Modernisierung des Arbeitsalltags:Digital im Einsatz

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Die deutsche Polizei investiert massiv in mobile Technik. Das nutzt Beamten und Bürgern. Allerdings sucht jedes Bundesland eine eigene Lösung. Vernetzung sieht anders aus.

Von Katharina Kutsche, Hannover

So richtig frisch wirkt das Gelände der Zentralen Polizeidirektion Niedersachsen (ZPD) nicht. Kasernengebäude mit grünlichem oder blassgelbem Anstrich, gerade fährt ein Abschlepper mit einem kaputten blau-silbernen Streifenwagen auf der Ladefläche über den Hof. Hier, wo die Bereitschaftspolizei trainiert, das Polizeimusikkorps übt und eine landeseigene Werkstatt die Flotte der Polizei repariert, entscheidet ein Team von rund 140 Mitarbeitern, mit welcher Technik die niedersächsischen Polizeibeamten in ihre Einsätze gehen. Und die ist - anders als die Liegenschaft - ausgesprochen zeitgemäß.

Seit einem Pilotversuch vor einem Jahr nehmen die Polizisten nun regelmäßig Anzeigen und Unfälle per Tablet auf. Das mag für viele Arbeitnehmer nicht gerade revolutionär klingen. Doch für die niedersächsische Polizei ist das ein großer Schritt, und sie ist damit deutschlandweit führend.

Während die Digitalisierung in immer mehr Unternehmen angekommen ist, tun sich Verwaltung und Polizei immer noch schwer. Lange fehlte es den Behörden am Budget, am Sachverstand, an der Akzeptanz. Dazu kommt eine Beschaffungspolitik, die es einer Dienststelle nicht erlaubt, im Markt nebenan ein paar Smartphones zu kaufen. Bis 2004 hatte die niedersächsische Polizei keine Vollausstattung mit Computern. Ermittlungsbeamte brachten von Zuhause ausgemusterte Rechner mit, die wegen der Datensicherheit nicht ans Polizeinetz durften, aber immerhin als bessere Schreibmaschine taugten. In den Dienststellen hat sich das längst geändert, doch auf der Straße schrieben die Polizisten immer noch von Hand.

60 Euro kostet ein Tablet im Monat - so viel wie eine Stunde Arbeit eines Polizeikommissars

Marco Trumtrar von der ZPD hat das Projekt rund ums Tablet betreut, mit dem die Beamten auf das Vorgangs- und Fahndungssystem zugreifen können. "Wir möchten, dass die Kollegen auf der Straße schneller und besser werden", sagt der Polizeirat. Bisher mussten die Polizisten etwa bei einer Kontrolle per Funk oder Telefon in ihrer Dienststelle nachfragen, ob nach dem Menschen vor ihnen gefahndet wird. Hatte derjenige keinen Ausweis dabei, musste er mit zur Wache genommen, etwaige Fotos im Fahndungssystem mit ihm abgeglichen werden. Nun kann das Streifenteam selbst ins System schauen und die Kontrolle vor Ort abschließen, wenn die Daten übereinstimmen. Dadurch sind Beamte und Bürger schneller wieder frei.

Zudem erfassten Polizeibeamte alles doppelt, am Einsatzort ins Merkbuch, danach in der Dienststelle im Computer. Gibt die Streife die Daten per Tablet direkt ins System ein, verringert sich das Risiko von Übertragungsfehlern. Dritter Vorteil: Die Beamten überprüfen Auto und Halter, bevor sie das Fahrzeug anhalten. Und sind vorgewarnt, falls der Halter gewalttätig, das Auto gestohlen ist.

Für die Polizei in Brandenburg war die Eigensicherung einer der Gründe, auf mobile Technik zu setzen. "Wir hatten Einsätze, bei denen wir über Stunden nach einem Streifenwagen gesucht haben und hinterher heilfroh waren, dass den Kollegen nichts passiert ist", sagt Harald Klauth vom Innenministerium in Potsdam. Seit 2009 können alle Streifenwagen per GPS von der Leitstelle geortet werden. Zusätzlich sind interaktive Funkstreifenwagen unterwegs, mit integrierten Multifunktions-PC. Über einen Bildschirm auf dem Armaturenbrett bekommen die Beamten ihre Einsätze, navigieren zum Einsatzort. Per Kamerafunktion können sie aus dem Wagen heraus filmen, etwa bei einer brenzligen Kontrolle, und die Leitstelle zur Sicherheit zuschalten. Außerdem haben die Polizisten einen Laptop an Bord, mit dem sie Daten abfragen und eingeben können. "Wir ersetzen keine Polizeiwache", sagt Polizeioberrat Klauth. Aber wenn die Beamten Zeit überbrücken müssen, etwa wenn sie auf den Abschleppdienst oder die Kriminaltechnik warten, können sie Unfall oder Strafanzeige schon mal eintragen.

Auf Streife in Niedersachsen: Personenkontrollen lassen sich per Tablet oft vor Ort abschließen – das spart Zeit und Ärger. (Foto: Swen Pförtner/picture alliance)

Gerade in entlegenen Gegenden lohnt sich das. So sind die Polizisten über Stunden auf Streife, ohne zwingend in ihre Wache zurückkehren zu müssen.

Marco Trumtrar kennt das Brandenburger Modell. Doch in Niedersachsen habe man sich dagegen entschieden, die Technik komplett in den Streifenwagen zu integrieren. "Mobilität endet nicht am Auto, sondern dort, wo der Einsatz stattfindet", sagt Trumtrar. Und das kann auch in einem Waldstück oder an einer Bahnstrecke sein, wo die Beamten nur zu Fuß hingelangen. Im nächsten Jahr sollen alle niedersächsischen Streifenwagen mit Tablets ausgestattet sein.

Technisch sind die Geräte mehrfach gesichert. Die Beamten gelangen über einen VPN-Tunnel ins Polizeinetz. Die Verbindung wird über mobiles Internet in einem Subnetz des Netzanbieters aufgebaut. Ein Team der Hochschule Leer hat über mehrere Wochen getestet, ob es das Polizeinetz hacken kann - erfolglos. Jedes Tablet kostet das Land Niedersachsen rund 60 Euro pro Monat, darin sind Gerät, Flatrate, Lizenzen, also die vollen Kosten enthalten. Die amortisieren sich schnell: Denn die Arbeit eines Polizeikommissars wird mit etwa 55 Euro pro Stunde berechnet. Es genügt also schon, wenn der Beamte durch das mobile Gerät rund eine Stunde monatliche Arbeitszeit einspart und dadurch frei für andere Aufgaben ist.

Das neueste Projekt aus Hannover ist ein Polizei-Messenger, ähnlich wie Whatsapp. Mit "NIMes" sollen sich die Beamten austauschen, Fahndungsfotos und Dokumente verschicken können. Das war bisher nur per E-Mail vom stationären Rechner aus möglich. Was dazu führte, dass mancher Beamte eine Whatsapp-Nachricht vom privaten Handy aus versandte - um schneller voranzukommen. Nun gibt es mit NIMes eine legale Lösung. Besonders dabei ist, dass der Messenger auf den privaten Smartphones der Beamten installiert wird, wenn diese damit einverstanden sind: per Zwei-Faktor-Authentifizierung gesichert, vom Polizei-Administrator löschbar, falls das Handy verloren geht. "Wir reden nicht nur über die Einsatzbewältigung, sondern auch über die soziale, kollegiale Vernetzung", sagt Marco Trumtrar. Die Beamtengreifen mit NIMes auf das interne Polizei-Adressbuch zu, verabreden sich, organisieren Dienste. Geht eine Nachricht mal an den falschen Adressaten, bleibt sie innerhalb der Polizei - ohne dass Unternehmen wie Google oder Facebook, zu dem Whatsapp gehört, Daten abgreifen können.

Ein Kind wird vermisst - die Meldung kam früher per Funk. Jetzt gibt es ein Foto aufs Handy

Auch die Polizei Bayern nutzt seit kurzem einen Messenger, allerdings in einer Paketlösung vom Telekom-Anbieter, der die Beamten mit fertig konfigurierten Smartphones ausstattet. Rund 2000 Smartphones sind schon im Einsatz, nächstes Jahr sollen es 5000 sein. Außerdem setzt Georg Ringmayr, EDV-Chef der bayerischen Polizei, neben Notebooks auf Convertibles: Laptops, die auch als Tablets genutzt werden können. "Die sind weggegangen wie warme Semmeln", sagt Ringmayr. Beide Mobil-Geräte waren gerade beim Oktoberfest im Einsatz. "Die Vernetzung macht es möglich, etwa vom Arbeitsplatz in der Wiesnwache Fahndungsfotos auf die Messenger-Smartphones der Kollegen zu schicken", sagt Thomas Hampel, Inspekteur und Einsatz-Chef der Polizei im Freistaat. Vermisste eine Mutter ihr Kind, konnten die Beamten anhand der übermittelten Bilder das Wiesn-Gelände zügig absuchen.

Auch das klingt nicht nach technischer Revolution. Doch zuvor gab die Leitstelle nur eine Beschreibung des Vermissten per Funk durch: Größe, Haarfarbe, Kleidung - das schränkt die Suche auf einem 42 Hektar großen Festgelände nicht gerade ein.

25 Millionen Euro investiert die bayerische Polizei bis 2018 in das Konzept "Mobile Police". "Wir wollen bewusst nicht die ganze Büroarbeit auf der Straße oder im Streifenwagen machen lassen", sagt Einsatz-Chef Hampel. Wie in Niedersachsen und Brandenburg sollen die Mobil-Geräte den Polizisten das Erfassen und Abfragen von Informationen erleichtern. Im nächsten Jahr sollen mehr als 6000 Tablets und Notebooks mit bayerischen Streifen unterwegs sein. "Das Auto ist ergonomisch der denkbar schlechteste Arbeitsplatz. Aber an der Mobilität führt kein Weg vorbei", sagt EDV-Chef Ringmayr. "Auch unser Gegenüber wird mobiler."

Vor dieser Herausforderung stehen alle deutschen Polizeibehörden. Die Beamten, die die digitalen Schritte vorantreiben, besuchen sich gegenseitig, zeigen ihre Modelle. Trotzdem kocht auch bei diesem Thema jedes Land sein eigenes Süppchen. "Wir könnten an vielen Stellen fertige Lösungen weitergeben, aber das wird noch nicht sehr intensiv nachgefragt", sagt der Niedersachse Marco Trumtrar. Polizei ist eben immer noch Ländersache.

© SZ vom 10.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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