Notenbanken:Das letzte Tabu

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Die Schweizerische Nationalbank kauft sich an der Wall Street ein. Das Beispiel könnte Schule machen. Wenn die Währungshüter den Aktienmarkt entdecken, droht eine neue Blase.

Von Catherine Hoffmann, München

Wenn die Aktienkurse kräftig steigen, dann muss die Nachfrage groß sein. Beim jüngsten Aufschwung an den US-Börsen hat jedenfalls ein ungewöhnlicher und mächtiger Investor mitgemischt: Die Schweizerische Nationalbank (SNB). Immer öfter steckt sie ihre Devisenreserven nicht in Anleihen sondern in Aktien von Unternehmen aus der ganzen Welt. Ende 2010 betrug der Aktienanteil ihrer Vermögensanlagen noch 8,3 Prozent, inzwischen sind es 18,4 Prozent. Allein in den vergangenen zwölf Monaten hat sich das Aktiendepot der Schweizer um 41 Prozent auf 127 Milliarden Franken vergrößert.

Mit ihren Aktienkäufen ist die SNB Vorreiter. Andere großen Notenbanken wie die Europäische Zentralbank (EZB), die Bank von England oder die Federal Reserve (Fed) halten sich bislang noch zurück. Der Fed ist es auch gar nicht erlaubt, in Aktien zu investieren - aber so ein Gesetz lässt sich natürlich ändern. "Innerhalb der EZB wird sehr wahrscheinlich über Aktienkäufe diskutiert", sagt Martin Hellmich, Professor an der Frankfurt School of Finance and Management. "Ich halte es für ziemlich sicher, dass die EZB bald auch in Aktien investieren wird."

Mit ihrem Anleihekaufprogramm haben die europäischen Währungshüter nicht erreicht, was sie erreichen wollten: Eine stärkere Kreditvergabe und mehr Wachstum, gerade auch in den kriselnden Euro-Staaten Italien, Spanien oder Portugal. Wenn nicht in Kürze klare Erfolge sichtbar werden, kann es gut sein, dass EZB-Chef Mario Draghi es dem SNB-Präsidenten Thomas Jordan gleichtut und er statt Schuldpapieren auch Aktien kauft.

Mittlerweile gilt die SNB als achtgrößter öffentlicher Investor der Welt - nach den großen Staatsfonds von China oder Saudi Arabien, schätzt das Official Monetary and Financial Institutions Forum. SNB-Chef Jordan äußert sich nicht dazu, welche Aktien seine Bank gekauft hat. Aus Veröffentlichungen der US-Börsenaufsicht SEC kann man aber zumindest sehen, wie stark sie in den Vereinigten Staaten engagiert ist. Die SNB zählt inzwischen zu den bedeutendsten Anteilseignern vieler Top-US-Konzerne wie zum Beispiel Apple, Microsoft, Exxon Mobil, Johnson & Johnson und Amazon. Das Aktiendepot beschert den Eidgenossen stattliche Gewinne, abzulesen auch am steilen Kursanstieg der SNB-Aktie in den vergangenen Monaten.

Die Schweizerische Nationalbank ist heute der achtgrößte öffentliche Investor der Welt. (Foto: Valentin Flauraud/Bloomberg)

Was treibt die Schweizer zu so außergewöhnlichen Maßnahmen? Offiziell verfolgt Jordan das hehre Ziel, die massive Aufwertung des Franken zu bremsen, der seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 als sicherer Hafen begehrt ist. Da der starke Franken der Schweizer Wirtschaft schadet, kauft die SNB riesige Mengen an Euro und Dollar. So bringt sie mehr Franken im Umlauf und schwächt die eigene Währung. Bislang steckt die Notenbank ihre Devisen vor allem in Staatsanleihen. Doch die werden durch die starke Nachfrage der Währungshüter langsam knapp. Und Geld verdienen lässt sich mit den Schuldpapieren angesichts oft negativer Zinsen auch nicht.

Also kaufen die Schweizer immer öfter Aktien aus dem Ausland. Investitionen in Schweizer Unternehmen sind tabu, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Solche Konflikte sind natürlich auch im Ausland denkbar. Was wäre, wenn zum Beispiel die SNB plötzlich Großaktionär bei Volkswagen würde? Oder bei einem staatsnahen Unternehmen in Frankreich? Wie würden die Nachbarn auf solche Investitionsentscheidungen reagieren? Diese Frage kümmert die Schweizer offenbar wenig. Sie orientieren sich bei ihrer Geldanlage wie andere Vermögensverwalter auch an Kriterien wie Sicherheit, Liquidität und Ertrag.

Auch in Japan steckt die Notenbank Milliarden in den Aktienmarkt. Sie konzentriert sich dabei allerdings auf heimische Unternehmen, die sie indirekt über börsengehandelte Indexfonds erwirbt, die zum Teil eigens für die Bank von Japan aufgelegt werden. Das jährliche Kaufvolumen beträgt 5,7 Billionen Yen, rund 50 Milliarden Euro. Die Käufe sollen die Preise für Konzerne erhöhen, damit Investitionen in neue Fabriken im Vergleich zu Firmenübernahmen wieder attraktiv werden. Zudem hoffen die Notenbanker auf einen Vermögenseffekt: Steigende Aktienkurse sollen die Stimmung der Verbraucher heben, am besten so sehr, dass auch der Konsum zunimmt und die Wirtschaft belebt wird. So möchte man einen künstlichen Boom erzeugen. Ganz nebenbei helfen steigende Aktienkurse auch Lebensversicherungen und Pensionsfonds, denen die Niedrigzinsen zu schaffen machen.

SZ-Grafik; Quellen: Nasdaq, SEC (Foto: SZ-Grafik)

Im Gegensatz zu einem Staatsfonds braucht eine Notenbank weder Einnahmen aus dem Verkauf von Öl noch aus Steuern - sie kann Geld aus dem Nichts schöpfen und quasi per Knopfdruck Aktien kaufen wie die Schweizer. Für die Notenbank ist das ein lohnendes Geschäft: So kann sie ein riesiges Portfolio an Unternehmensbeteiligungen aufbauen, die echte Gewinne abwerfen, statt bloß zinslose Schuldpapiere anzuhäufen. "Damit trifft die SNB auch Vorkehrungen, um am Tag der Wahrheit nicht ausschließlich auf Staatsanleihen zu sitzen, die einer möglichen Inflation schutzlos ausgeliefert wären", sagt Philipp Vorndran, Kapitalmarktstratege beim Vermögensverwalter Flossbach von Storch. In der Bilanz der Deutschen Bundesbank türmten sich dagegen zweifelhafte Forderungen an die EZB und an andere Euro-Mitglieder - in Form von Target-2-Salden. "Sollte der Euro einmal auseinanderbrechen, säße Deutschland auf einem Berg fauler Forderungen, die Schweiz hingegen auf einem werthaltigen Aktienportfolio", resümiert Vorndran.

Für Anleger ist die große Abhängigkeit der Finanzmärkte von der Geldpolitik ein Problem. "Ein erheblicher Teil der Wertpapierpreise wird schon heute verzerrt", sagt Hellmich. Es wird noch schlimmer, wenn das Beispiel SNB Schule macht. "Nachdem die Notenbanken den Sparern zunächst die Zinsen geraubt haben, dürften sie ihnen zukünftig auch noch die Aktien wegschnappen", glaubt Vorndran. Er denkt dabei vor allem an Mario Draghi und die EZB. Dividendenpapiere hält Vorndran nach wie vor für eine gute Geldanlage, Aktien seien "definitiv nicht teuer" - noch. Wenn allerdings noch mehr große Notenbanken einsteigen, könnte sich das schnell ändern. "Am Aktienmarkt droht eine künstliche Blase - so wie wir sie am Anleihenmarkt schon haben", sagt Hellmich.

Für Anleger wie Notenbanker stellt sich dann vor allem eine Frage: Wie kommen die Währungshüter aus dieser Nummer wieder raus, ohne einen Crash auszulösen?

© SZ vom 25.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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