Neues Urteil:Wenn Juristen baden gehen

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Aus der Vogelperspektive sieht es nach ungetrübten Badefreuden aus. Bei mancher Kommune hält sich die Freude an ihrem Freibad derzeit aber in Grenzen. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Kommunen dürfen Verluste mit Gewinnen in anderen Bereichen verrechnen und somit Steuern sparen. Das soll sich jetzt ändern.

Von Harald Freiberger

Die Freibad-Saison geht an diesem Sonnen-Wochenende richtig los. In Massen werden die Menschen in die 5400 Bäder strömen, die es bundesweit gibt. Sie werden wieder jene Szenen aufführen, die irgendwie zum kollektiven Gedächtnis gehören: Kleinkinder in Schwimmflügeln, die mit schriller Stimme kreischen, größere Kinder, die am Kiosk Gummischlangen kaufen, tief gebräunte Senioren, die Karten spielen. Und über die Wiese weht der Duft von Pommes, Chlor und Sonnencreme.

Bei solch angenehmen Erinnerungen gerät leicht in Vergessenheit, wie teuer es ist, ein Freibad zu betreiben. Das Personal, die Hygienevorschriften, die Energie und nicht zuletzt das Wasser verursachen hohe Kosten. Gleichzeitig soll der Eintrittspreis aus sozialen Gründen nicht zu hoch sein. Um ein Freibad kostendeckend zu betreiben, müsste der Eintritt nicht bei vier oder fünf Euro liegen, sondern drei- oder viermal so hoch sein. Für Städte und Gemeinden sind die Bäder dauerhafte Verlustbringer, die sie häufig mit Gewinnen aus anderen Bereichen, zum Beispiel der Stromversorgung, subventionieren. Anders gesagt: Die kreischenden Kleinkinder und gut gebräunten Senioren werden von jenen Bürgern mitfinanziert, die jeden Monat ihre Stromrechnung bezahlen.

Vor diesem Hintergrund spielt sich eine Geschichte ab, die Kommunen als Betreiber von Freibädern derzeit in Unruhe versetzt. Erstmals kommt in dieser Saison ein Urteil zur Anwendung, das der Bundesfinanzhof, Deutschlands höchstes Steuergericht, im Februar veröffentlichte (Az. I R 56/15). Danach ist ein defizitäres Freibad nicht mehr steuerlich begünstigt, wenn eine städtische Gesellschaft, etwa die Stadtwerke, dieses nicht selbst betreibt, sondern an einen Trägerverein verpachtet.

Die Folgen sind erheblich, wie ein Rechenbeispiel zeigt: Eine Stadt macht mit einem großen Bad eine Million Euro Verlust im Jahr, mit dem Strom der Stadtwerke aber drei Millionen Euro Gewinn. Betreibt sie das Bad selbst, darf sie beides aufgrund besonderer Steuervoraussetzungen miteinander verrechnen, sodass sie nur zwei Millionen Euro Gewinn versteuern muss. "Da Körperschaft- und Gewerbesteuer rund 30 Prozent ausmachen, spart die Stadt im Beispiel 300 000 Euro", sagt Marc Tepfer, Rechtsanwalt bei der Hamburger Kanzlei BRL, die Kommunen und Stadtwerke in Steuerfragen vertritt. Betreibt die Kommune das Freibad nicht mehr selbst, sondern verpachtet es an einen Trägerverein und zahlt diesem einen Zuschuss, darf sie diesen nicht mehr mit Gewinnen in anderen Sparten verrechnen. Das Freibad wird damit um fast ein Drittel teurer.

Betroffen sind Orte wie Denz, Bützfleth, Schladen, Rengershausen und Ainhofen

Positiv an dem Urteil ist nur, dass das Vereinsmodell für Freibäder in Deutschland die Ausnahme ist. Die meisten Bäder werden von Kommunen oder ihren Töchtern selbst betrieben. Die 18 Münchner Bäder sind zum Beispiel in der Hand der Stadtwerke, ihre Verluste werden weiter steuerlich anerkannt. Für Freibäder mit einem Trägermodell wird es aber eng. Experten schätzen ihre Zahl im oberen zweistelligen Bereich. Meist handelt es sich um Bäder, die Kommunen loswerden wollten, weil sie ihnen zu teuer wurden. Die Vereinsmitglieder führen sie ehrenamtlich und damit günstiger weiter, die Kommune zahlt meist noch einen Zuschuss. Solche Bäder gibt es etwa in Orten mit Namen wie Denz, Bützfleth, Schladen, Schwelm, Clenze, Hornburg, Rengershausen oder Ainhofen. Dort ist die Sorge derzeit groß, denn es könnte sein, dass die Finanzverwaltung die Verluste erstmals nicht mehr steuerlich anerkennt. Der Betrieb würde damit noch teurer und unrentabler, die Gefahr, dass das Bad schließen muss, steigt.

Steffen Döring, der bei der Unternehmensberatung PwC Kommunen in Steuerfragen berät, hat eventuell eine Lösung für solche Bäder: "Eine Möglichkeit könnte es sein, dass die Kommune mit dem Verein einen Vertrag zur Betriebsführung schließt", sagt er. Sie bliebe damit der Eigentümer und gäbe die Nutzung nicht vollständig ab wie bei einem Pachtvertrag. Der Fiskus könnte die Verluste dann wieder steuerlich anerkennen.

Was steckt eigentlich dahinter? Die Sache ist komplex. "Im Hintergrund hängt das Damoklesschwert des EU-Beihilfenrechts zur Anerkennung von Dauerverlustgeschäften kommunaler Unternehmen", sagt Steueranwalt Tepfer. Die EU-Kommission achtet darauf, dass kein Unternehmen im Wettbewerb benachteiligt wird. Begünstigt der Staat eine Branche steuerlich, etwa durch eine gesetzliche Regelung, könnte das eine unerlaubte Beihilfe sein. "Die deutsche Finanzverwaltung muss darauf achten, dass sie Brüssel nicht auf den Plan ruft", sagt PwC-Berater Döring.

Seit 2009 gibt es in Deutschland ein Gesetz, das den sogenannten "kommunalen Querverbund" erlaubt, also die Verrechnung von Gewinnen und Verlusten, allerdings unter einer Voraussetzung: Die Verluste müssen aus Bereichen kommen, die der "Daseinsvorsorge" für die Bürger dienen, zum Beispiel dem öffentlichen Nahverkehr, der Kultur oder der Gesundheit, und dazu zählen auch Freibäder.

Vor dem EU-Beihilfenrecht fühlt sich der deutsche Gesetzgeber in dieser Frage vor allem deshalb sicher, weil er sich im Fall der Fälle auf eine "Altbeihilfe" berufen kann: Wenn eine Rechtspraxis in einem Land schon üblich war, bevor 1958 die Römischen Verträge geschlossen wurden, kann die EU dies nicht unter Berufung auf das Beihilfenrecht verbieten. Und Freibäder, die steuerlich subventioniert werden, gibt es in Deutschland schon länger als die EU.

"Wenn aber die Kommune das Freibad nicht mehr selbst betreibt, könnte dies ein Einfalltor für die EU sein", sagt Berater Döring. Denn das Modell mit einem Trägerverein fällt möglicherweise nicht mehr unter eine "Altbeihilfe". Bringt ein Kläger dies vor den Europäischen Gerichtshof, müsste dieser sich damit befassen - mit der Gefahr, dass dann auch über Freibäder entschieden wird, die noch den Kommunen gehören. Mit dem Urteil schützt der Bundesfinanzhof demnach die Mehrheit der 5400 Freibäder. In den kommunalen Verbänden geht man jedenfalls davon aus, "dass die Altbeihilfe für kommunale Freibäder weiterhin anerkannt wird". Die Masse der Badegäste muss also nicht befürchten, dass es bald vorbei ist mit den hoch subventionierten Eintrittspreisen.

© SZ vom 27.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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