Mobilität:Uberdruss

Lesezeit: 3 Min.

Muss jetzt liefern: Uber-Chef Dara Khosrowshahi beim Börsengang seines Unternehmens in New York. Inzwischen hat die Aktie viel an Wert verloren, die Anleger werden allmählich unruhig. (Foto: Johannes Eisele/AFP)

Der Fahrdienstvermittler verbrennt so viel Geld wie noch nie seit seiner Gründung. Langsam zweifeln die Anleger daran, ob diese Branche je profitabel wird.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Wenn die Amerikaner ausdrücken wollen, dass sie etwas außerordentlich, einmalig oder unfasslich finden, dann verwenden sie gerne diesen Begriff, den die kalifornische Punkband Dead Kennedys in den 1970er-Jahren aus Deutschland eingeführt hat: Sie stellen einem Wort das Präfix "Über" oder "Uber" voran, und schon wird die Bedeutung ungefähr verzehnfacht. Ein Beispiel: Der Fahrdienst-Vermittler Uber hat gerade einen Uber-Verlust eingefahren.

5,24 Milliarden Dollar, so hoch war das Minus in der Bilanz des Unternehmens im vergangenen Vierteljahr, so viel wie noch nie zuvor in seiner Geschichte. Uber hat beim Börsengang vor drei Monaten zwar 8,1 Milliarden Dollar eingenommen, in diesem Quartal mussten nun Aktienvergütungen an Mitarbeiter in Höhe 3,9 Milliarden Dollar verbucht werden. Das war erwartbar, schlimmer für die Anleger sind andere Zahlen in diesem Bericht: Die Einnahmen sind im Vergleich zum Vorjahresquartal um lediglich zwölf Prozent auf 2,87 Milliarden Dollar gestiegen, der Verlust aus dem operativen Geschäft hat sich auf 656 Millionen Dollar mehr als verdoppelt. Im nachbörslichen Handel stürzte die Aktie zeitweise um bis zu 13 Prozent ab.

Das Timing für den Börsengang im Mai hätte kaum desaströser sein können: Die Geschäftszahlen waren ernüchternd gewesen (der Konzern hatte in den drei Jahren davor Verluste in Höhe von zehn Milliarden Dollar eingefahren), die langfristige Strategie nur schwer umsetzbar. Der Ausgabekurs, bei dem ein paar Monate vor dem Börsengang über 75 Dollar spekuliert worden war, lag bei 45 Dollar - das Papier hat diesen Wert seitdem nur zwei Mal überschritten und das nur kurz.

"Im Juli hat die Plattform zum ersten Mal mehr als 100 Millionen monatlich aktive Nutzer verzeichnet, wir werden immer mehr Teil des täglichen Lebens in den Städten rund um die Welt", sagt Geschäftsführer Dara Khosrowshahi im uber-optimistischen Sprachduktus des Silicon Valley, und es stimmt schon: Uber hat das Leben der Leute verändert und den urbanen Personentransport verändert, es hat Nutzern einen Chauffeur per Smartphone und Fahrern einen Nebenverdienst verschafft.

Das Unternehmen ist rasend schnell gewachsen, jahrelang, und den Investoren war egal, dass der Stundenlohn der Fahrer nach Abzug der Kosten (im Schnitt 9,73 Dollar) unter der Armutsgrenze für einen US-Drei-Personen-Haushalt liegt und dass Uber diese Fahrer trotz Protesten und Streiks weder anstellt und sozialversichert noch besser entlohnt. Nun aber stagniert das Wachstum, vor allem aber fragen Anleger: Kann Uber jemals profitabel werden?

Khosrowshahi hat im Juni die Manager Barney Harford (Leiter des operativen Geschäfts) und Rebecca Messina (Leiterin Marketing) gefeuert, vergangene Woche verkündete das Unternehmen, die Marketing-Abteilung zu verkleinern und weltweit 400 Angestellte zu entlassen. Ryan Graves, erster Uber-Mitarbeiter überhaupt, hat seinen Posten im Vorstand bereits im Mai aufgegeben, in der vergangenen Woche folgten Arianna Huffington und Matt Cohler. Nachfolger wurden noch nicht vorgestellt.

"Diese Veränderungen sind unglaublich schwierig, weil sie das Leben der Leute immens beeinträchtigen", mailte Khosrowshahi den Mitarbeitern: "Viele unserer Teams sind zu groß, das sorgt für Überschneidungen, Unklarheiten bei Entscheidungen und kann zu mittelmäßigen Resultaten führen. Wir sollten als Unternehmen die Latte höher legen und höhere Ansprüche an uns selbst und unsere Mitarbeiter stellen. Einfach ausgedrückt: Wir müssen unseren Biss wiederfinden." Die langfristige Vision der Uber-Gründer Travis Kalanick und Garrett Camp vor zehn Jahren ist ja tatsächlich revolutionär gewesen: eine Welt, in der die Leute kein Auto mehr besitzen, sondern selbstfahrende, miteinander kommunizierende und vor allem elektrische Fahrzeuge. Sie zahlen nur noch für gefahrene Kilometer und bekommen stets das passende Gefährt geliefert.

Derzeit jedoch steuern noch immer Menschen meist benzinbetriebene Autos, und in New York tun sie das einer Studie der Taxi & Limousine Commission zufolge 40 Prozent ihrer Zeit ohne Passagiere. Uber hat sein Geschäftsfeld erweitert auf die Zustellung von Essen, der Umsatz von UberEats ist im Jahresvergleich um 72 Prozent auf 595 Millionen Dollar gestiegen. Das Unternehmen experimentiert derzeit in Städten wie Denver als Zubringer zu öffentlichen Verkehrsmitteln, Transit soll ein weiterer Baustein sein, aus Uber, wie Khosrowshahi schon vergangenes Jahr sagte, das Amazon des Personentransports zu machen: "Was Bücher für Amazon gewesen sind, das sind Autos für uns. Sie haben ihre außerordentliche Infrastruktur auf dem Rücken von Büchern erbaut und sind von dort aus expandiert - von uns wird man das Gleiche sehen."

All die Experimente kosten Geld, und es hilft nicht, dass es im Winner-takes-it-all-Techniktal noch diesen kleineren Konkurrenten gibt, der einfach nicht aufgeben will. Lyft hat seine Quartalszahlen einen Tag vor Uber veröffentlicht und die Erwartungen mit einem Rekordumsatz von 867,3 Millionen Dollar übertroffen. Der Verlust von 644,2 Millionen Dollar wird in Verbindung mit den Zahlen von Uber als Hinweis gewertet, dass es in der Branche schwer werden dürfte, kurz- oder wenigstens mittelfristig profitabel zu werden.

"Die Lage im Konkurrenzkampf hat sich verbessert, und ich glaube, dass 2019 das Jahr mit den größten Investitionen sein wird", sagt Khosrowshahi: "Sie werden sehen, dass unsere Verluste in 2020 und 2021 geringer sein werden." Das ist ein Uber-Versprechen, an dem sich Khosrowshahi künftig wird messen lassen müssen.

© SZ vom 10.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: