Ökologische Risiken:"Bürger können ruhiger schlafen"

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Sven Giegold, 48, ist Mitglied der Grünen im Europäischen Parlament. Er sitzt im Ausschuss für Wirtschaft und Währung und gilt als Experte für Finanzthemen. Giegold war Mitgründer von Attac-Deutschland. (Foto: privat)

Der Europaabgeordnete Sven Giegold hofft auf den Erfolg des neuen Finanzmarkt-Labels, das grüne Investitionen stärken soll.

Interview von Harald Freiberger

Sven Giegold sitzt für die Grünen im Europaparlament. Im Interview erklärt er, warum er die Vorschläge der Expertenkommission zur nachhaltigen Finanzierung unterstützt. Die EU-Kommission hat dazu ein Gesetz eingebracht.

SZ: Herr Giegold, wie finden Sie die Vorschläge der Expertenkommission?

Sven Giegold: Das Ziel ist absolut richtig, vor allem, dass alle Unternehmen ab einer bestimmten Größe ihr Portfolio auf ökologische Risiken überprüfen müssen. Es besteht eine große Gefahr, dass es zu einer disruptiven Umschichtung kommt. In dem Moment, wo die Weltgemeinschaft beschließt, ernsthaften Klimaschutz zu betreiben, kann das eine neue Finanzkrise auslösen.

Was könnte einen solchen disruptiven Moment auslösen?

Wir wissen nicht, wann die öffentliche Wahrnehmung der Klimakatastrophe kippt. Aber wir sehen, wie Politik leider meist funktioniert. Alle reden von Klimaschutz, aber wenn es darum geht, Braunkohlekraftwerke abzuschalten, werden doch lieber wieder Bäume abgeholzt. So ähnlich ist es in vielen Staaten. Wenn die Folgen des Klimawandels so spürbar werden, dass ein Fukushima-Moment entsteht, reagiert Politik in der Regel stärker. Und dann werden die wirtschaftlichen Risiken schlagend.

Was sind solche Risiken genau?

Industrieunternehmen, die an Rohstoffen oder Technologien hängen, die auf fossilen Energien beruhen, werden früher oder später einen Schock erleben, wenn sie sich nicht an die Spitze der Bewegung stellen und aus den fossilen Energiequellen aussteigen. Das trifft auch diejenigen, die in solche Unternehmen investieren. Versicherungen und Pensionsfonds können dann etwa die Forderungen ihrer Anleger nicht erfüllen. Das ist ein potenzielles Systemrisiko. Umgekehrt haben jene enorme Gewinnchancen, die frühzeitig in Zukunftsenergien investieren. Das müssen alle Unternehmen jetzt schon in ihre Strategie einbeziehen. Viele machen das bereits. Aber die, die es nicht machen, sind eine Gefahr für uns alle.

Übertreiben Sie da nicht etwas?

Die Risiken des Klimawandels kann niemand mehr leugnen. Es ist auch eine Frage des Anlegerschutzes. Wenn jemand Geld anlegt, sollte er gefragt werden, ob er auf Nachhaltigkeit Wert legt: auf ökologische Grundsätze, aber auch auf soziale und solche der guten Unternehmensführung. Es gehört zu den Pflichten eines Portfoliomanagers, das zu überprüfen. Das war auch eine wichtige Forderung der Expertengruppe, die sich in den Gesetzesvorschlägen der EU-Kommission wiederfindet. Anleger sollen entscheiden können, was ihr Geld in der Welt macht. Und die Portfoliomanager müssen das berücksichtigen. Dabei wird ein grünes Finanzmarktlabel helfen. Es wird Investitionen in Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung sichtbar machen und damit stärken.

Ist es Ihr Ziel, dass jede Investition auf diese Kriterien hinterfragt wird?

Grüne Finanzmärkte können grüne Politik nicht ersetzen. Finanzmärkte können nur finanzieren, was sich rechnet. Wenn Verbraucher weiter billiges Fleisch haben wollen, können sie von den Finanzmärkten nicht erwarten, dass sie keine Investitionen in Massentierhaltung mehr finanzieren. Es ist eine Aufgabe der Verbraucher und der Politik, dafür zu sorgen, dass die Massentierhaltungsställe nicht mehr möglich oder rentabel sind. Das Finanzsystem kann Wandel unterstützen, aber nicht die Aktivitäten von Verbrauchern, Unternehmern und Politikern ersetzen. Am Ende müssen die Vorgaben immer von der Politik gemacht werden.

Was bringt das grüne Finanzmarktlabel?

Wir hoffen, dass es so erfolgreich wird wie das Biosiegel. Früher gab es viele einzelne Siegel wie Bioland, Demeter und andere. Erst mit der Vereinheitlichung auf das EU-Biosiegel haben Bioprodukte ihren Siegeszug angetreten. In Sachen Nachhaltigkeit ist das auch nicht neu, manche Unternehmen haben Pionierarbeit geleistet. Man muss jetzt nur die stärksten Ideen verbinden und zu einem europaweiten Siegel verdichten.

Es kam immer wieder zu Fällen, in denen gut gemeinte Vorhaben Anleger geschädigt haben. Der Solarboom hat zu Pleiten geführt. Es gab auch betrügerische Dinge wie bei der Windkraftfirma Prokon. Lässt sich so etwas mit den Vorschlägen der EU-Kommission künftig eher verhindern?

Ökologische Unternehmen können genauso schlecht geführt und betrügerisch sein wie andere. Das sind ja nicht alle gute Menschen. Umgekehrt haben mit Solarenergie auch viele Anleger gutes Geld verdient, besonders auch mit dem Betrieb der Anlagen. Dass Hersteller in Deutschland auskonkurriert wurden, ist Teil der Marktwirtschaft und zudem von der Bundesregierung unnötig beschleunigt worden. Wir wollen aber auch die Kraft des Wettbewerbs, um die besten ökologischen Lösungen zu suchen. Man kann niemandem versprechen, dass es, wenn es um soziale und ökologische Investitionen geht, nur noch ein Federbett voller Rendite gibt. Das ist weder gewollt noch ehrlich. Betrügereien wird es immer geben, dagegen muss man im Ökobereich natürlich genauso vorgehen wie woanders auch. Bei Prokon haben in der ökologischen Finanzszene vorher viele gewarnt. Da muss man sich fragen, ob es nicht ein massives Aufsichtsversagen war, dass dieser Akteur am Markt bleiben konnte.

Auf Hauptversammlungen werden die Unternehmen oft kritisiert, weil sie Waffengeschäfte finanzieren oder Menschenrechte verletzen. Gibt es da eine Verbindung zu den Vorschlägen der EU-Kommission?

Ja, es geht nicht nur darum, dass Geld klimafreundlich ist, sondern genauso Menschenrechte achtet und keine korrupten Regimes fördert. Das ist für Unternehmen ein großes Reputationsrisiko. Es ist klug, dies einzubeziehen. Viele Portfoliomanager machen das auch schon. Sie werden vorsichtiger bei Unternehmen, gegen die protestiert wird, weil das irgendwann das Geschäftsmodell zerstören kann.

Was konkret?

Es gibt im internationalen Handel immer noch Unternehmen, die Arbeitnehmer sklavenartig beschäftigen und damit Produkte herstellen. Das sind Grundrechtsverletzungen. Natürlich muss es Ziel der Politik sein, dass das irgendwann beendet wird. Aber es ist auch die Aufgabe von einzelnen Verbrauchern, Unternehmern und Investoren, Grundrechtsverletzungen über die gesamte Lieferkette auszuschließen.

Was können die Vorschläge im besten Fall bewirken?

Mehr Unternehmen werden aus den fossilen Energien und sozial unverantwortlichen Geschäftsfeldern aussteigen. Sie werden das jetzt tun und nicht warten, bis die Politik reagiert. Es wird leichter werden, Finanzierungen für nachhaltige Investitionen zu finden. Und ich glaube, dass Bürgerinnen und Bürger auch ruhiger schlafen können, weil sie wissen, dass ihre Rente nicht in Gefahr ist, wenn sich der Klimawandel noch weiter beschleunigt.

© SZ vom 20.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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