Niedrigzinsen in Deutschland:Mehr Aktien-Profis

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Kurzfristig Gewinne mitnehmen, aber langfristig investiert bleiben: Das Anlageverhalten der Bundesbürger wird zunehmend reifer.

Von Harald Freiberger, Frankfurt

Wenn es um das Anlageverhalten der Deutschen geht, fällt häufig das Wort "Aktienmuffel". Sie investieren zu wenig in Unternehmenspapiere. Anlageexperten halten dies für fatal, gerade vor dem Hintergrund der niedrigen Zinsen und der Tatsache, dass die Bürger wegen Einbußen bei der Rente immer mehr selbst für das Alter vorsorgen müssen. Denn Aktien bringen langfristig die beste Rendite, wenn sie kontinuierlich bespart werden, zum Beispiel mit einem monatlichen Sparplan. Die größten deutschen Direktbanken haben sich deshalb zum Ziel gesetzt, die Aktienkultur der Deutschen zu verbessern. Kürzlich gab es zum Beispiel an der Börse einen "Tag der Aktie", an dem große Einzelwerte und Fonds gebührenfrei geordert werden konnten.

Offenbar beginnt diese Werbung langsam zu wirken. Darauf deuten zumindest jüngste Statistiken über das Anlageverhalten der Bundesbürger hin. Die Comdirect, die Direktbank-Tochter der Commerzbank, erfasst jeden Monat die Transaktionen ihrer fast 900 000 Depot-Kunden und erstellt daraus einen Index, welche Anlageklassen eher gekauft und welche eher verkauft werden. Im März gab es zum Beispiel 739 000 Transaktionen. Die hohe Zahl lässt einen repräsentativen Einblick in das Anlageverhalten der Deutschen zu - auch wenn die Comdirect überdurchschnittlich viele aktiven Anleger als Kunden hat.

"Die Anleger lassen bei Aktien mittlerweile eine gesunde Vorsicht walten", sagt ein Experte

Ein Ergebnis der Auswertung ist, dass die Comdirect-Kunden schon seit einigen Monaten mehr Aktien verkaufen als kaufen. "Die Anleger lassen bei Aktien mittlerweile eine gesunde Vorsicht walten, weil die Kurse besonders in diesem Jahr stark gestiegen sind", sagt Stefan Wolf, Produktmanager für Handel bei der Comdirect. Sie nutzten die Gelegenheit von Rekordständen auch dazu, Gewinne mitzunehmen. Das gilt vor allem für Einzelwerte, die in der Regel kurzfristiger gehalten werden und einen spekulativeren Charakter haben. Bei Fonds und Indexfonds, die einen längerfristigen Anlagehorizont haben, überwiegen dagegen weiterhin die Käufe. Das zeigt, dass die Anleger nach wie vor breit gestreut in den Aktienmarkt investieren wollen.

Auch auf Tagesbasis beobachtet die Direktbank, dass die deutschen Anleger offenbar professioneller werden: Sie verkaufen Aktien, wenn die Kurse stark steigen, und sie kaufen, wenn sie stark fallen. "Dieses antizyklische Verhalten zeugt von einer gewissen Reife", sagt Wolf. "Wir haben den Eindruck, dass sich nicht nur sehr aktive Händler so verhalten, sondern auch immer mehr normale Privatanleger." Das mache Mut, dass die Aufklärungsarbeit von Börse und Finanzinstituten fruchte.

Der Börsenboom der vergangenen drei Jahre ging an den Deutschen weitgehend vorbei

Grundsätzlich gilt aber nach wie vor, dass die Deutschen im Vergleich zu Ländern wie den USA, Großbritannien oder Schweden weit unterdurchschnittlich in Aktien investiert sind. Viele haben beim Boom und anschließenden Crash um die Jahrtausendwende hohe Verluste erlitten und trauen sich seitdem nicht mehr an die Börse. Auch den Kursanstieg der vergangenen drei Jahre haben viele Bundesbürger verpasst. 2014 hatten nach Zahlen des Deutschen Aktieninstituts nur noch 8,4 Millionen Menschen oder rund 13 Prozent der Bevölkerung Geld in Aktien oder Aktienfonds angelegt. Allein 2014 trennten sich demnach etwa eine halbe Million Deutsche von Aktien. Seit dem Höchststand im Jahr 2001 kehrten fast 4,4 Millionen Anleger den Börsen den Rücken.

Allerdings wird auch von anderer Seite registriert, dass sich dieses Verhalten langsam zum Positiven ändert. "Privatanleger in Europa und offenbar selbst im wenig aktienaffinen Deutschland scheinen sich immer professioneller zu verhalten", sagt Ali Masarwah von der Fonds-Ratingagentur Morningstar. Das zeigten zumindest jüngste Daten über die Käufe und Verkäufe von Aktienfonds. Früher hätten Anleger immer mit sechs bis zwölf Monaten Verzögerung auf Entwicklungen an der Börse reagiert. Das führte häufig dazu, dass sie erst kauften, wenn die Kurse schon stark gestiegen waren.

"In den letzten Monaten ist diese Verzögerung nicht mehr zu beobachten", sagt der Experte. Die Anleger hätten schnell auf das Anleihe-Kaufprogramm der Europäischen Zentralbank reagiert, das zu einem starken Anstieg der Kurse führte. So registrierten europäische Aktienfonds im Februar und März hohe Zuflüsse. Bei US-Aktienfonds war genau das Gegenteil der Fall, es gab massive Verkäufe. "Auch das könnte ein geschickter Schachzug gewesen sein, weil sich neben einer hervorragenden Performance in den letzten Jahren in diesem Jahr auch hohe Währungsgewinne realisieren ließen", sagt Masarwah. Die deutschen Fondsanleger agieren derzeit "sehr nah am Markt".

© SZ vom 15.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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