Nahaufnahme:Der Unersättliche

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Der neue Unicredit-Chef Andrea Orcel räumt mit dem Erbe seines Vorgängers auf.

Von Ulrike Sauer

"Grundlegend ist, dass wir unsere Ursprünge und unsere kulturellen Wurzeln wiedererkennen", schrieb Andrea Orcel in einem Brief an die Mitarbeiter. (Foto: Facundo Arrizabalaga/dpa)

Der Neue war erst mal ganz Ohr. "Ich habe die vergangenen Wochen dazu genutzt, euch zuzuhören und mit euch zu reden", schrieb Unicredit-Chef Andrea Orcel am Mittwoch an die Beschäftigten. Erfahren habe er von den Beschwerden über die Komplexität des Geschäfts, vom Mangel an Vertrauen, vom Bedürfnis nach größerer Verantwortung, von Frustration und verworrenen Entscheidungsprozessen. Orcels Antwort auf das Elend im Mailänder Geldkonzern: ein radikaler Umbau der Führung der Bank.

Der zuhörende Chef war nicht unbedingt das, was man von dem früheren Star unter Europas Investmentbankern erwartet hatte. Orcel eilt in der internationalen Finanzszene der Ruf des unersättlichen Bonusjägers voraus. Der am Freitag 58 Jahre alt werdende Top-Manager hat sich den Namen als "CR7 der Banken" gemacht. Mit Ronaldo verbinden ihn nicht nur Ausnahmetalent und Angriffslust, sondern auch Traumgagen. Noch beim Antritt vor einem Monat beherrschte sein üppiges Salär die Diskussion auf der Unicredit-Hauptversammlung. Es gab heftigen Widerstand gegen die 7,5 Millionen Euro, die ihm als Fixgehalt und leistungsunabhängige Bonuszahlungen zustehen. Am Ende stimmte eine denkbar knappe Mehrheit von 54 Prozent der Aktionäre seiner Vergütung zu - ein starker, ermutigender Start in einem zutiefst verunsicherten Konzern sieht anders aus.

Reihenweise mussten Manager gehen

Nun also wartete Orcel mit seiner ersten Entscheidung auf und beseitigte zunächst eine der problematischen Hinterlassenschaften seines französischen Vorgängers Jean Pierre Mustier, der die Bank im vergangenen November im Streit mit führenden Aktionären verlassen hatte. Mustiers aufgeblähte Führungsstruktur hat in den vergangenen Jahren für viel Unmut und Reibungsverluste gesorgt. Orcel ging konsequent zu Werk, um die Lähmung aufzulösen. Er setzte reihenweise Manager aus der ersten Reihe ab. Das bislang 27-köpfige Vorstandsgremium strich er auf 15 Mitglieder zusammen. Darunter sind nun sechs Frauen. Mustiers Erfindung der Doppelspitzen kassierte er. Mehr als die Hälfte der 44 internen Ausschüsse schaffte er kurzerhand ab.

Der langjährige Investmentbanking-Chef der Schweizer UBS holte neue Leute zu sich in die Dreierspitze - zwei ehemalige UBS-Managerinnen seines Vertrauens. Fiona Melrose wird Strategiechefin, und Joanna Carss ist für den Dialog mit den Stakeholdern verantwortlich. Für die Aufholjagd bei der Digitalisierung engagierte er die Chinesin Jingle Pang, die sich mit der digitalen Transformation der Versicherung Ping An einen Namen gemacht hat.

Orcels Umbau rüttelt an den Grundstrukturen des paneuropäischen Konzerns, der 2020 einen Verlust von 2,8 Milliarden Euro gemacht hat. Er löst die Aufteilung in West- und Osteuropa auf. An ihre Stelle treten vier autonome, regionale Machtzentren: Italien, Deutschland, Mitteleuropa und Osteuropa. Mit diesem Zug rückt Orcel Italien wieder ins Zentrum des Konzerns. "Grundlegend ist, dass wir unsere Ursprünge und unsere kulturellen Wurzeln wiedererkennen", schrieb der Unicredit-Chef in seinem Brief. Den Auftrag zu dieser Rückbesinnung erteilten ihm die italienischen Aktionäre. Luxottica-Gründer Leonardo Del Vecchio und die Sparkassenstiftungen erwarten von ihm, dass Unicredit in Italien verlorenen Boden wiedergutmacht.

Vor einer Woche gab Orcel die neue Richtung bei der Vorlage der Quartalszahlen vor. "Übernahmen und Fusionen sind kein Selbstzweck, sondern ich sehe sie als Beschleuniger zur Erreichung der gesteckten Wachstumsziele", sagte Orcel vor Analysten. An der Mailänder Börse legte der Aktienkurs prompt um fünf Prozent zu.

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