Nach dem Blackout in Italien:Stromausfall könnte auch Deutschland treffen

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Großkonzerne und Regierung sehen die Versorgungssicherheit in Deutschland gewährleistet. Doch Fachleute sind skeptisch.

Von Hans Willy Bein und Karl-Heinz Büschemann

(SZ-Artikel vom 30.9.2003)— Die Lichter waren in Italien nach dem großen Stromausfall gerade wieder angegangen, da teilten die Experten der heimischen Energiewirtschaft schon mit, eine solche Katastrophe sei in Deutschland unmöglich. Ein Vertreter der Gruppe Vattenfall, zu dem die Stromversorger in Hamburg und Berlin gehören, will so etwas ganz "ausschließen." Die Forschung nach den Gründen der Katastrophe in Italien, die 57 Millionen Menschen stundenlang ohne Strom ließ, ist noch im Gang. Dennoch weiß auch die Bundesregierung bereits, dass die Panne "ein Sonderfall" war.

Deutschland keine "Insel der Glückseeligen"

Doch es gibt erste Stimmen, die auch in Deutschland Gefahren für die Versorgungssicherheit sehen. "Wir sitzen nicht auf einer Insel der Glückseeligen", sagt Joachim Vanzetta, Leiter der Systemführung beim Netzbetreiber RWE.Heiko Neus, vom Energiewirtschaftlichen Institut der Universität Köln kann "nicht völlig ausschließen", dass es in Deutschland zu einem Totalausfall kommen könnte. "Es müssten dafür aber viele unwahrscheinliche Ereignisse zeitgleich passieren", so der Kölner Experte.

Zum nächsten Kollaps nach den Stromausfällen von Nordamerika oder London war es offenbar gekommen, nachdem im Schweizer Kanton Schwyz am Sonntagmorgen um drei Uhr ein Baum auf eine 380-Kilovolt-Leitung gefallen war. Als danach wegen Überlastung eine weitere Schweizer Durchgangsleitung ausfiel war die Versorgung Italiens mit dringend nötigem Importstrom aus Frankreich unterbrochen. Das italienische Netz brach zusammen. Im übrigen Europa mussten Kraftwerke eilig hinunterfahren, weil Frankreich plötzlich den überschüssigen Strom in seinen Leitungen loswerden musste.

Eine solche Kettenreaktion sei in Deutschland nicht denkbar, heißt es bei dem Energieunternehmen Vattenfall. Es gebe in diesem Land "hinlängliche Kapazität" zur Stromerzeugung, das Leitungsnetz sei "stabil genug", sagt ein Vattenfall-Vertreter. Ähnlich äußert sich Eon, der größte Stromversorger Deutschlands: "Ein Blackout wie in Italien ist bei uns nicht möglich".

Auf Import angewiesen

Italien ist zu stark auf Stromlieferungen aus dem Ausland angewiesen, doch die Leitungen, die aus Frankreich nach Italien führen, seien zu schwach gewesen, wissen Fachleute. Experten der Stromkonzerne erklären, das deutsche Stromnetz sei so ausgelegt, dass beim Ausfall eines Kraftwerks, einer Umschaltstation oder eines Transformators sofort Ersatz zur Verfügung stehen müsse.

Das deutsche Stromnetz ist historisch über mehr als hundert Jahre gewachsen. Ausgehend von regionalen Versorgungsgebieten in Städten und Ballungsräumen schalteten nach und nach alle Versorger ihre Netze zusammen. So entstand ein flächendeckendes System mit "engen Maschen", wie die Fachleute sagen. Es ist heute in vier so genannte Regelzonen eingeteilt. Sie werden von den großen Konzernen gemanagt.

Jeder Netzbereich ist so ausgelegt, dass der zuständige Betreiberkonzern den Bedarf im eigenen Gebiet decken kann. Die Kraftwerke stehen meist nahe an den großen Verbrauchsstandorten. Zur Sicherheit sind die Regelzonen miteinander verbunden, so dass bei Bedarf auch Strom aus anderen Zonen bezogen werden kann.

Die Bundesrepublik verfügt über eine Kraftwerksleistung von gut 100000 Megawatt. Auch zu Zeiten des Spitzenbedarfs im Winter waren die Kraftwerke bisher nur zu 85 bis 90 Prozent ausgelastet. Die deutschen Energiemanager glauben auch, dass der Mix aus unterschiedlichen Energieträgern, wie Braun- und Steinkohle (44 Prozent), Kernkraft (22 Prozent), Wasser (9 Prozent) Wind, Öl oder Gas erheblich zur Versorgungssicherheit beiträgt. Durch die geplante Stilllegung der Atommeiler und die Modernisierung anderer Kraftwerke müssen in den nächsten zehn bis 20 Jahren aber Kraftwerke mit einer Kapazität von 40 000 Megawatt ersetzt werden.

In der Energiebranche gibt es aber zunehmend kritische Stimmen, die in sinkenden Investitionen eine Gefahr für die Zukunft sehen. Abgesehen von den Engpässen wegen der Hitzewelle im Juli und August war die Stromversorgung bedingt durch ungünstige Wetterverhältnisse in der Vergangenheit auch in Deutschland mehrfach angespannt.

Stephan Kohler, Geschäftsführer der Deutschen Energieagentur (Dena), die sich im Auftrag der Bundesregierung und der Kreditanstalt für Wiederaufbau um Energiefragen kümmert, ist der Meinung, dass die Gefahr von Systemausfällen à la Italien in Deutschland täglich wächst. Nach dem Italiendebakel sind nach Kohlers Meinung "die Minen in der deutschen Energiewirtschaft deutlich nachdenklicher geworden." Auch wir können langfristig Probleme bekommen", sagt Kohler.

Weniger Investitionen

Der Grund sei die Liberalisierung des Strommarktes, die in Deutschland vor fünf Jahren begonnen habe. In manchem europäischen Land hätten die Stromkonzerne nicht mehr ausreichend in ihre Kraftwerke und Netze investiert, um die Sicherheit der Versorgung garantieren zu können. "Wir profitieren noch von den Überkapazitäten aus den Monopolzeiten", meint Kohler. "Das wird aber abnehmen."

Die zukünftige deutsche Regulierungsbehörde für die Stromwirtschaft müsse daher Bedingungen schaffen, die ausreichende Investitionen in Netze und Kraftwerke sicher stelle. Diese Bedingungen hätten sich in Deutschland in den vergangenen Jahren "deutlich verschoben" - zum Nachteil der Versorgungssicherheit. Ähnlich sieht das Uwe Leprich, Energiefachmann an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Saarbrücken: "Ein großer Ausfall kann mittelfristig auch bei uns passieren". Der Grund sei, "dass sich in Deutschland niemand für die Versorgungssicherheit verantwortlich fühlt."

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