Nordkorea:China als Vorbild

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Machthaber Kim Jong-un will den Lebensstandard in seinem Land erhöhen. Dafür beginnt er zu privatisieren.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Nordkoreas Wirtschaft muss rundum saniert werden. Das hat Machthaber Kim Jong-un erkannt, wie seine Reden bestätigen. Er orientiert sich am Modell Chinas, wo es der kommunistischen Partei gelungen ist, die gleichgeschaltete Gesellschaft mit zentral gelenkter Planwirtschaft in eine undemokratische, aber pluralistische Marktwirtschaft umzuwandeln, ohne ihr Machtmonopol zu gefährden. Kim will sein Land aus der Isolation lösen. Die Entspannungspolitik soll Nordkorea Know-how, Investitionen, Wirtschaftshilfe und Zusammenarbeit bringen. Vorläufig jedoch verbieten die UN-Sanktionen fast jeden Handel mit Nordkorea.

Ein wohlhabenderes Nordkorea wäre ein stabileres Nordkorea. Wenn es Kim tatsächlich gelingt, den Lebensstandard mit Wirtschaftswachstum Jahr für Jahr anzuheben, wie es die südkoreanische Diktatur seit den Sechzigerjahren schaffte, könnte er damit seine Macht rechtfertigen. Trotz Sanktionen hat Südkoreas Präsident Moon Jae-in 17 Bosse von Chaebol, wie man Südkoreas Familienkonzerne nennt, zum Gipfel nach Pjöngjang mitgenommen. Auch den wegen Korruption zu einer Gefängnisstrafe verurteilte Samsung-Vize Lee Jae-yong.

In Pjöngjang wirkten die Chaebol-Bosse fast wie Touristen, sie knipsten Erinnerungsfotos, aßen kalte Nudeln, führten aber auch Gespräche mit Nordkoreas Wirtschaftsminister. Geschäfte machen durften sie nicht. Oder eher: noch nicht. In ihrer Schlusserklärung hielten Moon und Kim fest, sobald "die Bedingungen reif" seien, nehme der gemeinsame Industriepark der beiden Koreas in Kaesong den Betrieb wieder auf. Die gemeinsamen Tourismusprojekte sollen wieder angeschoben werden. Die Formel "sobald die Bedingungen es erlauben" fiel in Pjöngjang immer wieder. Gemeint ist: Sobald Washington zur Lockerung der Sanktionen bereit ist - Moskau und Peking sind es schon.

Die japanische Wirtschaftszeitung Nikkei berichtete, Moons Regierung übe bereits Druck auf Samsung aus. Lee solle sich auf massive Investitionen in Nordkorea vorbereiten. Samsung hatte vor 20 Jahren unter anderem in Pjöngjang Computer-Schachprogramme schreiben lassen, das Projekt aber aufgeben, als die innerkoreanischen Beziehungen sich verschlechterten. Seither zeigte Samsung kein Interesse mehr am Norden.

Nordkorea wolle der Weltbank und dem Währungsfonds beitreten, sagte Moon auf einer Konferenz nach dem Gipfel. Er werde das unterstützen, "sobald die Bedingungen es erlauben", zumal es auch Südkoreas Wirtschaft beleben würde. Die Finanzinstitutionen sollten einen Nordkorea-Fonds zur Sanierung der Infrastruktur schaffen, so Moon. Der Investitionsbedarf ist so groß, dass Seoul ihn allein nicht stemmen kann.

Kim Jong-un fährt Traktor: Der nordkoreanische Diktator gibt sich wirtschaftsfreundlich und volksnah. (Foto: Reuters)

Kim braucht die Hilfe von außen, aber er wartet nicht auf sie. Er begann schon 2012 vorsichtig, die Landwirtschaft teilweise zu privatisieren. Das hat ihre Produktivität deutlich verbessert. Nach Chinas Muster genießen inzwischen auch Industriebetriebe mehr Autonomie. Mit Lebensmittel versorgen sich die meisten Nordkoreaner längst auf den freien Märkten. Die staatliche Versorgung brach während der Hungersnot von 1994 bis96 zusammen, davon hat sie sich nie mehr erholt. Auch für Dienstleistungen ist ein Markt entstanden, neuerdings gibt es private Nachhilfeschulen. Wie der Nachrichtendienst NK Daily an einem Beispiel zeigt, kann auch Korruption in Marktmechanismen verwandelt werden. Der Strom fällt in Nordkorea regelmäßig aus. In Pyongsong 30 Kilometer nördlich von Pjöngjang, so Daily NK, gab es bis 2015 abends zwei Stunden Strom, seit vorigem Jahr nur noch an Feiertagen. Bisher konnte eine Familie, die Strom brauchte, etwa für eine Hochzeit, das Elektrizitätswerk bestechen, so ein Bewohner von Pyongsong gegenüber Daily NK. Inzwischen sei das völlig offiziell: Für 50,000 Won, 48 Euro, könne man für einen gewünschten Abend Strom bestellen.

Nordkorea ist in Bewegung. US-Präsident Donald Trump ist bereit, auf Kim zuzugehen. Darin sieht Moon seine Chance, den Korea-Konflikt beizulegen. Die Nuklearabrüstung ist dazu nur eine Vorbedingung, damit der Konflikt gelöst werden kann, Nordkorea saniert werden kann. Dazu braucht Moon die Hilfe der Chaebol. Mit der Einladung, ihn nach Pjöngjang zu begleiten, hat er ihre Bosse bereits eingespannt. Zudem demonstrierte er den japanischen Konkurrenten von Samsung & Co., dass sie ein riesiges Geschäft verpassen, wenn Tokio sich dem Norden nicht auch bald annähert. Noch in diesem Herbst will Moon - an den UN-Sanktionen vorbei - die ersten Projekte auf den Weg bringen, den Tourismus nach Norden etwa, die Anbindung der nordkoreanischen Eisenbahn an den Süden und ihre Sanierung. Aber auch eine Reform der Forstwirtschaft Nordkoreas.

© SZ vom 04.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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