Nokia verlässt Deutschland:Wo die Sonne verstaubt

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Als der finnische Handybauer ins Ruhrgebiet kam, war das ein Erfolg für Bochum. Denn Nokia bot Arbeitsplätze, von denen Opel der Stadt nicht mehr genug geben konnte. Mit welchen Gefühlen Mitarbeiter des Bochumer Werks nach der Hiobsbotschaft zu kämpfen haben.

D. Graalmann, C. Dohmen und S. Haas

Kurz bevor die Mannschaft des Fußball-Bundesligisten VfL Bochum ins Stadion einläuft, tönt von Band Herbert Grönemeyers Liebeserklärung an die Stadt: "Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt, ist es besser, viel besser als man glaubt", schallt es aus den Lautsprechern, und 20.000 Kehlen brüllen enthusiastisch "Bochum".

Verzweifelte Nokia-Mitarbeiter: Hunderte Beschäftigte protestierten in Bochum gegen die Verlagerung des Handy-Werks. (Foto: Foto: ddp)

Anschließend beginnt das Spiel - und allzu oft gehen die Bochumer als Verlierer vom Platz. Und so, wie der Fußball-Klub seit Jahren immer wieder um den Klassenerhalt kämpft und doch regelmäßig absteigt, so sehr versucht die ganze Stadt, Schritt zu halten und sich wirtschaftlich besser zu positionieren.

Zuletzt mit Erfolg: Vergangenes Jahr fanden zum Beispiel 5000 Menschen einen neuen Job, die Arbeitslosenquote sank auf gut zehn Prozent.

"Die Würde des Menschen ist unantastbar"

Die geplante Schließung des Nokia-Werks ist deshalb ein gewaltiger Rückschlag für die Stadt mit ihren gut 370.000 Einwohnern. Doch kampflos wollen die Menschen den Beschluss der Managementriege aus Helsinki nicht hinnehmen.

So sind mehrere hundert Menschen am Mittwoch vor das Werksgelände von Nokia in Bochum gekommen, wo sie sich mit den betroffenen Arbeitnehmer solidarisch erklären. "Die Würde des Menschen ist unantastbar", hat einer auf ein Plakat geschrieben, welches am Werkstor prangt.

Drinnen spricht der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers mit Arbeitnehmervertretern über die Lage. Draußen hoffen die Menschen auf ein Wunder.

Die Stimmung unter den Nokia-Beschäftigten ist gedrückt. Sie sind dem Konzern mehrfach entgegengekommen, um ihre Arbeitsplätze zu sichern. Dies attestiert ihnen selbst Nokia, genutzt hat es den Beschäftigten am Ende nichts. Ihre Arbeit soll künftig in Werken Ungarns und Rumäniens erledigt werden.

Auf diesen Beschluss reagierten viele Bochumer Nokia-Beschäftigte mit Arbeitsniederlegung. Eine Schicht sei gleich wieder nach Hause gegangen, die übrigen Mitarbeiter arbeiteten kaum, sagte die Betriebsratsvorsitzende Gisela Achenbach.

Gewerkschaft sucht Rettungskonzepte

Zudem pocht die IG Metall darauf, dass Nokia für den Umzug keine Subventionen bekommt. "Wir werden bei EU-Kommissar Günther Verheugen dagegen intervenieren", sagte Oliver Burkhard, Bezirksleiter der IG Metall. Die Gewerkschaft werde alles unternehmen, um so viele Arbeitsplätze wie möglich zu retten. Burkhard kündigte für diesen Donnerstag ein Krisentreffen der Gewerkschaft und des Betriebsrats an.

Dabei werde es um mögliche Rettungskonzepte gehen. Es sei nicht einzusehen, warum auch die Forschung und Entwicklung aus Deutschland abgezogen werden solle. Burkhard schloss Streiks als letztes Mittel nicht aus. "Wir werden für einen Sozialtarifvertrag streiken, wenn Nokia an seinen obszönen Plänen festhält", sagte Burkhard.

Die Entscheidung von Nokia ist ein Rückschlag für den Strukturwandel in der ehemaligen Montanregion. Schließlich stand die Ansiedlung von Nokia seit Mitte der neunziger Jahre als ein Beispiel für das neue Ruhrgebiet mit zukunftssicheren, sauberen Arbeitsplätzen - jenseits von Kohle und Stahl.

Vehement hatte sich Bochum um die Ansiedlung von Großunternehmen bemüht. Dafür investierte die klamme Kommune gewaltig, kaufte Grundstücke, um die Lärmschutzauflagen einhalten zu können, sorgte mit Infrastrukturmaßnahmen für ordentliche Zufahrten.

Derzeit zählt das Wirtschaftsderzenat zusammen, was Nokia an indirekten Mitteln von der Stadt erhalten hat. Im NRW-Wirtschaftsministerium geht man davon aus, dass dies zehn Millionen Euro sein könnten. All diese Hilfen gewährte die Stadt, die mittlerweile Schulden von 881 Millionen Euro drücken.

Die Verbindung Bochums zu Nokia, nach dem Autohersteller Opel der zweitgrößte industrielle Arbeitgeber der Stadt, wurde vielfach hervorgehoben. Seit 1993 kann man die Verbundenheit im Zug genießen.

Nicht die erste Nokia-Krise in Bochum

Die Regionalbahn-Linie 46 zwischen Bochum und Gelsenkirchen heißt im Volksmund Nokia-Bahn. Der Konzern hatte sich in einer Kooperation mit Bahn und Regionalverband an den Kosten beteiligt, dafür heißt seitdem die Haltestelle am Werk "Bochum Nokia".

Es ist nicht die erste Krise des finnischen Unternehmens in Bochum. Bereits 1996 stellte Nokia dort die Fertigung von Fernsehgeräten ein. Allerdings bekamen die Beschäftigten damals Jobs in der Handyproduktion. Im Jahr 2001 war dann das Handywerk erstmals von der Schließung bedroht, am Ende blieb es bei einer Streichung von gut 300 Arbeitsplätzen.

Auch bei Opel wurden bereits mehrfach Stellen abgebaut. Seit 1962 produziert Opel in der Revierstadt, in guten Zeiten fanden hier mehr als 20000 Menschen Arbeit, inzwischen hat sich die Belegschaft mehr als halbiert. Zudem zittern Opel-Mitarbeiter jedesmal, wenn am General-Motors-Hauptsitz in Detroit neue Sparpläne verkündet werden.

© SZ vom 17.01.2008/ckn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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