Nürnberg:Angst vorm Schleudergang

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Auch nach dem Streik bangen die AEG-ler um ihre Arbeitsplätze, denn der schwedische Mutterkonzern will das Schonprogramm abschaffen.

Uwe Ritzer

Auch Protestieren macht irgendwann müde. Also fuhr die letzte Hand voll Streikender gegen Mitternacht die beiden eigens zum Zwecke der Werksblockade angemieteten Transporter weg vom Fabriktor, räumte noch einige Spuren des zurückliegenden Tages von der Muggenhofer Straße und ging dann zum Schlafen nach Hause.

So wurde es für ein paar Stunden sehr still vor dem Nürnberger AEG-Werk, in dem sonst rund um die Uhr Waschmaschinen, Geschirrspüler und Trockner montiert werden, 1,4 Millionen Geräte im Jahr. Das industrielle Leben kehrte erst zurück, als am Donnerstag früh kurz vor sechs Uhr Betriebsräte die Protesttransparente vom Zaun schnitten, die Pförtner das Werkstor aufsperrten und die Frühschicht die Bänder wieder anwarf.

Unspektakulär, als wäre nichts Besonderes geschehen, ging zu Ende, was großes Aufsehen erregt hatte. 24 Stunden lang hatten 2000 Beschäftigte die über 80 Jahre alte Fabrik hermetisch abgeriegelt, "um ein klares Signal zu setzen", wie Jürgen Wechsler sagt, der stellvertretende Chef der Nürnberger IG Metall und des AEG-Aufsichtsrates.

"Ein paar Hosenscheißer"

Die Empfänger sitzen in Stockholm, im Hauptquartier des weltgrößten Haushaltsgerätekonzerns Electrolux, und es ist nicht bekannt, ob sie das Signal aus Nürnberg beeindruckt oder kalt gelassen hat. Im Frühjahr hatte Konzernchef Hans Straberg angekündigt, die Hälfte der 27 Standorte in Hochlohnländern zu schließen. Weil sie zu teuer seien, was die Gewinne drücke, die Rentabilität gefährde.

Damals schlich die Angst in das Werk der Nürnberger Electrolux-Tochter AEG. Sie brach aus, als die Schweden im Juni begannen, die Schließung konkret zu überprüfen. Seither stehen dort 1750 der insgesamt 2500 AEG-Arbeitsplätze auf der Kippe.

Konzernlenker Straberg erklärt ausgewählten Journalisten ein ums andere Mal, dass der Rohstoff Stahl immer teurer werde, während aggressive türkische und asiatische Billiganbieter mit ihren Waschmaschinen und Geschirrspülern die Preise kaputtmachten. Und er beklagt Überkapazitäten auf dem Markt, die Electrolux allerdings selbst mit aufgebaut hat. Etwa in Gestalt zweier neuer Werke in Polen, wo von 2006 an jene Geräte vom Band rollen werden, wie man sie jetzt noch in Nürnberg zusammenschraubt. Wo die Geräte montiert würden, interessiere niemanden; entscheidend sei für den Verbraucher nur der Preis, sagen die Electrolux-Manager.

Einige dieser Manager hat Harald Dix gestern in Frankfurt getroffen und ihnen 2000 Unterschriften für den Erhalt des Standortes Nürnberg in die Hand gedrückt. Vermutlich hat der dortige Betriebsratschef noch einmal auf das 15-Millionen-Euro-Sparpaket verwiesen, in dem die Beschäftigten Verzicht anbieten, um ihre Arbeitsplätze zu retten. Im Gegenzug fordern sie von Electrolux eine Bestandsgarantie bis Ende 2010.

Mit seiner randlosen Brille und dem streng zurückgekämmten Haar ähnelt Harald Dix äußerlich eher dem Klischeebild eines Gymnasiallehrers als dem eines Arbeiterführers. Wenn er öffentlich spricht, formuliert er nachdenklich, fast vorsichtig. Beim Protest vor dem Werk aber war ihm der Kragen geplatzt, und er hatte wütend ins Mikrofon gebrüllt, dass es unter den Vorgesetzten bei AEG "ein paar Hosenscheißer" gebe. Statt sich mit den Kollegen aus der bedrohten Produktion solidarisch auf die Straße zu stellen, hatten sie heimlich 20 Leute des firmeneigenen Call-Centers ins 20 Kilometer entfernte Erlangen ausquartiert.

Deshalb brachen der telefonische Kundendienst und Reklamationsservice von AEG auch nicht zusammen. Überhaupt hat am Tag danach die Diskussion darüber begonnen, was die Werksblockade gebracht hat. IG-Metaller Jürgen Wechsler nennt sie "einen Riesenerfolg, denn es gab keinen einzigen Streikbrecher".

Die 20 Abtrünnigen in Erlangen zählt er nicht. Berthold Huber, der stellvertretende Bundesvorsitzende der IG Metall, sah von Nürnberg aus ein Zeichen "in die gesamte Republik ausgehen, dass die Arbeitnehmer sich nicht wie Opferlämmer zur Schlachtbank führen lassen". Tatsächlich mischte sich aber kaum neue Hoffnung in die Resignation derer auf der Muggenhofer Straße, an deren Nerven die nun schon monatelange Hängepartie um ihre Zukunft zehrt und die eine Entscheidung herbeisehnen, egal wie diese aussieht. Hauptsache endlich Klarheit.

20 Jahre Endmontage

Wobei kein Nürnberger AEG-ler noch ernsthaft daran zu glauben scheint, dass die Electrolux-Spitze frühestens am 24. Oktober etwas anderes beschließt, als das Werk zuzusperren. Für diesen Fall wollen die Beschäftigten sofort in einen dauerhaften Streik treten. Die IG Metall bereitet schon einen Arbeitskampf um einen Sozialtarifvertrag vor. Ihr bayerischer Bezirksleiter Werner Neugebauer droht, Electrolux werde am Ende mehr als die selbst veranschlagten 230 Millionen Euro für die Werksschließung auf den Tisch legen müssen.

"Früher wurde bei AEG weniger über Geld und mehr über Qualität geredet", sagt Rudolf Strömsdorfer. Seit 29 Jahren ist der Vorarbeiter in der Waschmaschinen-Endmontage beschäftigt, seine Frau Inge steht dort seit 20 Jahren am Band. Er klingt verbittert, wenn er erzählt, dass es zwei Klassen ein und derselben Waschmaschine gibt.

Die eine, sagt er, verlasse als AEG-Gerät, nicht sonderlich beworben, das Werk. Die nahezu identische Electrolux-Maschine würde mit einem lockenden Schildchen beklebt: "Bestes Preis-Leistungsverhältnis" steht darauf. Das Beispiel zeige, sagt Strömsdorfer, dass "den Obersten in Schweden" nichts an der deutschen Traditionsmarke liege und nichts an ihnen, den Menschen in diesem Werk, in das womöglich die Stille bald dauerhaft einziehen wird.

© SZ vom 7.10.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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