Nahaufnahme:Der Geisterkoch

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Hussain Beschir: "Unsere Fahrer müssen nicht mehrere Restaurants abfahren, sondern pendeln nur zwischen unserer Küche und dem Kunden." (Foto: oh)

Beschir Hussain hat zwei Restaurants und keinen einzigen Kellner. Der Berliner betreibt Ghost Kitchens, die nur für das Liefergeschäft kochen.

Von Frieda Preuß

Wenn die Pizza nach 20 Minuten Lieferzeit nicht nur kalt, sondern auch labbrig ist, dann ist der Wasseranteil im Teig eindeutig zu hoch, erklärt Beschir Hussain. Der 34-jährige muss es wissen: Nach dem Wirtschaftsstudium in New York und Rheinland-Pfalz ging er nach Dubai und baute von dort aus die Lieferplattform Foodpanda im Nahen Osten auf. Als der Dax-Neuling Delivery Hero das Unternehmen im Dezember 2016 übernahm, ging Hussain zurück nach Berlin und wurde mit seiner Firma Vertical Food zu einem der ersten Betreiber sogenannter Ghost Kitchens Deutschlands.

Das Geschäftsmodell der Geisterküchen: Die Mitarbeiter kochen ausschließlich für den Lieferbetrieb. Das geht für verschiedene Marken. Vertical Food betreibt die Pizzeria Vadoli und die Pasta-Marke Spagettini, das mediterrane Spyces und den Salat- und Bowls-Anbieter Freshs. Weil jede Marke eine eigene Social-Media-Präsenz und einen separaten Auftritt bei Lieferando hat, fällt das den Kunden erst einmal nicht auf. Ein Zusammenhang zwischen den vermeintlichen Restaurants macht erst der Blick ins Impressum deutlich.

Vertical Food will mit seinen beiden Ghost Kitchens in Berlin-Mitte und Charlottenburg effizienter sein als ein klassischer Restaurantbetrieb. Während die Gaststätte um die Ecke erst ab dem Nachmittag Umsatz macht, haben Hussains 60 Mitarbeiter zu jeder Tageszeit zu tun. "Wir haben unsere Marken so aufgestellt, dass die Küche den ganzen Tag über ausgelastet ist." Seine Erfahrung zeigt: Am Morgen bestellen die Menschen Porridge, mittags Salate und am Abend Pizza - mit seinem Betrieb kann Hussain alle diese Sparten gleichzeitig bedienen. Etwa 2000 Speisen produzieren seine Küchen derzeit täglich. Das Modell profitiert zudem von Synergien beim Einkauf, dem Personal und den Küchenkapazitäten. Zwar sei die Küche in verschiedene Bereiche aufgeteilt, aber ein Pizzabäcker kann schließlich auch mal eine Pasta zubereiten. Und: Kosten für einen Gastraum, Kellner, Tische und Stühle fallen weg.

Es gab schon einmal eine Ghost Kitchen in Berlin, mit dem Rückzug von Deliveroo verlor der Betreiber jedoch seinen einzigen Kooperationspartner. Das Unternehmen musste seinen Betrieb in Deutschland einstellen. Hussain hingegen vertreibt seine Speisen nur zur Hälfte über externe Plattformen, das sind derzeit Lieferando und der neue finnische Anbieter Wolt. Immer mehr Kunden bestellen direkt bei den Vertical Food-Marken. Die Zeitersparnis gegenüber einem gewöhnlichen Lieferdienst sei dabei enorm, sagt der Unternehmer. "Unsere Fahrer müssen nicht mehrere Restaurants abfahren, sondern pendeln nur zwischen unserer Küche und dem Kunden."

Hussain beobachtet genau, welche Marke in welchem Stadtteil gut läuft und zu welcher Uhrzeit die Menschen bestellen. "Mit diesen Daten wissen wir genau, was die Menschen mögen und was sie essen wollen." Er will schon bald zwei neue digitale Marken etablieren: Eine mexikanische und eine für Grilled Chicken. Wie gut die Gerichte bei den Kunden ankommen, kann der Unternehmer vorher abschätzen. Das Küchenteam entwickelt zunächst zwei Testgerichte und bietet sie unter einer bestehenden Marke an.

Während es in China, Indien, den USA und Großbritannien schon recht viele Geisterküchen gibt, ist das Konzept hierzulande kaum verbreitet. Laut dem Marktforschungsinstitut Euromonitor könnten Ghost Kitchens jedoch bis zum Jahr 2030 einen Drittel der weltweiten Ausgaben für Lebensmittel ausmachen. Trotzdem: "Ich glaube nicht, dass Restaurants aussterben werden, die Atmosphäre können und wollen wir nicht ersetzen", sagt Hussain.

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