Moral in der Wirtschaft:Eine Frage der Verantwortung

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Die Wirtschaft - ein "moralfreier Raum"? Sozialethiker Friedhelm Hengsbach erläutert, was die scheinbar entgegengesetzten Pole miteinander zu tun haben.

M. Bauchmüller

Auf den ersten Blick sind sie weit voneinander entfernt, die Wirtschaft und die Moral. Geradezu feindlich, sagt der Theologe und Sozialethiker Friedhelm Hengsbach. "Ja, man kann sagen, sie ist ein moralfreier Raum", eröffnet Hengsbach seinen Vortrag, zugleich der Auftakt zum zweiten Kongresstag des Führungstreffens Wirtschaft der Süddeutschen Zeitung in Berlin. Allerdings nur im Verhältnis zur alltäglichen Lebenswelt - und die folgt ganz anderen Gesetzmäßigkeiten als wirtschaftliches Tun. Was nicht heißt, dass sich Moral und Wirtschaft grundsätzlich ausschließen. Auch bleibt es eine Frage letztlich an die Gesellschaft. Denn wie viel Moral in die Wirtschaft einzieht, ist auch eine Frage der Norm.

Wie viel Moral in die Wirtschaft einzieht, das ist immer auch eine Frage der Norm. (Foto: Foto: dpa)

Hengsbach nähert sich dem Thema aus großer Ferne. Wie die unterschiedlichsten Lebens- und Schaffensbereiche, so argumentiert er, folgt auch die Wirtschaft zunächst einem binären Code, einem Schwarz und Weiß. Es ist für die Wirtschaft die Frage von "zahlen oder nicht zahlen", auch von Gewinn und Verlust - so wie es für die Politik die Frage von Macht haben oder nicht haben, für die Medizin der Unterschied zwischen gesund oder nicht gesund, für die Wissenschaft die Frage von wahr oder nicht wahr ist.

Die Rolle des Vertrauens

Nur passt die Moral in dieses Kalkül nicht hinein. "Moralische Begriffe bringen diese binären Codes aus dem Gleichgewicht", sagt Hengsbach. Und dennoch können sie Eingang in wirtschaftliches Tun finden, sie bahnen sich nur ihre eigenen Wege.

Da wäre zum einen das Vertrauen. Es spielt seine Rolle hinter den Kulissen, aber beständig. Gerade in der Wirtschaftskrise, so Hengsbach, sei immer wieder von mangelndem Vertrauen die Rede. "Das heißt: Da ist ein Sockel von moralischem Handeln, der offenbar unverzichtbar ist." Als Beispiel nennt er die Vertragstreue, auf die sich beide Seiten stets verlassen müssen - und in der Regel auch können. "Wenn ich auf den Markt gehe, erwartet der Händler Tauschbeziehungen. Und ich als Kunde erwarte, dass ich nicht ständig über den Tisch gezogen werde", sagt Hengsbach. Es ist eine Dimension, die weit über das Schwarz-weiß von "zahlen oder nicht zahlen" hinausgeht, ein qualitativer Unterschied im Wirtschaften. Es ist nicht der einzige.

Denn auch der Markt, auf dem sich Akteure begegnen, "fällt nicht vom Himmel". Den Schauplatz ihrer Tausch- und Wirtschaftsbeziehungen gestalten sich Menschen selbst. "Wenn Märkte entarten, dann geschieht das, weil der Mensch sie so geschaffen oder verändert hat." Und mit menschlicher Einwirkung kann auch die Moral Einfluss auf das Wirtschaftsgeschehen haben, wenn die Akteure das so wollen. Sie können Verantwortung zu einer festen Größe wirtschaftlichen Tuns machen, argumentiert Hengsbach. "Lange spielte das überhaupt keine Rolle."

Verbindliche Regeln

Verantwortung in Unternehmen, das sei jedoch mehr als nur die für den Erfolg, also das Überleben der Firma. Es sei auch Verantwortung für Mitarbeiter, für die Gesellschaft, deren Vorleistungen das Unternehmen schließlich auch in Anspruch nimmt, letztlich auch für die Umwelt. Es ist eine dreidimensionale Verantwortung, die Hengsbach so umreißt: "Den Markt im Blick, die Mitarbeiter an der Seite, die Gesellschaft im Rücken."Freilich bleibt es Sache der Gesellschaft, den Begriff der Verantwortung einzugrenzen, den Markt so zu gestalten, dass er Unternehmern Raum lässt, sie auch zu tragen. Am Ende, räumt auch Hengsbach ein, bleibe diese Frage höchst subjektiv.

Entscheidend seien daher die Brücken, die sich zwischen Fragen der Moral und solchen wirtschaftlicher Betätigung bauen lassen. Eine Brücke sieht Hengsbach in der langfristigen Orientierung: "Wenn Nachhaltigkeit das wirtschaftliche Handeln bestimmt", sagt Hengsbach, "dann ist es identisch mit Moral."

Und schließlich könnten auch allgemein verbindliche Regeln Wirtschaft und Moral zueinander bringen. Weil sich hinter solchen Regeln auch die Gerechtigkeit verbringt (gerade weil sie für alle gelten) und weil Gesellschaften diese Regeln formulieren können, lassen sich die Wege der Wirtschaft zur Moral und umgekehrt so vorgeben. "Moral wird so übersetzt in politische Entscheidungen und in wirtschaftliche", so Hengsbach. Wirtschaft muss nicht moralfrei sein, wenn Gesellschaften eine Balance einfordern: zwischen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, gesellschaftlichem Zusammenhalt, ökologischer Nachhaltigkeit.

© SZ vom 23.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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