Nach dem Millionen-Bußgeld:Siemens ist nicht aus dem Schneider

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Siemens zahlt 201 Millionen Euro Bußgeld - dafür verzichten die Staatsanwälte auf weitere Ermittlungen wegen Schmiergeldern. Dennoch geht das Zittern weiter beim einstigen Vorzeigekonzern.

Marc Beise

Es sieht nach einem schlauen Schachzug des neuen Siemens-Managements um den Vorstandschef Peter Löscher aus: 201 Millionen Euro Bußgeld zahlt der Konzern für die Beendigung der umfangreichen Ermittlungen der Staatsanwälte im Schmiergeldskandal; Siemens hat sich obendrein mit dem Finanzamt auf eine Steuernachzahlung in Höhe von 179 Millionen Euro geeinigt für Zahlungen in schwarze Kassen, die zu Unrecht als Betriebsausgaben abgesetzt worden waren.

Das Geschäft lohnt sich für Siemens. Ermittlungen gegen das Unternehmen im Kernbereich Telekommunikation (Com) gehören ab sofort der Rechtsgeschichte an. Nicht von ungefähr hat Siemens den Bescheid des Landgerichts München sofort akzeptiert.

Schlau ist das Geschäft aber auch aus Sicht der ermittelnden Staatsanwälte: Die Behörden verbuchen erkleckliche Einnahmen und ersparen sich ein möglicherweise uferloses Verfahren, das Staatsanwälte und Richter am Ende hätte überfordern können.

Nicht einmal Beteiligte bestreiten, dass es sich hier um einen "Deal'' gehandelt hat. Ein solcher "Deal'' mag im allgemeinen Verständnis fragwürdig sein (welcher Kleinsünder kann sich ähnlich glimpflich aus einem Verfahren herauskaufen?), ist aber rechtlich zulässig und angesichts der Kompliziertheit der Konzerngeschäfte meist auch sinnvoll.

Immerhin sind die Richter bei der Geldbuße demonstrativ an die Grenze des Möglichen gegangen: eine Million Euro - mehr gibt das Ordnungswidrigkeitengesetz im Regelfall nicht her.

Darüber hinaus aber ist eine "Gewinnabschöpfung'' erlaubt, die sich am Umfang der inkriminierten Geschäfte orientieren muss, sich in absoluten Zahlen gerechnet aber bescheiden ausnimmt: Was sind schon 200 Millionen Euro Abschöpfung für einen Konzern, der im vergangenen Geschäftsjahr 87 Milliarden Umsatz verbuchte und 3,1 Milliarden Euro nach Steuern verdiente?

Einfluss der Alten schwindet

Dennoch wäre es viel zu früh zu sagen, dass die kriminellen Akteure einer gerechten Strafe entgangen sind - noch längst nicht kann Siemens das unrühmliche Kapitel Korruption schließen.

Der Ruf des einstigen deutschen Vorzeigeunternehmens ist durch die bereits bekannten oder noch vermuteten kriminellen Machenschaften zahlreicher, auch hoher Mitarbeiter beschädigt, auch wenn das manche Beschäftigte nicht so sehen wollen und mit dem Finger lieber auf die Überbringer der schlechten Nachrichten deuten.

Auch wenn die alten Machthaber um den früheren Vorstands- und dann Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer ihren Einfluss im Unternehmen mehr und mehr verlieren, haben der neue Vorstandschef Peter Löscher und sein Team noch einen weiten Weg vor sich. Noch steht der Neuanfang in den Führungspositionen erst am Anfang.

Zudem laufen die Ermittlungen gegen etliche Manager weiter; das war in ersten Reaktionen auf die Entscheidung des Landgerichts mancherorts übersehen worden. Die Spuren reichen bis in die Unternehmensspitze - worauf im Übrigen auch der "Deal'' vom Donnerstag hinweist.

Das Bußgeld wird ausweislich des Paragrafen 30 des Ordnungswidrigkeiten-Gesetzes ja gerade fällig für kriminelle Handlungen von vertretungsberechtigten Organen und deren Mitgliedern. Vertretungsberechtigte Organe - dazu zählt bei Aktiengesellschaften insbesondere der Vorstand und der Aufsichtsrat.

Zugleich haben sich die Ermittler des Problems enthoben, in Griechenland, Kasachstan oder anderswo einzelnen Geschäften nachspüren zu müssen. Sie ermitteln im Kern nur noch wegen Untreue gegenüber der eigenen Firma, aber nicht mehr so sehr wegen Bestechung.

Das hilft auch Siemens selbst und damit der deutschen Wirtschaft. Bei allem Unverständnis über die Unregelmäßigkeiten früherer Jahre kann niemand ein Interesse daran haben, dass der Siemens-Konzern in der Welt in den Ruf eines Unternehmens gerät, mit dem man keine Geschäfte mehr abschließen kann, weil es im Ausland unter Generalverdacht steht.

Siemens ist noch nicht aus dem Schneider

Erfreulich ist es, dass die im und vom Unternehmen zunächst kommunizierte verharmlosende Darstellung der Vorgänge weitgehend überwunden ist. Nur noch einige Unverbesserliche halten an der Version fest, dass es sich um einige, möglicherweise sogar nur untergeordnete Mitarbeiter gehandelt habe, die vom rechten Weg abgekommen seien, um etwa Aufträge einzuwerben oder Arbeitnehmervertreter freundlich zu stimmen.

All dies ist durch die Ermittlungen der Staatsanwälte, aber auch durch die eigenen Erkenntnisse der internen Aufklärer bei Siemens widerlegt. Offensichtlich ist heute, dass lange Jahre viele Dinge falsch gelaufen sind in einem Unternehmen, dessen Mitarbeiter in ihrer ganz großen Zahl zu Recht stolz waren auf ihre Leistung und ihren Erfolg.

Vor allem aber ist Siemens noch längst nicht aus dem Schneider, was die Ermittlungen der amerikanischen Aufklärer angeht, die in der Konzernzentrale kaum einen Stein auf dem anderen lassen. Noch immer drohen dem an der New Yorker Börse notierten deutschen Unternehmen drakonische Strafen der US-Börsenaufsicht SEC, die von Milliarden-Zahlungen bis zu Auftragsverboten reichen können.

Löscher wird nichts anders übrig bleiben, als seinen bisherigen, im Unternehmen nicht unumstrittenen Kurs kompromisslos fortzusetzen. Neben dem laufenden Geschäft hat er drei große Aufgaben: aufklären, aufklären, aufklären.

© SZ vom 6.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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