Norwegian:Der Gründer geht, die Probleme bleiben

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Nach 17 Jahren tritt Norwegian-Chef Björn Kjos zurück. Er hat viel geleistet, aber seine Airline ist inzwsichen zum Sanierungsfall geworden.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Bjørn Kjos trat ans Podium und lächelte. Dies sei nun der letzte Auftritt dieser Art und - falls das jemand fragen wolle - nein, es tue ihm nicht leid. Ganz im Gegenteil: "Ich bin lang überfällig." Sein Nachfolger solle sich nun bitte um die Mühen des Tagesgeschäftes kümmern, findet Kjos. Außerdem: "Niemand sollte eine Fluggesellschaft leiten, wenn er über 70 Jahre alt ist." Kjos ist 72.

Nach 17 Jahren an der Spitze der Billigfluggesellschaft Norwegian ist also Schluss. Kjos übergab seinen Posten am Donnerstag an den bisherigen Finanzvorstand Geir Karlsen, der die Geschäfte vorerst als Interimschef leiten soll. Kjos selbst soll den neuen Verwaltungsratschef Niels Smedegaard beraten und strategisch wichtige Projekte betreuen. Er ist auch deswegen noch nicht ganz weg, weil er weiterhin gemeinsam mit seinem langjährigen Geschäftspartner Bjørn Kise rund 20 Prozent der Norwegian-Anteile hält.

Dennoch: Die Entscheidung markiert eine Zäsur für das Unternehmen aus Norwegen und vielleicht auch für die europäische Luftverkehrsindustrie. Kjos wird auch von Konkurrenten gelobt für seinen unternehmerischen Mut. Er hat quasi aus dem Nichts eine große Airline geschaffen: 37 Millionen Passagiere, 11 000 Mitarbeiter, 170 Flugzeuge. Norwegian bezeichnet sich als fünftgrößte Billig-Airline der Welt. Und Kjos hat als Erster das Billigflugkonzept auch auf den Langstrecken etabliert. Norwegian ist heute der größte ausländische Anbieter in New York und Los Angeles, die USA sind der größte Einzelmarkt.

Und gleichzeitig kämpft Norwegian ums Überleben. Die Gesellschaft war vor allem in den letzten Jahren enorm gewachsen. 2018 brachte die Airline 37 Prozent mehr Kapazität auf den Markt als im Vorjahr, der operative Verlust verdoppelte sich auf fast 400 Millionen Euro. British-Airways-Muttergesellschaft International Airlines Group (IAG) zog ein Übernahmeangebot zurück, das sie zuvor mehrfach nachgebessert hatte. Anfang 2019 platzierte Norwegian eine Anleihe, um an frisches Geld zu kommen. Doch Analysten befürchten, dass die Fluggesellschaft innerhalb des nächsten Jahres eine weitere Kapitalspritze braucht, um gegen die in Anleihen festgelegten Auflagen nicht zu verstoßen.

Der Abschied von den Anteilseignern Kjos und Kise könnte den Weg ebnen für ein neues IAG-Übernahmeangebot. Zwar hat der Konzern in der vergangenen Woche einen Bericht dementiert, dass dies vorbereitet werde. Jedoch galten die beiden Veteranen im vergangenen Jahr als die Hauptgegner eines Verkaufs, sie fanden das Angebot nicht hoch genug. Zudem hat sich die wirtschaftliche Lage im Vergleich zu vor einem Jahr nochmals verschlechtert, auch wenn Norwegian im zweiten Quartal einen kleinen Gewinn ausweisen konnte.

Aber auch die Lufthansa könnte wieder zurück im Spiel sein - der Konzern hatte schon 2018 einen Blick in die Bücher bei Norwegian geworfen und sein Interesse an einem Einstieg bekundet. Allerdings geschah dies nur halbherzig, derzeit versucht Lufthansa außerdem, dem Reisekonzern Thomas Cook seinen deutschen Flugableger Condor abzukaufen.

Kjos ist also weg, nun muss Geir Karlsen, 54, die Norwegian-Rettung gelingen. Erschwert wird die Mission dadurch, dass er seinen Posten nur interimistisch innehat. Kjos lobte ihn zwar als "sehr fähig", den Job auch auf Dauer zu übernehmen, doch letztlich entscheidet er dies nicht mehr. Karlsen ist erst seit einem Jahr in der Branche, die Frage ist, ob der Verwaltungsrat nicht einen erfahrenen Manager vorzieht. Frei wäre jetzt Peter Bellew: Konkurrent Ryanair kündigte für das Jahresende den Abgang des Vorstands, der für das operative Geschäft zuständig ist, nur Stunden nach dem Kjos-Rücktritt an. Ziel: unbekannt.

In besseren Zeiten wurden bei Airbus und Boeing zu viele Flugzeuge bestellt

Die Richtung bei Norwegian ist hingegen klar. Das Wachstum wird stark reduziert und die Kosten müssen drastisch gesenkt werden. Bislang sollte die Kapazität 2019 um bis zu zehn Prozent ausgeweitet werden, nun werden es höchstens fünf Prozent. Das Sparprogramm "Focus 2019" hat bislang rund 100 Millionen Euro gebracht, angestrebt ist für das Jahr doppelt so viel. Das Unternehmen bestreitet zudem, weitere Kapitalmaßnahmen zu planen.

Karlsen hat Ideen, wie diese vermieden werden können. So könne Norwegian weitere Flugzeuge verkaufen oder auch Start- und Landerechte. Alleine die sogenannten Slots am Londoner Flughafen Gatwick haben seiner Einschätzung nach einen Wert von bis zu 400 Millionen Dollar. Zudem ist er "optimistisch", dass Norwegian ein Gemeinschaftsunternehmen mit einem nicht identifizierten Partner gründen kann, das als Auftragnehmer in die riesigen Flugzeugbestellungen einsteigt, die die Airline in besseren Zeiten bei Airbus und Boeing abgegeben hat. Rund 140 Flugzeuge wären davon betroffen. Eine Entscheidung soll "in den nächsten Wochen" getroffen werden. Hauptproblem ist offenbar, dass Airbus dem Geschäft zustimmen muss.

Mit Boeing hat Norwegian noch eine andere Rechnung offen: 18 Boeing 737 Max der Fluggesellschaft stehen derzeit wegen des globalen Flugverbotes am Boden, statt 16 weiteren Maschinen kommen dieses Jahr maximal sechs, auch für 2020 und 2021 rechnet die Airline mit deutlich weniger neuen Jets. Damit sinken zwar langfristig die Investitionen, was ganz in Norwegians Sinne ist. Kurzfristig aber belasten die schon ausgelieferten Flugzeuge, die keinen Umsatz bringen, das Ergebnis mit mehr als 70 Millionen Euro.

Unternehmensgründer Kjos sieht seine Aufgabe an anderer Stelle. Nachdem er gegen enorme Widerstände den Aufbau der Langstrecken durchgeboxt hat, sieht er nun dringenden Bedarf für Partner, die in den USA und später in Asien Zubringerflüge für die Norwegian-Verbindungen durchführen. Dafür will er nun sein Netz an Kontakten nutzen, das er in all den Jahren aufgebaut hat.

© SZ vom 12.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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