Nordsee:Watt will man mehr

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Bei Nordsee gibt's jetzt nicht nur Fischbrötchen, sondern auch vegane Snacks. So will der neue Chef junge Kunden locken.

Von Varinia Bernau, Düsseldorf

Ein dunkles Brötchen, darauf ein Champignon, Walnusspesto, ein wenig Rucola. Einer dieser Snacks, bei denen man, wenn man es sich auf dem Weg zum nächsten Termin holt, ein wenig aufpassen muss, um sich ja nicht zu bekleckern. Aber die einem auch das Gefühl geben, zwischendurch etwas Gesundes gegessen zu haben. Dieser Snack lässt sich erahnen, was die Imbisskette Nordsee gerade wagt. Er liegt an der Theke hinter einem grünen Schild: vegan.

Vegan? Bei Nordsee? Was, bitte schön, soll das denn?

Genau darüber wollen Robert Jung, 36, und Heiner Kamps, 61, reden. Jung ist seit kurzem Geschäftsführer bei Nordsee. Zum Flanellanzug trägt er ein höfliches Lächeln, seine Worte aus dem Lehrbuch für Marketing spricht er im Wienerischen Singsang und unterstreicht sie mit den Händen. Kamps, gut gebräunt, Lederarmband ums Handgelenk, sitzt an der Spitze des Aufsichtsrates. Unter seinem Namen eröffnete er Anfang der Achtzigerjahre eine kleine Bäckerei in Düsseldorf. Zwanzig Jahre später hatte er daraus Europas größten Backwarenhersteller mit mehr als 1000 Filialen gemacht - und an Barilla verkauft. 60 Millionen Euro soll ihm die Sache eingebracht haben. Er investierte das Geld unter anderem bei Nordsee. Kamps ist einer jener Unternehmer, der den Begriff Manager eher als Beleidigung versteht und auf die Frage, warum er sich mit seinem Geld nicht zur Ruhe setzen wolle, mit einem Grinsen antwortet: "Mein Golf-Handicap ist und bleibt schlecht."

Nordsee-Miteigentümer Heiner Kamps (links) und Geschäftsführer Robert Jung wollen den Deutschen Fisch schmackhaft machen. (Foto: OH)

Jung also spricht vom Portobello, dem dunklen Brötchen mit dem Champignon, das Nordsee zu Beginn des Jahres als ersten veganen Snack ins Angebot genommen hat. Davon, dass Menschen heute mehr auf ihre Ernährung achten. Davon, dass diejenigen, die zu Nordsee kommen, eine gewisse Affinität zu pflanzlichen Produkten haben. Kamps schweigt. Erst später, als er betont hat, dass Bio-Produkte noch immer eine Nische sind und man nicht jedem Trend hinterherhecheln müsse, als Jung ihn erinnert: "Aber, unser Portobello, der schmeckt Ihnen schon?!" - erst da knurrt Kamps: "Ja, aber deswegen machen Sie keinen Veganer aus mir."

Das ist die Arbeitsteilung bei Nordsee: Der Geschäftsführer, der Neues ausprobiert. Und der Aufpasser, der darauf achtet, "dass es nicht zu stark in eine Richtung abdriftet", wie Kamps es ausdrückt. Vermutlich braucht es solch ein Gespann, um die Kunden, die schon zu Nordsee kommen, nicht zu verprellen - und trotzdem neue Kunden anzulocken. Im Restaurantbereich, wo das Unternehmen etwa die Hälfte seines jährlichen Umsatzes von 357 Millionen Euro macht, liegt der Altersschnitt bei 60 Jahren. An der Theke mit den Snacks zum Mitnehmen immerhin bei 30 plus. Jung und Kamps sind die beiden Prototypen ihrer Kundschaft. "Wir müssen daran arbeiten, Leute früher zu gewinnen und an uns zu binden", sagt Jung. Deshalb gibt es jetzt nicht mehr nur ein Backfisch-Brötchen, sondern auch einen Lachs-Bagel. Deshalb gibt es neben den Jakobsmuscheln auf Linsenbett auch weiterhin Alaska-Seelachs.

Die Deutsche Dampffischereigesellschaft Nordsee wurde 1896 von einigen Bremer Reedern und Kaufleuten gegründet. In den besten Zeiten, Ende der Sechzigerjahre, verfügte das Unternehmen über eine Flotte von 60 eigenen Trawlern, denen jährlich 200 000 Tonnen Fisch in die Netze gingen. Mehr als 300 Filialen hatte Nordsee damals. Heute sind es nur knapp 60 mehr. Die meisten in Deutschland, ein paar in Osteuropa und eine sogar in Dubai.

Damals, als Nordsee anfing, aß man keinen Meeresfisch, wenn man weiter als etwa 100 Kilometer von der Küste entfernt lebte - abgesehen von Edelfischen, die korbweise mit dem Eilboten in die Luxushotels gebracht wurden. Mit weiß gestrichenen Zweiradkarren und bimmelnder Glocke wollten die Gründer den Fisch zunächst an die Kundschaft bringen. Nicht wenige Lieferanten fuhren mit dem Karren lieber in die nächste Kneipe. Und Nordsee erkannte die Vorzüge von Verkaufsflächen. Schon ein Jahr nach der Gründung wurde eine Filiale auf dem Münchner Viktualienmarkt eröffnet, zudem in Breslau und auch in Wien. Heute ist Nordsee nach McDonald's und Burger King der größte Filialgastronom in Deutschland.

Die Sache ist nur: Der Appetit auf Fisch hat nachgelassen. 14 Kilogramm isst der Durchschnittsdeutsche im Jahr. Der Konsum ist seit langem stabil. Es gehe darum, sagt Jung, die Marke Nordsee zu weiten. "Auf Natürlichkeit und Frische." Die Garnelen kommen zwar aus Bangladesch - aber mit dem Versprechen, dass sie frei von Antibiotika sind. "Bei meinem Vater stand die Torte so lange in der Theke, bis das letzte Stück verkauft war. Auch wenn sie dann nicht mehr so appetitlich aussah", sagt Kamps. Solche Zeiten seien aber schon lange vorbei. "Natürlich müssen wir Qualität bieten. Sonst wären wir ganz schnell weg vom Fenster."

Viele Filialen wurden zudem modernisiert oder, wie Jung es ausdrückt, gefacelifted. Sie sollen nicht nur zeitgemäßer, sondern auch regionaler daher kommen: In Wien beispielsweise gibt es Kronleuchter und Stuck an der Decke. Eher Kaffeehaus als SB-Restaurant. Gut 20 Millionen Euro sollen allein in diesem Jahr in den weiteren Umbau fließen.

Etwa ein Drittel der Filialen werden von Franchisenehmern betrieben. Leute, die mal bei Nordsee angefangen haben und nun ihr eigenes Ding machen wollen. Aber auch Leute, die zuvor eine Surfschule betrieben haben. Darauf will Jung in Zukunft noch stärker setzen: "Das hilft uns beim Wachstum, weil sie auch selbst investieren; aber es hilft auch im Alltag, weil sie sagen: Das oder das funktioniert nicht. Lass uns das anders machen!"

Und schließlich suchen sie bei Nordsee auch neue Wege zum Kunden: In Berlin testen sie die Lieferung nach Hause; im Herbst sollen Food Trucks und Pop-up-Stores in hippe Viertel kommen. Als Jung von solchen Projekten erzählt, erinnert Kamps daran, dass das so neu für Nordsee ja nicht sei. Nur nannte man die Pferdefuhrwerke, die einst mit Eis beladenen den frisch gefangenen Fisch ins Binnenland brachten, noch nicht Food Trucks. Manchmal braucht es eben keine neue Erfindung, sondern nur eine neue Inszenierung.

In Deutschland zumindest hat sich keine andere Imbisskette so lange behauptet wie Nordsee - trotz aller Höhen und Tiefen. In den Achtzigern übernahm Unilever die Mehrheit, verkaufte das Unternehmen kurz vor der Jahrtausendwende an einen Finanzinvestor, der es filetierte. Mehrere Börsengänge scheiterten. Heute gehört Nordsee dem Milchunternehmer Theo Müller - und eben Kamps, der davon überzeugt ist, dass Nordsee vor allem deshalb überlebt hat, weil sich das Unternehmen stets gewandelt hat. Dazu gehört wohl auch, mal einen Champignon und nicht nur Hering ins Brötchen zu packen.

© SZ vom 11.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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