Neue Strategie bei Boeing:Flugzeug im Bauch

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Boeings Produktionspläne für den neuen Langstreckenjet "787" zwingen die Luftfahrtindustrie zum Umdenken: Die Lieferanten müssen mittlerweile komplette Einheiten an den Flugheughersteller liefern.

Jens Flottau

Das Flugzeug hat eine gewöhnungsbedürftige Optik: Boeing hat gebrauchte 747 auseinandersägen lassen, und wo bei den Jumbos der Rumpf schmaler wird und nach hinten ausläuft, da bläht sich nun das Flugzeug wie ein riesiger Heißluftballon aus Metall auseinander. Aber die Ästhetik muss hintanstehen, wenn es darum geht, die neue Boeing-Strategie umzusetzen.

Praktisch im Bauch des umgebauten Jumbojets werden große Teile des neuen Langstreckenjets Boeing 787, der am Sonntag erstmals offiziell in Everett bei Seattle präsentiert wird, kreuz und quer durch die Weltgeschichte geflogen: Von Nagoya nach Everett, von Grottaglie/Italien nach Charleston, von Nagoya nach Grottaglie. Ganze Rumpfsektionen und Tragflächen müssen in den Spezialtransporter passen - kein anderes Flugzeug wäre dazu in der Lage gewesen.

"Das neue Geschäftsmodell für die 787 hat die Lieferantenkette dramatisch verändert", sagt Vinzenco Caiazzo, Nordamerika-Chef des italienischen Luftfahrtkonzerns Alenia Aeronautica. "Boeing wandelt sich immer mehr zu einem reinen Integrator von Systemen. Von den Lieferanten wird erwartet, dass sie komplexe und komplette Strukturen nach Everett liefern."

Riskante Strategie

So kommen 35 Prozent der Flugzeugstruktur bei der 787 aus Japan von Mitsubishi, Fuji und Kawasaki Heavy Industries. Alenia hat in dem kleinen Ort Grottaglie Tausende Olivenbäume abholzen lassen, die Landebahn von 1500 auf 3000 Meter verlängert und eine neue Fabrik gebaut. Dort befindet sich Europas größter Autoklav - eine Druckkammer, in der das Material bei hohen Temperaturen gebrannt wird. Die zwei mittleren Rumpfsektionen der 787 aus Kohlefasern werden dort bearbeitet. Boeing gibt die Baupläne vor - aber sie werden von Lieferanten ausgeführt. Nur noch die Endmontage findet im Boeing-Werk von Everett statt.

Die Strategie ist riskant und von hohem Potential zugleich - und setzt in der Industrie neue Maßstäbe. Rivale Airbus befindet sich erst ganz am Anfang dieser Entwicklung, in der die Lieferanten mehr eingebunden werden sollen. Die Idee ist nun aber ein zentraler Bestandteil des "Power-8"-Sanierungsprogramms.

Dabei liegen die Vorteile auf der Hand: Die Entwicklungskosten werden auf viel mehr Schultern verteilt, Spezialisten werden besser eingebunden, Ressourcen effizienter genutzt. Und Boeing kann Arbeit in Länder vergeben, die Schlüsselmärkte sind. In Japan funktioniert der Trick seit Jahrzehnten: Die japanischen Fluggesellschaften haben nur selten bei Airbus bestellt. Das Risiko besteht darin, dass Boeing weniger Kontrolle über die eigene Produktion hat. Läuft bei einem Lieferanten etwas schief, ist die gesamte Produktion betroffen.

Bei Airbus wird der revolutionäre Ansatz mit einer Mischung aus Neugier und Angst beobachtet. Wenn das System wirklich funktioniert, dann hat Boeing Airbus in seiner industriellen Entwicklung um viele Jahre abgehängt. "Ich glaube, Boeing ist zu weit gegangen", beschwichtigt zwar Airbus-Chef Louis Gallois. Doch bislang scheint dabei eher der Wunsch Vater des Gedankens sein. Denn die Boeing 787 ist bislang ziemlich genau im Zeitplan, lediglich der Erstflug wurde von Ende August auf Mitte September verschoben.

Allerdings hat es während der Entwicklungsphase bereits mehrfach im System geknirscht. Boeing musste eigene Leute zu Mitsubishi und Alenia entsenden, um Engpässe zu beseitigen. "Man muss es schaffen, die Probleme früh zu erkennen, mehr Leute als eigentlich nötig hinschicken und eine Kultur der Zusammenarbeit bewahren", sagt Boeing-Chef Jim McNerney. "Im Großen und Ganzen" ist Boeing aber bislang mit den Ergebnissen zufrieden.

Die Lieferanten finden sich aber auch strategisch in einer neuen Lage wieder. Manche erbitterten Konkurrenten müssen nun gemeinsam Bauteile für Boeing konstruieren. "Wir haben mit (dem US-Zulieferer) Vought und den Japanern so etwas wie ein Airbus-System im Kleinen gegründet", erklärt Alenia-Manager David Brigante. Da aber die Verantwortung für größere Bauteile auch höhere Investitionen bedeutet, können manche kleinere Boeing-Partner nicht mithalten, müssen fusionieren oder können sich nur noch als Auftragnehmer der großen Lieferanten an dem 787-Projekt beteiligen. Der Strukturwandel ist in vollem Gange und wird sich wohl nicht mehr umkehren. Auf der Auftragsseite lohnt sich die Sache für Boeing auch: Die erste 787 geht im Mai 2008 an All Nippon Airways.

© SZ vom 7.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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