Mytaxi:Daimler setzt auf den Elektro-Tretroller

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Taxi? Oder doch lieber mit der S-Bahn und einem flotten Tretroller für die letzten paar Hundert Meter? Mytaxi will nun beides bieten. (Foto: Wolfram Kastl/dpa)

Die Hamburger Tochter Mytaxi soll demnächst E-Scooter vermieten. Auch in Deutschland, sobald dies hier gesetzlich erlaubt ist. Um den Markt wird schon jetzt gekämpft.

Von Stefan Mayr, Hamburg/Stuttgart

Dieses Experiment zeigt, wie grundlegend sich die Welt der Mobilität und damit auch der Auto-Industrie wandeln wird - oder besser: längst gewandelt hat. Mytaxi, die Hamburger Tochter des Daimler-Konzerns, steigt noch in diesem Jahr in Europa in den Verleih von elektrisch betriebenen Tretrollern ein.

Ja, Tretroller. Die Mercedes-Familie, das waren bis vor Kurzem ausschließlich dicke und teure Autos mit dem Stern auf der Haube, wird jetzt also erweitert mit Zweirädern, auf deren Trittbrett man stehen muss und mit ungefähr 25 Kilometern pro Stunde vorankommt. "Wir sehen die E-Scooter als sehr sinnvolle Ergänzung für die urbane Mobilität und unser eigenes Portfolio", sagt Mytaxi-Chef Eckart Diepenhorst. Eigentlich ist das Unternehmen als Vermittler von Taxifahrten via Handy-App bekannt, nun wagt es sich in einen komplett anderen Markt vor.

Wann und wo genau das Unternehmen mit seinem Experiment loslegen wird, verrät Diepenhorst zwar nicht. Es soll aber noch in diesem Jahr starten, und zum Standort sagt er schmunzelnd: "Gehen Sie davon aus, dass dort beim Start kein Schnee liegen wird."

Das klingt nach einer südeuropäischen Stadt. In Deutschland - das ist so gut wie sicher - wird es jedenfalls nicht sein, denn in der Autorepublik sind E-Scooter auf der Straße noch verboten. In vielen anderen europäischen Ländern gehören die Akku-Stehroller dagegen längst zum Stadtbild, und in einigen Metropolen gibt es sie auch schon zu mieten. Die US-amerikanischen Start-up-Unternehmen Lime und Bird bieten den Service jeweils schon in Paris, Wien und Zürich an. Auch in Moskau, Barcelona und Brüssel können solche Roller gemietet werden.

Der Service funktioniert ähnlich wie bei Leihfahrrädern oder auch Autos im Free Floating-System: Der Kunde lädt sich die nötige App aufs Handy, diese ortet den Roller und schaltet ihn auf Wunsch frei. Dann kann der Nutzer mit dem Gefährt herumkurven, und wenn er sein Ziel erreicht hat, kann er es dort stehen lassen. Fertig. Gezahlt wird ebenfalls via App. Auch über den Preis schweigt sich Diepenhorst noch aus. In Paris kostet eine Fahrt einen Euro Grundgebühr plus 15 Cent pro Minute.

In Berlin wird derzeit an einer gesetzlichen Regelung gearbeitet

Mytaxi will in seiner Pilotstadt zwischen 200 und 500 Roller auf den Straßen verteilen. Hersteller der Scooter ist das US-Unternehmen, das bekannt wurde durch seine gleichnamigen Fahrzeuge mit zwei nebeneinander stehenden Rädern: Segway. Neuerdings stellt die Firma aber auch Elektrofahrzeuge im klassischen Tretroller-Design her.

In vielen Städten der USA ist der E-Scooter-Verleih bereits Alltag, vor allem auf Universitäts-Campussen sind sie beliebt. Die Firmen Lime und Bird wurden jeweils erst 2017 in Kalifornien gegründet. Sie haben ebenfalls schon ein Auge auf Deutschland geworfen. "Wir prüfen mögliche Einsatzorte. Frankfurt und Berlin befinden sich in der engeren Auswahl", sagt ein Lime-Sprecher mit Verweis auf einen "sehr zufriedenstellenden" Start in Zürich. 250 Roller habe Lime dort verteilt, jeder von ihnen werde dreimal pro Tag gemietet. Am Anfang seien die Scooter vor allem zum Spaß gefahren worden, inzwischen würden immer mehr Berufspendler zugreifen.

Mytaxi hat die Pioniere aus Kalifornien genau beobachtet und zieht nun ziemlich flott nach. "Zwischen der Idee und der Umsetzung wird nur ein halbes Jahr vergangen sein", sagt Mytaxi-Mitgründer und Produktchef Johannes Mewes. Sein Chef Eckart Diepenhorst sieht "erhebliches Wachstumspotenzial" für Mytaxi: "Der E-Scooter-Markt ist sehr dynamisch, das Kundeninteresse steigt in vielen internationalen Großstädten rasant an." Dabei denke er auch über mögliche Kombinationen mit dem Taxi-Service nach, sagt er, ohne konkreter zu werden.

Es ist zunächst ein Pilotprojekt, das, wenn es funktioniert, auf andere Städte Europas erweitert werden soll. In Deutschland will Mytaxi einsteigen, sobald dies rechtlich möglich ist - was offenbar nur noch eine Frage der Zeit ist. Derzeit arbeiten die Bundesministerien an einer gesetzlichen Regelung. Diepenhorst geht davon aus, dass das neue Gesetz im kommenden Jahr in Kraft tritt. Dann beginnt auch hier das Rennen um die Marktanteile.

Im Idealfall könnte das E-Scooter-Angebot die Fahrgewohnheiten der Menschen und damit das Bild und Klima in den Städten verändern. Wenn ein Pendler weiß, dass er die letzte Meile von der Haltestelle zum Büro nicht mehr bergauf laufen muss, sondern bequem auf dem Stehroller hinter sich bringen kann, fährt er vielleicht doch mit Bus und Bahn und lässt das Auto in der Garage. Das ist jedenfalls die Vision von Diepenhorst: "E-Scooter können einen starken Beitrag zur Lösung innerstädtischer Verkehrsprobleme leisten." Allerdings sind die Roller nur für Kurzstrecken unter zwei Kilometer geeignet.

Mytaxi wurde 2009 in Hamburg gegründet und bezeichnet sich selbst als führende Taxi-App in Europa. Mit mehr als zehn Millionen Fahrgästen, 100 000 registrierten Fahrern und 500 Mitarbeitern ist das Unternehmen in 100 Städten aktiv. 2014 hat der Daimler-Konzern das Unternehmen gekauft und mit viel Geld ausgebaut: Inzwischen wurde der britische Taxi-App-Anbieter Hailo integriert, zur Gruppe gehören auch Clever aus Rumänien und Taxibeat aus Griechenland. Letztere sind auch in Südamerika aktiv. Bislang nur mit der Taxi-App. Bald vielleicht auch mit E-Scootern.

© SZ vom 30.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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