Neckermann:Ende einer Ikone

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Vergessen waren Krieg und Hunger, seit es all die schönen Produkte in seinem Katalog zu bestaunen gab: Josef Neckermann war der Star der Wirtschaftswunderjahre. Der Versandhändler hat den Wohlstand demokratisiert und gewann als Dressurreiter Goldmedaillen. Doch er war auch: NSDAP-Mitglied. Nun werden die Reste seines Imperiums abgewickelt.

Hans-Jürgen Jakobs

Der Sieg des Unternehmers ist die goldgeränderte Bilanz, die Höhe der Rücklagen darin, der ausgewiesene Gewinn, die geringen Bankschulden. Bilanzen sind unter Gesichtspunkten der Literatur langweiliges Zeug, der Spannungsbogen ergibt sich im Auge des kundigen Betrachters. Von sportlichen Erfolgen dagegen bekommt jeder etwas mit, vom Triumph in der Arena, der Siegerehrung, dem Gang aufs Treppchen.

Josef Neckermann (links) stellt 1976 in Frankfurt die Lotterie "Glücksspirale" vor. (Foto: dpa)

Das Schönste wäre also ein bilanzstarker Unternehmer, der olympische Goldmedaillen gewinnt. Einer wie Josef Neckermann, der Held der frühen Wirtschaftswunderjahre, der reitende Star des neuen Deutschlands, jedenfalls des kapitalistischen Teils davon.

Jetzt wird der Rest seines Versandhandelsgeschäft abgewickelt. Einfach eingesargt, so als ob man Goldmedaillen einschmilzt, um reduzierte Bargeldbestände zu erhöhen. Vom Mythos des Olympiasiegers der sozial-freien Marktwirtschaft bleibt ein Wisch des Insolvenzverwalters.

Hieß es nicht: "Neckermann macht's möglich"? Die Deutschen verinnerlichten den Firmenslogan, er war sinnbildlich für das eigene Sein und Bewusstsein. Im eigenen Leben war doch auch alles möglich geworden, erst der Kühlschrank, dann die Waschmaschine, dann das Fernsehgerät. Schon 1950 hatte der pfiffige Neckermann ein hochwertiges Radiogerät für 187 Mark im Angebot, was ihm als "Sensationspreis" galt. Vergessen waren der Krieg, die bitteren Hungerjahre danach, die Währungsreform, die Wohnungsnot. All die Produkte der neuen Welt gab es zu bewundern in den Katalogen und zu bestellen bei Herrn Neckermann.

Das war die bequeme Zeit des sich ausbreitenden Wohlstands, der auf einmal demokratisiert war und nicht mehr das exklusive Erlebnis einiger weniger Reicher. Die suchten sich neue kostspielige Vergnügungen, aber weil alle sich mehr leisten konnten, störte das keinen. Vom Sofa aus ließ sich das Schöne ins traute Heim holen, den Mittelpunkt der Erde.

Viele Deutsche hatten Verständnis für seine NSDAP-Mitgliedschaft

Die "nivellierte Mittelstandsgesellschaft" (Helmut Schelsky), die soziologische Beschreibung des Ludwig-Erhard-Wohlstands-für-alle, produzierte die neuen Ikonen wie Josef Neckermann (1912 bis 1992), den "Necko", den Möglichmacher. Der hatte im "Dritten Reich" ganz ordentlich von Arisierungen profitiert und das väterliche Handelsgeschäft so ausgebaut; unter den zum NS-Niedrigtarif übernommenen Besitztümern war auch die Firma des Großvaters von Billy Joel, dem US-Sänger.

Nach 1945 wurde NSDAP-Mitglied Neckermann von einem Militärgericht zu zwölf Monaten "hard labor" verurteilt, doch einige Jahre später - der Warenverkehr kam in Schwung - wollte die Republik von den alten Geschichten nicht viel wissen. Neckermann schrieb selbst in seiner Autobiografie über die Nazi-Jahre: "Ich hatte nicht das geringste Bedürfnis, in Schwierigkeiten zu geraten." Die meisten Deutschen hatten dafür Verständnis. Wer war schon Widerstandskämpfer?

Schöner war doch die Geschichte des siegenden Dressurreiters, dessen Erfolge so verlässlich waren wie der Motor des VW Käfer oder die Waschtrommel von Miele. 333 Turniere gewann der Mann, bei Olympia 1964 und 1968 war er ganz oben. Und die Deutsche Sporthilfe hat er dann auch gegründet und viele Jahre lang geleitet. Ein Kapitalist in der Mitte der Gesellschaft also, nicht einer dieser abgehobenen, dem Interesse eines anonymen Börsenkapitals verpflichteten Vorstandschefs, wie sie heute mitunter anzutreffen sind.

Aber schon in den 1970er Jahren bröckelte das Wirtschaftsdenkmal, die Finanzen waren so sicher nicht, und Neckermann musste an die Karstadt AG verkaufen, damals noch ein Monument des Wirtschaftssystems. Die Unternehmerkarriere war beendet. Dieses Schicksal hat viele ereilt, die einst den Wirtschaftswunderdeutschen die goldene Zeit versprachen.

Willy Schlieker, der Walzwerke-Unternehmer und Eisenhändler, der die Schiffsbaukrise 1962 nicht überlebte, weil der Hamburger Senat und die Dresdner Bank ihn fallen ließen. Thyssen (heute auch ein Notfall) sammelte die Reste ein. Oder Max Grundig, der Radio- und Fernsehkönig, der 1984 an den Philips-Konzern verkaufte, und ein Opfer der Billiganbieter aus Fernost wurde, wie überhaupt der Wettbewerb in dem neuen Kapitalismus (nach dem Weltkrieg anempfohlen und dann erobert) andere Bessere schuf, und die Deutschen zu smart shoppern wurden. Die Erstbeglückung mit Produkten war vorbei, nun mussten es schon die richtigen sein, mit der richtigen Marke und dem optimalen Preisleistungsverhältnis.

Das Schicksal traf auch Carl Friedrich Wilhelm Borgward, den norddeutschen Ingenieur, Sohn eines Kohlenhändlers (wie Neckermann auch), der das Auto "Hansa 1500" baute sowie den Lloyd-"Leukoplastbomber" und der seinem "Isabella"-Modell die amerikanische Designlinienführung ins Deutsche übersetzte. Zeitweise beschäftigte Borgward 23.000 Leute, doch schon 1961 machte er schlapp. Auch aus Quelle, dem Vermächtnis von Gustav und Grete Schickedanz, ist unter den Bedingungen einer digitalisierten, globalisierten Wirtschaftswelt ein Fall für den Insolvenzverwalter geworden.

Neckermann schuf eine Kulturrevolution

Zum 1. Oktober ist es nun bei der Frankfurter Traditionsfirma Neckermann soweit, mehr als 60 Jahre nach der Neugründung. Die späte Entdeckung des Internets hat nichts genutzt. Neckermann werde zum 1. Oktober - mit rund 2000 Beschäftigten - abgewickelt, teilen das Unternehmen und der Konkursverwalter mit. Die letzten Besitzer, Nachnachkommen des reitenden Neckermann, richteten den Betrieb zugrunde. Investoren fanden sich keine, die Jobs sind weg, falls sich nicht doch noch ein Wunder in Gestalt eines Käufers findet.

Aber in diesem Gewerbe gehören Wunder in eine andere Zeit. Nicht von der Pleite betroffen ist der Touristik-Anbieter Neckermann Reisen, der seit längerem zu Thomas Cook gehört. Immerhin das. Wer hier eine Pauschalreise sucht, wird noch an den Mann erinnert, der einst eine Galionsfigur war und der auch den Massentourismus in sein Sortiment aufgenommen hat.

Dieser Josef Neckermann hat deutschen Konsumenten den Weg frei gemacht. Er war ja Dauergast bei Wirtschaftsminister Erhard gewesen, der es auf Monopole abgesehen hatte und es begrüßte, dass mit dem hageren Dressurreiter das Absatzkartell des Einzelhandels geknackt wurde. Und auch Hermann Josef Abs, der große Stratege der Deutschen Bank, unterstützte den Pionier. Es waren Glaubenskriege, die damals geführt wurden. Heute geht es um Materialschlachten mit chinesischen Produzenten, die Weltmärkte zu Billigpreisen bedienen. Neckermann hat vor 50, 60 Jahren eine Kulturrevolution geschaffen, und bis jetzt hat noch jede Revolution ihre Kinder gefressen.

© SZ vom 27.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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