Musterprozess:Klimaziele vor Gericht 

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Trockenheit, Hitze und Überschwemmungen gefährden die Existenz von Landwirten, auch in Deutschland. Mit ihrer Klage haben sie aber zunächst keinen Erfolg.

Von Tobias Bug

Lukas Lütke bewirtschaftet im Spreewald einen Milchviehbetrieb. (Foto: Gordon Welters/Greenpeace)

Der Andrang vor dem Berliner Verwaltungsgericht war groß. So groß, dass der Plenarsaal nicht ausreichte, um alle Besucher zu fassen. Kein Wunder: Es ist ein Novum, dass die Bundesregierung wegen unzureichenden Klimaschutzes vor Gericht steht. Drei Landwirtsfamilien hatten gemeinsam mit der Umweltschutzorganisation Greenpeace die Regierung verklagt, weil sie ihr Klimaziel 2020 verfehlt. Im "Aktionsprogramm Klima 2020" hatte die damalige Bundesregierung im Jahr 2007 das Ziel ausgerufen, die CO₂-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent unter das Niveau von 1990 zu drücken. Diese Klage lehnte das Gericht nun ab. Die Kläger seien nicht klagebefugt, hieß es unter anderem in der Begründung des Vorsitzenden Richters Hans-Ulrich Marticke.

Die Anwältin der Kläger, Roda Verheyen, eine große, selbstbewusste Frau mit grauen Haaren und Brille, war vor Verhandlungsbeginn noch optimistisch gestimmt. "Wir haben schon so viel Zeit verloren auf dem Weg zum Klimaziel, da kann sich das Gericht auch noch die fünf Minuten Zeit lassen", scherzte sie noch, als die Richter nicht pünktlich im Saal erschienen. Dass die Klage wenig Chancen auf Erfolg haben würde, war da bereits zu erahnen. "Mit dieser Klage werden die Grenzen der Befugnisse des Verwaltungsgerichtes ausgetestet", stellte Marticke fest.

In der Verhandlung ließ der Richter die klagenden Landwirte auch persönlich zu Wort kommen. Das sei ungewöhnlich, so Marticke, und in der Prozessordnung des Verwaltungsgerichts normalerweise nicht vorgesehen. Doch das Gericht wollte hören, was die Biobauern antreibt. Einer von ihnen ist Jörg Backsen, Rindviehbauer auf der Nordseeinsel Pellworm. Er berichtete über extreme Wetterbedingungen, die der Klimawandel mit sich bringe. "Der nasse Winter 2017 und der Dürresommer 2018 hat zu extremen Wachstumsstörungen unserer Futterpflanzen geführt. Letztes Jahr hatten wir einen Gewinneinbruch von knapp 40 Prozent", erzählte Backsen.

Der zweite Kläger, Lukas Lütke Schwienhorst, bewirtschaftet mit seinem Vater Heiner einen Milchviehbetrieb in Vetschau im Spreewald. Ihnen machten im vergangenen Jahr vor allem die sehr vielen heißen Tage zu schaffen. "Beim Futter hatten wir letztes Jahr wegen des Hitzestresses Einbußen von knapp 50 Prozent", so Lütke Schwienhorst. Mit ähnlichen Problemen sieht sich auch ein Obstbauer aus dem Alten Land bei Hamburg konfrontiert. Seine Apfelbäume litten wegen der gestiegenen Temperaturen unter Schädlingsbefall, erzählte Obstbauer Claus Blohm. Kirschen könne er deshalb gar nicht mehr anbauen. "Ich musste deshalb vier Hektar Kirschbäume roden", sagte Blohm. "Wir werden dieses Jahr 50 Prozent weniger Gewinn machen."

Rechtsanwältin Verheyen griff in ihrem Plädoyer die Situation der Landwirte immer wieder auf. Deren Existenz sei bedroht - durch unzureichenden Klimaschutz der Regierung. Mit dem Verfehlen des Klimaschutzziels greife der Staat in die Grundrechte der Landwirte auf körperliche Unversehrtheit, freie Berufswahl und Eigentum ein. Die Bundesregierung sei verpflichtet, die Rechte der Bürger zu schützen. "Klimaschutz ist ein Menschenrecht", so Verheyen.

Alleine sind die drei Bauernfamilien mit ihrem juristischen Vorgehen nicht. Auch in anderen Ländern beschäftigt der Klimawandel die Gerichte. Ein erfolgreiches Vorbild gibt es bereits: Die Organisation Urgenda war mit einer Klage gegen die niederländische Regierung in zwei Instanzen erfolgreich. Der Staat wurde zu einer Verringerung der Treibhausgasemissionen um 25 Prozent verpflichtet. Verheyen argumentierte, dass sich Urgenda auf die gleichen europäischen Menschenrechtskonventionen berufen habe wie ihre Mandanten.

Für das Gericht in Berlin ging es am Mittwoch ebenfalls um die Frage, ob die Bundesregierung verpflichtet ist, ihr Klimaziel wirklich zu erreichen. In den vergangenen zwölf Jahren sei das Ziel immer wieder in Beschlüssen wiederholt worden, so Verheyen: "Durch dieses Handeln wurde das Klimaschutzziel verfestigt."

Dem widersprach der Anwalt der Bundesregierung, Anno Oexle: "Das 40-Prozent-Ziel ist nicht bindend." Die Bundesregierung nehme zwar den Klimaschutz ernst, doch habe sie in ihren Maßnahmen einen Handlungsspielraum. Ein Gericht könne die Regierung nicht zu konkreten Maßnahmen des Klimaschutzes verpflichten, sagte Oexle. Die Klage sei unzulässig, weil sie gegen die Prinzipien der Gewaltenteilung und der Demokratie verstoße.

In der Urteilsverkündung folgte der Vorsitzende Richter Marticke den Ausführungen des Regierungsanwaltes. "Die Handlungsspielräume der Bundesregierungen müssen respektiert werden", erläuterte Marticke, der die Landwirte um Verständnis bat. Das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 sei eine politische Absichtserklärung, enthalte aber keine "rechtsverbindliche Regelung mit Außenwirkung", auf die sich die Kläger berufen könnten. Zudem sei das Klimaziel 2020 mit dem Regierungsentwurf zum Klimaschutzgesetz zulässig auf das Jahr 2023 verschoben. Es fehle den Klägern an der Klagebefugnis.

Erledigt hat sich die Klage damit aber möglicherweise noch nicht. Eine Berufung ließ das Berliner Verwaltungsgericht zu. Verheyen ließ nach der Urteilsverkündung offen, ob sie mit ihren Mandanten in Revision gehen will. "Wir verlassen die Verhandlung heute mit einem weinenden und einem lachenden Auge", sagte die Anwältin. Zwar hätten sie "im Ergebnis nicht gewonnen", doch habe das Gericht bestätigt, dass Menschenrechte durch unzureichenden Klimaschutz beeinträchtigt würden. Verheyen kämpferisch: "Das Urteil heute war auf keinen Fall eine Absage für Klimaklagen."

Hinweis der Redaktion: In der ersten Fassung dieses Artikels hieß es, dass Dominik Lück der Anwalt der Regierung gewesen sei. Das ist nicht richtig. Die Bundesregierung wurde von Anno Oexle vertreten.

© SZ vom 02.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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