Nachruf:Der Fischer

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Paul Volcker hat sich zuletzt guter Regierungsführung verschrieben. Er hatte zwar schon lange kein Amt mehr inne, aber sein Einfluss in der Finanzwelt war nach wie vor groß. (Foto: Munshi Ahmed/Bloomberg)

Paul Volcker bändigte die Inflation und die Banken in den USA und prägte jahrzehntelang die Wirtschaftspolitik. Zum Tod des großen Notenbankers.

Von Nikolaus Piper

Wer Paul Volcker in seinem New Yorker Büro nahe dem Rockefeller Center besuchte, dem begegnete als Erstes ein Lachs. Die kleine Steinskulptur wies auf die eine große Leidenschaft des Ökonomen hin: Fischen, genauer: Fliegenfischen, bei dem ein beweglicher Köder durch das Wasser gezogen wird. Fischen sei für ihn "eine Ausrede, um sich an den schönsten Plätzen der Welt aufzuhalten", sagte er bei dem Gespräch, das vor sieben Jahren stattfand. Außerdem bedürfe es einer gewissen intellektuellen Anstrengung, um einen Fisch anzulocken. Volcker hatte sich das Gewicht des letzten Lachses, den er gefangen hatte, notiert: 30 amerikanische Pfund.

Die zweite große Leidenschaft Volckers war die Stabilität des Geldwertes. Das machte den Ökonomen zu einem der ganz Großen und Unbequemen in seiner Zunft. Dazu kam seine beeindruckende Körpergröße von zwei Metern und zwei Zentimetern. Dieser "große Kerl" (this tall guy) nannte ihn Präsident Obama einmal, als er in der Finanzkrise von 2008/2009 Berater des demokratischen Präsidentschaftskandidaten war. Für ihn hatte er die "Volcker-Regel" erfunden, eine Vorschrift, die es großen Banken wie Goldman Sachs, Bank of America oder JP Morgan verbietet, auf eigene Rechnung zu spekulieren. Die Regel soll eine Wiederholung der Finanzkrise verhindern und ist, leicht verwässert, bis heute Gesetz, trotz des Widerstands der Banken, und obwohl Obamas Nachfolger Donald Trump ihre Revision verlangt hatte. Zuvor hatte er schon zweimal - 1971 und 1979 - an zentraler Stelle Amerikas Geschichte beeinflusst, wenn nicht die der Welt.

Paul Volcker wurde 1927 in New Jersey geboren, seine Großeltern waren deutsche Einwanderer (sein Name wird ausgesprochen wie die deutsche "Wolke"). Er studierte in Princeton und Harvard und bekam seinen ersten Job in der Federal Reserve Bank of New York, der New Yorker Landeszentralbank. Im Jahr 1969 wurde Volcker Staatssekretär im amerikanischen Finanzministerium. In dieser Funktion riet er dem damaligen Präsidenten Richard Nixon, die Verpflichtung der Vereinigten Staaten aus dem Währungsabkommen von Bretton Woods zu widerrufen, jederzeit Gold zum Preis von 35 Dollar zu tauschen. Nixon befolgte den Rat, und zwar während einer Fernsehansprache vom 15. August 1971. Die Entscheidung ging als "Nixon-Schock" in die Geschichte ein. Sie bedeutete das Ende des Systems der festen Wechselkurse, wie es seit Ende des Zweiten Weltkriegs geherrscht hatte. Infolge des Nixon-Schocks, der in Wirklichkeit ein Volcker-Schock war, kam es zu einem dramatischen Anstieg des Goldpreises, zu einem Machtzuwachs von Notenbanken, besonders der Deutschen Bundesbank, und zu ersten Versuchen, in Europa ein einheitliches Währungssystem zu etablieren.

Der nächste Schritt folgte am 6. August 1979. Da berief der glücklose demokratische Präsident Jimmy Carter Volcker zum Präsidenten der Notenbank Federal Reserve. Er gab ihm einen klaren Auftrag: Die Fed sollte die sich beschleunigende Inflation bekämpfen - die Geldentwertung lag damals bereits bei 14 Prozent. Der neue Fed-Chef unterzog die amerikanische Wirtschaft einer Radikalkur. Die Zinsen stiegen auf bis zu 19 Prozent. Folge war eine schwere Wirtschaftskrise, nicht nur in den Vereinigten Staaten. In Lateinamerika brach die Schuldenkrise aus, die zu einem verlorenen Jahrzehnt für den Subkontinent führte. Jimmy Carter verlor angesichts der Krise die Präsidentschaftswahlen 1980 gegen den Republikaner Ronald Reagan. Der regierte mit Steuersenkungen und Deregulierung und leitete eine Renaissance des Kapitalismus ein. In Bonn bereitete der Umbruch in Amerika den Zerfall der sozial-liberalen Koalition aus SPD und FDP unter Helmut Schmidt vor. Als Paul Volcker 1987 aus dem Amt schied, hatte er die Inflation auf 4,5 Prozent gedrückt.

Viele Jahre, bis zur Finanzkrise, war es still geworden um Paul Volcker. Doch er engagierte sich immer wieder bei Projekten, in denen ein integrer Finanzfachmann gesucht wurde. Zum Beispiel überwachte er 1996 die Zahlungen Schweizer Banken an Holocaust-Opfer und deren Erben. Immer wieder legte er sich mit der Finanzwelt an. Von ihm stammt das Bonmot, wonach die Finanzwelt in den vergangenen Jahrzehnten keine vernünftige Innovation hervorgebracht hätte - außer dem Geldautomaten. Schließlich schrieb er im hohen Alter auch noch seine Memoiren. Sie erschienen unter dem Titel "Keeping at it" (Beharrlich bleiben) im vergangenen Jahr. Das Buch ist vor allem eine Abrechnung mit der Politik des billigen Geldes, die die Notenbanken der Welt seit der Finanzkrise treiben. Er fürchtete, dass sie unbeabsichtigt die Rückkehr der Inflation zuließen.

Am vergangenen Sonntag ist Paul Volcker nach längerer Krankheit im Alter von 92 Jahren in New York gestorben.

© SZ vom 10.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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