Inhaber oder die Inhaberin für oder gegen Organspenden entscheiden. Das Ergebnis wird auf dem Dokument eingetragen. In Alaska und Montana, wo die Regelung ebenfalls gilt, sind 80 Prozent der Bürger bereit zu Organspenden.

Für Deutschland hat der Ökonom Jürgen Schupp, Vizedirektor des Sozio-Ökonomischen Panels in Berlin, zwei alternative Modelle vorgeschlagen. Entweder man benutzt den Personalausweis: Jedes Mal, wenn ein Bürger einen neuen beantragt, muss er sich entscheiden, ob er Organspender sein möchte oder nicht. Dass Modell hätte den Vorteil, dass die Entscheidung klar dokumentiert und auch leicht zu revidieren wäre. Oder aber die Entscheidung wird in einem zentralen Register bei der Bundesnotarkammer hinterlegt, so wie heute schon Testamente. Bei all diesen Modellen ist der Wille des Betroffenen klar. Die Menschen werden nicht manipuliert, im Gegenteil.

Manchmal sollte man ethische Fragen doch ökonomisieren.

© SZ vom 14.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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