Neue Versicherer:Unterschätzte Gefahr

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Die ersten Angreifer haben die etablierten Konzerne abgewehrt. Aber sie sollten sich nicht zu sicher fühlen. Der Kampf hat gerade erst begonnen. Die Manager sollten ihren Mitarbeitern klarmachen, wie drastisch der Wandel wird.

Von Herbert Fromme

Das hat der deutsche Versicherungsmarkt lange nicht erlebt. In den vergangenen Monaten kamen eine ganze Reihe neuer Versicherer auf den Markt. In München nahm der digitale Krankenversicherer Ottonova den Betrieb auf, in Berlin gingen Friday, One und Element an den Start, Flypper, Nexible und andere stehen in den Startlöchern.

Die etablierten Versicherer geben sich entspannt. Einige der Neulinge mit den hippen digitalen Namen haben sie selbst gegründet, dazu gehören die Ergo-Tochter Nexible und die Basler-Gesellschaft Friday. An anderen Gründungen sind sie beteiligt. Keine Bedrohung, lautet das einhellige Urteil in den Chefetagen der Branche. Schließlich haben sie den vor zwei Jahren begonnenen Angriff digitaler Versicherungsmakler wie Clark oder Knip ohne größere Blessuren überstanden. Die Anbieter haben bislang nur wenige Zehntausend Nutzer.

Die Herren und Frauen in der Versicherungsbranche sind davon überzeugt, dass es nur einen Gewinner der Digitalisierung geben wird: die etablierten Konzerne selbst. Weder Start-ups noch Internetkonzerne werden am Ende die Nase vorn haben, glauben die Chefs.

Diese Einschätzung ist nicht nur zweifelhaft, sondern auch sehr gefährlich. Zweifelhaft deshalb, weil die digitale Veränderung der Branche gerade erst begonnen hat. Es stimmt zwar: In den ersten Runden haben die Verteidiger ein höheres Stehvermögen gezeigt, als viele ihnen zugetraut haben. Aber der Kampf ist noch lange nicht vorbei. Gefährlich deshalb, weil der Wille zu Veränderungen bei vielen Versicherern schon wieder schwindet.

Bei vielen alten Konzernen verschwindet der Wille zur Veränderung schon wieder

Die erfolgreichen Online-Unternehmer Daniel Schreiber und Shai Wininger machten sich 2015 daran, eine Branche umzukrempeln, und gründeten den digitalen New Yorker Versicherer Lemonade. Sie entschieden sich nach eigenen Worten aus drei Gründen für diese Branche: Es geht um Milliarden, sie ist unberührt von technischen Innovationen, und die Verbraucher mögen sie nicht.

Tatsächlich - die Versicherung und die Beschäftigung damit ist zutiefst unpopulär. Sie wirkt kompliziert, hat den Ruf, im Schadenfall nicht zu helfen, und gilt zu Recht als teuer.

Es spricht viel dafür, dass neue Unternehmen diese Zustände ausnutzen können, wenn sie eine echte Alternative bieten. Dass sich die Internetgiganten Google, Facebook oder Amazon aus dem Geschäft dauerhaft heraushalten, ist eher unwahrscheinlich. Der wirkliche Druck auf die traditionellen Gesellschaften wird noch kommen.

Sie sollten sich vorbereiten. Die Kosten müssen runter, aus Verwaltern und Geldwechslern müssen echte Kundenbegleiter werden. Aber solche Veränderungsprozesse sind nicht einfach, genauso wenig wie der zwangsläufig damit einhergehende Stellenabbau. Eine Reihe von Vorständen haben das erkannt und reden offen darüber, aber andere haben einfach nicht den Mut, ehrlich mit ihren Belegschaften umzugehen: Ja, wir brauchen sehr wahrscheinlich ein Drittel bis die Hälfte weniger von euch, und von denen, die bleiben, hat die Hälfte die falsche Qualifikation. Das ist die Wahrheit. Wer das aber nicht offen kommuniziert und den Mitarbeitern keine sozialen Lösungen anbietet, verhöhnt die Belegschaften, die den kommenden Kahlschlag natürlich schon lange ahnen.

Wenn externe Angreifer Fortschritte in der Versicherungsbranche machen, wird das die traditionellen Anbieter nicht einfach wegfegen. Amazon ist erfolgreich, aber es gibt weiterhin zahlreiche Kaufhäuser und Buchhandlungen. Aber Amazon hat dafür gesorgt, dass die traditionellen Kaufhäuser und Händler heute ganz anders arbeiten als vor zwei Jahrzehnten. Auch sie nehmen Online-Bestellungen an und liefern frei Haus und stellen sich insgesamt anders auf. Das wird in der Versicherungswirtschaft nicht anders sein.

Der ins Stocken geratene Angriff der Start-ups hat den traditionellen Versicherern eine Atempause beschert, mehr nicht. Es ist nicht sicher, dass sie die ihnen verbleibende Zeit klug nutzen.

© SZ vom 26.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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