Mobilitäts-Serie:Müde Pferde, leere Akkus

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Alte Postkutschen und moderne Elektroautos haben etwas gemeinsam: Beide müssen regelmäßig aufladen - oder austauschen. Was man daraus lernen könnte.

Von Thomas Fromm

Als sich Goethe am 3. September 1786 um drei Uhr morgens in Karlsbad in eine Postkutsche setzte und Richtung Süden aufmachte, hatte er niemanden informiert. "Ich warf mich ganz allein, nur einen Mantelsack und Dachsranzen aufpackend, in eine Postchaise." Die große, fast zweijährige Italien-Reise als Aufbruch und Befreiungsschlag - lange vor ICE und Pendolino, Lufthansa und Alitalia.

Die Reise über den Brenner, den Gardasee und Rom bis nach Sizilien wäre ohne eine der ältesten Formen der Mobilität wohl kaum möglich gewesen: die Postkutsche. Noch heute finden sich in vielen Dörfern entlang des Post-Weges Richtung Süden jene historischen Gasthäuser mit Pension und alten Gebäuden für die Pferde, die ja nicht zufällig meistens "Gasthof zur Post" heißen. Solche alten Traditionshäuser lassen sich an vielen Orten besichtigen - zum Beispiel im oberbayerischen Kochel am See.

Die Wagen, mit denen Post und Menschen transportiert wurden, brachten es anfangs noch auf zwei Kilometer pro Stunde. Später dann, Mitte des 19. Jahrhunderts, sollen es schon an die zehn Stundenkilometer gewesen sein. Eine Kutsche konnte in diesen Zeiten also auch schon mal an die 100 Kilometer am Tag hinter sich legen, in etwa so viel wie ein Auto heute in der Stunde.

Vorausgesetzt, die Pferde spielten mit.

Damit das alles funktionierte, mussten die Kutscher einen strikten Plan mit regelmäßigen Stopps einhalten. Als Johann Wolfgang von Goethe, der ja auch deshalb reiste, um unterwegs zu sein und nicht unbedingt, um anzukommen, in den Süden aufbrach, musste er immer wieder längere Wartezeiten und Unterbrechungen einplanen. In den Post- und Relaisstationen von einst wurde geruht, gegessen, oder es wurden Pferde und Kutscher ausgewechselt. Die alte Kutsche fuhr weiter, die Pferde aber waren frisch.

Ein paar Hundert Jahre nachdem Postkutschen Europas Städte und Dörfer miteinander verbanden, könnte das Thema mit den ausgeruhten Pferden wieder interessant werden. Denn es gibt da eine Sache, die die Pferdekutschen von damals mit den Elektroautos von morgen gemeinsam haben: Beide müssen regelmäßig aufladen - oder austauschen. Die einen die Pferde, die anderen die großen Batterien.

Solange Autos mit Verbrennungsmotor fahren, halten die Reisenden an Tankstellen. Tanken in ein paar Minuten auf, trinken vielleicht einen Kaffee, fahren weiter. Die Sache wird sich aber stark verändern, wenn immer mehr Menschen elektrisch fahren.

Noch schreckt das lange Aufladen der E-Auto-Batterien mit begrenzter Reichweite viele Kunden ab. So eine Batterie aufzuladen dauert zwar nicht so lange, wie ein müdes Pferd wieder aufzubauen - aber es kann schon, je nach Aufladetechnik, eine halbe Stunde und mehr dauern. Eine Lösung: Batteriewechselstationen. Alte Batterie mit zwei Handgriffen ausbauen und an der Station lassen, neue Batterie rein - in ein paar Minuten ist das machbar.

Die Idee des Batteriewechsels bei einem Elektromobil ist nicht neu. Einer der Ersten, der das Konzept der Wechselbatterie zu einem Geschäftsmodell machen wollte, war der israelische Unternehmer und Ex-SAP-Manager Shai Agassi. Er scheiterte vor einigen Jahren mit seinem Unternehmen "Better Place", das mit Infrastrukturen für den Batteriewechsel warb, weil die meisten Autohersteller sein Konzept rigoros ablehnten. Ihr Argument: Wenn es so ist, dass die Batterie nicht nur zu den Herzstücken der neuen Elektromobilität gehört, sondern möglicherweise auch das teuerste Teil eines solchen E-Autos ist, dann wollte man zumindest jenen Teil des Fahrzeugs selbst kontrollieren und nicht zu einem austauschbaren, standardisierten Gut machen und mit anderen teilen. Und: Angeblich wollten das die Kunden auch nicht. Mein Auto, meine Batterie.

Die Serie "Unterwegs in die Zukunft. Leben ohne eigenes Auto" ist im SZ-Wirtschaftsteil zwischen 15. Dezember 2018 und 2. Februar 2019 erschienen. (Foto: N/A)

Rund zehn Jahre nach Agassis Pilotprojekten sind die Batteriewechsel wieder in der Diskussion. Warum, zum Beispiel, ließe sich nicht an jeder Autobahntankstelle auch eine Werkstatt für den Batteriewechsel einrichten? Reinfahren, Batterie wechseln, mit aufgeladener Batterie weiterfahren - Fahrern, deren Elektroautos eine Reichweite von 300 Kilometern haben, könnte dies die sogenannte "Reichweiten-Phobie" nehmen, also jene diffuse Angst, irgendwo zwischen Fulda und Kassel auf dem Seitenstreifen zu stranden, weil weit und breit nur herkömmliche Tankstellen für Benziner und Diesel-Autos stehen.

Und offenbar sehen das längst nicht mehr alle Hersteller kritisch - vor allem in Asien liegen konkrete Pläne für den Wechsel der genormten Batterien in den Schubladen. Im vergangenen Frühjahr berichteten japanische Medien, dass der Hersteller Toyota, schon seit Jahren Vorreiter beim Bau von Hybrid-Fahrzeugen, offenbar Modelle mit Wechselakkus plant. Dabei soll es demnach erst einmal um kleinere Stadtautos gehen, die eher kleinere Batterien brauchen. Wenn jetzt einer der größten Autobauer der Welt das Thema angeht, dann dürfte es nicht ganz so abwegig sein.

Knapp drei Minuten dauert der automatisierte Batteriewechsel

Der taiwanische Motorrollerhersteller Kymco will in den nächsten Jahren nicht nur neue Elektro-Scooter auf den Markt bringen, sondern gleich auch die dazugehörige Ladeinfrastruktur mit Tausenden Wechselstationen für die Akkus. Was bei kleineren Motorrollern klappt, könnte später auch ein Modell für Autos werden. Der chinesische Elektroauto-Hersteller NIO plant bereits in großem Stil: So sollen zentrale Verkehrsachsen des Landes mit eigenen Batteriewechselstationen ausgerüstet werden. Mitte November informierte das Start-up über die Einweihung seines ersten Wechsel-Netzwerks - und versprach Elektroauto-Besitzern zwölf kostenlose Batteriewechsel im Jahr. Man wolle den Kunden ein "sorgenfreies Fahrerlebnis auf Chinas Autobahnen" ermöglichen, so NIO-Präsident und -Mitgründer Lihong Qin. Dauer des automatisch durchgeführten Tauschs: an die drei Minuten.

Gut möglich also, dass die Idee von Batteriewechselstationen in den nächsten Jahren eine Renaissance erlebt. Was dafür spricht: Die seit dreieinhalb Jahren anhaltende Diesel-Krise zwingt die Hersteller in neue Geschäftsmodelle, und nicht zufällig haben Autobauer wie Volkswagen große Pläne für ihre Elektroautoflotte und planen für die nächsten Jahre Milliardeninvestitionen. Die Zahl der Elektroautos auf den Straßen wird zunehmen, und damit wird die Frage immer wichtiger: Wo nur sollen all diese neuen Autos aufgeladen werden? Mit Interesse dürften sich die großen Autohersteller daher demnächst anschauen, ob und wie Projekte wie das von NIO in China funktionieren. Anhalten, austauschen, frisch weiterfahren. Wie damals bei den Postkutschen und den Pferden.

© SZ vom 31.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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