Alan Trefler hätte es sich einfach machen können. Er hätte einfach zahlen können. Es hätte ihm viel Geld gespart. Und viel Zeit. Trefler, 59 Jahre alt, ist Gründer und Chef des unbekannten, aber milliardenschweren Softwareunternehmens Pegasystems aus Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts. Pegasystems verkauft Software, die Unternehmen hilft, besser mit Kunden zu kommunizieren, zum Beispiel Datenbanken für Callcenter oder Vertriebsmitarbeiter. Das Geschäft läuft gut, zu den Kunden zählen Vodafone und die Commerzbank, in diesem Jahr erwartet Trefler 653 Millionen Dollar Umsatz, an der Börse ist Pegasystems mehr als zwei Milliarden Dollar wert. Trefler hat immer viel zu tun.
Niemand hätte deswegen gedacht, dass er sich für so eine Kleinigkeit Zeit nimmt. Erst recht nicht sein Angreifer.
Es ist zweieinhalb Jahre her, dass Pegasystems Post von einem Unternehmen namens YYZ bekam, von dem Trefler noch nie gehört hatte. "YYZ ist die Abkürzung des Flughafens in Toronto", sagt er. "Ich dachte erst, das wäre ein kanadisches Reisebüro." Aber YYZ will keine Flüge verkaufen, sondern Geld von Trefler haben - ohne Gegenleistung. Es ging um Lizenzgebühren für zwei Patente für eine Technik, mit der Computer miteinander kommunizieren, Nummer 7.062.749 und Nummer 7.603.674.
"Uns war schnell klar, dass an der Forderung und an den Patenten nichts dran ist."
"Uns war schnell klar, dass an der Forderung und an den Patenten nichts dran ist", sagt Trefler. Wie viel Geld YYZ genau wollte, sagt er nicht. Es war keine riesige Summe, aber es ging Trefler um die Sache. "Ich habe das Gefühl, dass ich gegenüber der gesamten Erfindergemeinde eine gewisse Verantwortung habe, mich auf so etwas nicht einzulassen." YYZ ist ein Patenttroll. Wie in den alten nordischen Sagen, in denen die Fabelwesen unter Brücken lauern und jedem Zoll abknöpfen, der den Fluss überqueren will, verlangen Patenttrolle Geld für freies Weiterwirtschaften. Dabei handelt es sich um Unternehmen, die ein Patent angemeldet haben, das sie nicht oder nicht mehr verwenden, um damit Produkte herzustellen, sondern nur noch, um andere Unternehmen auf Lizenzgebühren zu verklagen. Die einzigen Mitarbeiter sind meist Anwälte. Manchmal kaufen die Trolle die Patente extra ein, nur um mit ihnen zu klagen. Oft sind sie sehr alt und sehr vage, manchmal sind sie geradezu absurd, weil sie etwas für sich beanspruchen, das jeder macht. Die amerikanische Baumarktkette Home Depot wurde zum Beispiel von einem Troll verklagt. Es verstoße gegen ein Patent, die Regale mithilfe von Wlan nachzufüllen.
"Seit einigen Jahren sind Patenttrolle zu einer gigantischen Industrie herangewachsen", sagt Craig Waller von der auf Patentrecht spezialisierten Großkanzlei Webb aus Pittsburgh. Er berät Unternehmen dabei, sich gegen Trolle zu wappnen. "Für die Unternehmen sind die Fälle ein Ärgernis für Zeit und Finanzen, unsere Mandanten sind oft ganz schön sauer." In diesem Jahr werden Prognosen zufolge so viele Patenttrolle auf Lizenzgebühren klagen wie nie zuvor. Allein im ersten Halbjahr sind schon 3050 Klagen bei US-Gerichten eingegangen - das ist Rekord. Fast 70 Prozent davon stammen von Unternehmen, die mit ihrem Patent keine Produkte mehr herstellen, so hat die Anti-Troll-Gruppe Unified Patents gezählt. In der Hightech-Industrie kommen sogar fast 90 Prozent der Patentklagen von Trollen. Die IT-Branche ist überdurchschnittlich betroffen, unter anderem deswegen, weil das US-Patentamt in den Neunzigerjahren den Computererfindern sehr großzügig Patente erteilt hat, die durch die rasante Entwicklung der Technik oft schon damals überholt waren.
Alle großen IT-Konzerne hat es schon getroffen: Amazon, Apple, Google, Cisco. "Mir tun die kleinen Firmen leid, die nicht die Ressourcen haben, um sich zu wehren", sagt Pegasystems-Gründer Trefler. Ein Gericht, das in einem einst verschlafenen Städtchen im Osten von Texas lag und sich dann zur patenfreundlichen Klagestandort erklärte, ist jetzt zur Klagehochburg mit brandneuen Gerichtsgebäuden und den größten Kanzleien in der Stadt geworden. Unternehmer und Wirtschaftsverbände fürchten, dass die Trolle die gesamte Volkswirtschaft und Innovationskraft der USA bremsen. Eine Studie der Boston University aus dem Jahr 2012 bezifferte die Kosten, die amerikanische Unternehmen pro Jahr in die Abwehr von Patenklagen stecken, auf 29 Milliarden Dollar. Geld, das sie nicht in neue Labore, Ideen oder Mitarbeiter investieren.
Die meisten Fälle landen nie vor Gericht, meist zahlen die Unternehmen einfach, wenn sie ins Visier der Trolle geraten. Die Gerichts- und Anwaltskosten, die sie in den USA auch selbst tragen müssen, wenn sie gewinnen, sind höher als die Lizenzgebühren, die der Troll fordert. Trolle kennen ihr Geschäft, sie wissen, wie viel sie verlangen können. Trefler von Pegasystems hat es erst einmal mit Vernunft versucht. "Ich dachte, wenn wir miteinander reden, lässt sich das Problem vielleicht schnell lösen, von Erfinder zu Erfinder", sagt er. Er hat den Chef von YYZ, der die Patente einst angemeldet hatte, mit seinen Anwälten zu sich nach Cambridge eingeladen. Trefler hat erklärt, warum er glaubt, dass das Patent, das YYZ hält, unwirksam ist - und warum seine Technik sowieso mit dem Patent nichts zu tun hat, weil sie anders funktioniert. Zwei Stunden hat das Meeting gedauert. "Am Anfang war es sehr freundlich, am Ende wurde es ungemütlich", sagt Trefler. "Es war klar, dass wir sagen können, was wir wollen, die werden ihre Meinung nicht ändern. Es war Zeitverschwendung. Sie haben sich ständig wiederholt." YYZ wollte nicht klagen, das Unternehmen wollte einen Vergleich. Aber Trefler war jetzt wütend. Und entschlossen.
Pegasystems kontaktierte die anderen Firmen, die YYZ attackiert hatte, darunter Hewlett-Packard und Adobe, und tauschte Schlachtpläne aus. Treflers Rechtsabteilung arbeitete auf Hochtouren, er heuerte spezialisierte Anwälte an und ließ sich von YYZ verklagen. Der Prozess dauerte Jahre. Jetzt hat Trefler recht bekommen, ein Gericht hat das YYZ-Patent für ungültig erklärt. Das Verfahren war zwar deutlich teurer als die erste Forderung des Trolls. Aber Trefler geht in die Geschichte ein - als einer der wenigen, die sich wehren.
Auch in Europa könnte es künftig deutlich mehr Klagen von Patentrechteverwertern geben
Die Trolle sind vor allem ein amerikanisches Phänomen, insbesondere weil man auch belanglose kleinere Softwareprodukte in den USA leichter patentieren lassen kann. Doch es gibt Befürchtungen, dass auch Europa mehr Klagen von Patentrechteverwertern erleben wird. In Deutschland gab es schon einen prominenten Fall, als die Münchner Firma IPCom Apple auf 1,57 Milliarden Euro verklagte, weil der Konzern für ein Patent nicht zahlen wollte. Apple gewann.
Der Kongress in Washington hat es den Trollen mit einem Gesetz aus dem Jahr 2013 schon schwerer gemacht, sie können jetzt nicht mehr viele vermeintliche Patentverletzer auf einmal verklagen. Gerade arbeiten mehrere Abgeordnete an neuen Versuchen. "Es ist kaum möglich, die Trolle aufzuhalten, weil sie im Kern ja nichts falsch machen: Sie verteidigen ihre Patente", sagt Anwalt Waller. Es sei wichtig für amerikanische Unternehmen, sich ihre Ideen durch Patente zu sichern - auch wenn sie sie gerade nicht verwenden. "Das US-Patentsystem hat die USA zum innovativsten Land der Welt gemacht", sagt Waller. "Diejenigen herauszufiltern, die das System missbrauchen, und gleichzeitig nicht den Schutz des Patentsystems abzuschwächen, ist enorm schwer."
Trefler ist davon überzeugt, dass man den Trollen nach und nach das Handwerk legen kann, wenn mehr Unternehmen die Fälle wirklich vor Gericht zu Ende verhandeln wie er. "Nichts wäre schlimmer, als dieses Verhalten der Trolle zu bestärken", sagt er. "Wenn wir diese falschen Forderungen einfach erfüllen, leidet die ganze Gemeinschaft der Erfinder."