Paul Kirchhof:Der Buhmann

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Geschlagen zieht sich der Steuerprofessor wieder nach Heidelberg zurück -Aufstieg und Fall eines Quereinsteigers, der Politik mitgestalten wollte.

Marc Beise

Nur mühsam findet Paul Kirchhof die Sprache wieder. Am liebsten gar keine Interviews will der Rechtsprofessor geben, keine Rechtfertigungen, nur weg jetzt aus dem brodelnden Berliner Politikbetrieb. Finanzminister einer Unions/FDP-Koalition hatte er werden sollen, der CDU-nahe Rechtsprofessor aus Heidelberg, der bekannte Steuerreformer - jetzt ist alles aus.

Angela Merkel, die ihn vor vier Wochen persönlich auserkoren hatte und sich zunächst in seinem Glanze sonnte, hat an diesem Montag das Interesse an Paul Kirchhof sichtlich verloren. Auf ihn angesprochen, sagt sie nur: "Ich habe mit ihm gesprochen, ihm gedankt für seine Mitarbeit. Darüber hinaus ist mir nichts zu Ohren gekommen."

Kurz, aber heftig

Die Wahlverliererin vom Sonntag hätte ihren Kandidaten nur fragen brauchen: "Ich werde mich jetzt wieder auf meine Aufgabe als Professor für Staatsrecht und Steuerrecht konzentrieren", umschreibt er sein Scheitern. Seine Anstöße würden sich in der Politik bestimmt weiterentwickeln, so der Wissenschaftler tapfer. "An dieser Entwicklung werde ich auch weiter mitwirken, wenn auch nicht aktiv in der Politik."

Vom Hoffnungsträger über das Feindbild zum Buhmann - der Ausflug des exzellenten Hochschullehrers und Steuerrechtlers in die praktische Politik war kurz, aber heftig.

Als sicheren Finanzminister hatte er sich bereits gesehen, und an diesem Ziel hielt er bis zum Wahltag fest, obwohl da der Widerstand gegen ihn auch in den eigenen Reihen bereits gefährlich zugenommen hatte.

"Kirchhof ist zur Belastung geworden, der wird nichts mehr nach der Wahl", hieß es aus dem Umfeld derjenigen, die dem Quereinsteiger tags darauf in der Sitzung von Merkels Kompetenzteam auf die Schulter klopften und sagten: "Prima, Herr Professor, weiter so."

Kirchhof wollte es gerne so hören, und blieb sich seiner Sache sicher. Wenn es zu einer Unions/FDP-Regierung kommen würde, da war er selbst ganz sicher, werde er, wie von Merkel versprochen, im Kabinett sitzen - um sich dann den ganz großen Traum erfüllen zu können: ein neues Steuerrecht schaffen, einfach, klar und gerecht.

Zunächst freilich, das war ihm klar, würde er den Haushalt sanieren müssen, eisern sparen, unbequeme Entscheidungen treffen, aber auch das traute sich der frühere Bundesverfassungsrichter, der brillante Jurist, begeisternde Redner, intellektuelle Kopf zu: "Ich kann das."

Bei einer großen Koalition allerdings, das musste ihm klar sein, wäre sein Ausflug in die Politik beendet, dann würden die personellen Karten neu und anders gemischt.

Bei Kirchhof klingt das dann so: "In einer Regierung, an der die SPD beteiligt ist, sehe ich nicht die Realisierungschancen für mein Steuersystem, die ich brauche." In Wirklichkeit sehen die anderen längst keine Chancen mehr für Paul Kirchhof.

Mit aller Freimut

Ungeniert hatte der frühere Verfassungsrichter im Wahlkampf neben die eher bescheidenen Steuersenkungspläne der Union sein eigenes Modell einer einheitlichen Steuer von 25 Prozent bei Streichung aller Steuervergünstigungen gesetzt - für SPD-Kanzler Gerhard Schröder ein wahres Geschenk.

Mit seinem untrüglichen Instinkt für die Stimmungen im Land nahm der selbst angeschlagene Kanzler die unbekümmerten Gedankenspiele "dieses Professors aus Heidelberg" zur Steuerpolitik auf und konstruierte daraus das Schreckensszenario eines menschenverachtenden Sozialabbaus.

Kirchhof selbst war in der Schlussphase des Wahlkampfes entsetzt und ernüchtert über die Skrupellosigkeit, mit der Schröder mit Halb- und Unwahrheiten jonglierte.

Am Sonntagabend dann, der Professor war in Berlin im Zentrum des Geschehens anwesend, ging alles ganz schnell. Das Experiment war zu Ende, wie auch immer die Koalitionskonstellation in den nächsten Tagen und Wochen entschieden werden wird.

Noch in der Nachwahlnacht kühlte die zweite Reihe ihren Mut an Kirchhof. "Einige Leute wie Kirchhof wissen nicht, wann sie was sagen sollen, und wann sie besser schweigen", diktierte der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok einem Reporter in den Block: "Zum Schluss war die Angst vor Kirchhof größer als die Angst vor Hartz."

"Ein bisschen unglückselig gelaufen"

Die Granden der Partei formulierten vornehmer, aber nicht minder entschieden. Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) begann mit einem Lob für Kirchhof und die Parteivorsitzende, die ihn auserkoren hatte: "Es war die richtige Kandidatin und Kirchhof war auch ein richtiger Mann fürs Kompetenzteam." Aber, so Wulff weiter, die Diskussion um das Steuerkonzept Kirchhofs habe für Irritationen im Wahlkampf gesorgt. Kirchhof habe zwar zugesagt, das Unionsprogramm zu vertreten, es sei dann aber "ein bisschen unglückselig gelaufen".

In der CSU drückt man das direkter aus. Für Parteivize und Sozialexperte Horst Seehofer sind Kirchhofs Ideen "ein Einfallstor für die Sozialdiskussion" der SPD gewesen. Das Wahlprogramm der Union habe viel Soziales enthalten. Aber Kirchhofs Pläne für eine Abschaffung von Pendlerpauschale und steuerfreien Schichtzuschlägen hätten nicht nur bei Audi-Arbeitern für viel Verwirrung gesorgt.In der Tat trug nach Aussage der Wahlforscher Kirchhof einen deutlichen Teil zu den Stimmenverlusten für die Union bei.

Er selbst hält dagegen: "Nicht mein Steuermodell war die Ursache für das schlechte Wahlergebnis der Union, sondern die Fehlinformationen, die darüber in die Welt gesetzt wurden." Dennoch ziehe er sich ohne Bitterkeit zurück. Die vergangenen Wochen seien nicht umsonst gewesen. Alle Menschen wüssten jetzt, dass es mit dem Steuersystem so nicht weitergehen könne. Sagt Paul Kirchhof.

© SZ vom 20.09.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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