Münchner Seminare:Warum die  Schuldenbremse bleiben soll

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An Morgen denken: Christoph Schmidt, seit 2013 Vorsitzender der fünf Wirtschaftsweisen. (Foto: Jens Schicke/imago)

Was Christoph Schmidt, der Chef der Wirtschaftsweisen, der deutschen Politik empfiehlt - und was er von Abweichlern in seinem Gremium hält.

Von Bastian Brinkmann, München

Nach der Vorstellung des Jahresgutachtens geht es den Sachverständigen ein bisschen wie Rockstars nach der Veröffentlichung eines neuen Albums: Es geht auf Tour mit den größten Hits. 401 Seiten haben die Sachverständigen, die auch als die fünf Wirtschaftsweisen bekannt sind, dieses Jahr der Bundesregierung übergeben. Genügend Stoff für einen einstündigen Vortrag, den der Vorsitzende des Gremiums, Christoph Schmidt, im Ifo-Institut in München hielt. Seit 2009 ist Schmidt im Sachverständigenrat, seit 2013 ist er der Vorsitzende. Er denkt in langen Linien: Welche Reformen müsste die Politik umsetzen, damit Deutschland auch künftig wirtschaftlich stark bleibt? "Wir sind nie müde geworden zu appellieren, dass an morgen gedacht wird", sagte er. Deutschland bereite sich aber zu wenig vor. Die Bundesrepublik liege beispielsweise bei wissensintensiven Dienstleistungen (hierzu gehören etwa IT, Finanzen und Unternehmensberatungen) deutlich hinter Großbritannien, den USA und Frankreich. Diese Länder erreichen hier eine höhere Wertschöpfung. Wenn Start-ups in Deutschland Wagniskapital suchen, werden sie oft nicht fündig. In den Niederlanden oder Frankreich gibt es umgerechnet auf die Wirtschaft der Länder mehr Risikokapital.

Auffällig war in diesem Jahr im Jahresgutachten, das es zwei besondere Minderheitenvoten gab. Das kam in der Geschichte des Gremiums so noch nie vor. Achim Truger, ein auf Empfehlung der Gewerkschaften in das Gremium berufener Ökonom, hat wie seine Vorgänger mal hier mal dort das im Jahresgutachten ergänzt, was im Sachverständigenrat offiziell unter dem Stichwort "andere Meinung" läuft. Anders als die übrigen vier sieht er beispielsweise eine zunehmende Ungleichheit in Deutschland, weil er ein anderes Jahr als Vergleichsmaßstab heranzieht. Bei zwei Themen - und das war das Überraschende, stand er mit seinem Minderheitenvotum aber nicht alleine da: Isabel Schnabel, die als Direktorin zur Europäischen Zentralbank wechselt, veröffentlichte gemeinsam mit Truger zwei "andere Meinungen". Zum einen geht es um die Frage, ob die Konjunktur in Deutschland so schwächelt, dass sich der Staat darauf vorbereiten sollte, mit Geld gegen den Abschwung zu halten. Schmidt und zwei Kollegen hielten dagegen; Schnabel und Truger zeigten sich offen. Der zweite Punkt betrifft die Schuldenbremse. Schnabel und Truger kritisierten sie als zu streng; Christoph Schmidt, Lars Feld und Volker Wieland, der auf Empfehlung der Arbeitgeber berufen wurde, sahen dagegen keinen Bedarf, die Schuldenbremse zu reformieren. In seinem Vortrag lobte Schmidt den offenen Austausch innerhalb des Gremiums, bedauerte aber, dass die Schnabel und Truger sich "leider" zum Abweichen entschieden haben. "Da sind wir nicht so begeistert als Mehrheit", sagte er. "Die Schuldenbremse atmet mit der Konjunktur." Wenn mehr staatliche Investitionen gefordert werden, wird oft auf Zahlen der Förderbank KfW verwiesen: Demnach gebe es bei den deutschen Kommunen einen Investitionsrückstand von rund 140 Milliarden Euro. Schmidt betonte, dass diese Zahl auf einer Umfrage unter den Städten und Gemeinden basiert. Den tatsächlichen Bedarf an Investitionen könne man "nicht wie am Thermometer" ablesen. Schmidt forderte, Deutschland solle die Fiskalregeln einhalten und ein attraktives Umfeld für Investitionen schaffen. Für den Fall, dass Kommunen überschuldet sind, sieht er die Bundesländer in der Pflicht, nicht die Bundesregierung.

Ein wichtiges Kapital des Jahresgutachtens war die Produktivität, sie wächst nämlich nicht mehr so stark wie früher. Das kann ein Problem werden, weil das Wirtschaftswachstum stark davon abhängig ist, dass die Arbeit produktiver erledigt wird, zum Beispiel dank neuer Maschinen. Die Bundesregierung hatte sich eine Analyse des Problems gewünscht und daher den Sachverständigenrat auch zum sogenannten nationalen Ausschuss für Produktivität ernannt. Ökonomen rätseln, warum die Volkswirtschaft in Deutschland und anderswo immer weniger produktiv wird. "Es scheint so zu sein, dass wir uns Sorgen machen müssen", sagte Schmidt, der auch das Wirtschaftsforschungsinstitut RWI leitet. Er diskutierte einige Faktoren, die bei dem Thema eine Rolle spielen könnten, drei Beispiele: Firmen werden seltener als früher durch neu gegründete Unternehmen ersetzt. Deutschland geht die Digitalisierung bislang relativ zögerlich an. Die Bevölkerung altert. Das Rätsel der abnehmenden Produktivität hat der Ausschuss im ersten Anlauf aber noch nicht ganz lösen können.

© SZ vom 19.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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