Mittwochsporträt:Nummer eins

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Gillian Tans gehörte 2002 zu den ersten Mitarbeitern des kleinen Start-ups in Amsterdam. Heute führt sie Booking.com. Die Online-Firma wird bewundert und gefürchtet zugleich.

Von  Caspar Busse

Hier ging es lange um das große Geld. Vor fast hundert Jahren hatte sich die Amsterdamsche Bank den Prachtbau im Herzen der Stadt bauen lassen, später residierte in dem Gebäude die niederländische Großbank ABN Amro. Doch die Finanzmanager sind schon lange fort, weggezogen an den Stadtrand. Der Komplex zwischen Herengracht und Amstelstraat wurde fünf Jahre lang völlig umgebaut und dann 2011 als "The Bank" wiedereröffnet. Im ehemaligen Tresorraum gibt es jetzt eine Starbucks-Filiale (angeblich eine der schönsten der Welt). Und an der Backsteinfassade steht in großen weißen Lettern: "Booking.com".

Im fünften Stock sitzt Gillian Tans, 46, mit Blick auf eine grüne Dachterrasse und über Amsterdam. Um den runden Tisch stehen Holzhocker, darauf eine Karaffe Wasser mit ein paar Gläsern. Gillian Tans ist eine der unbekanntesten und zugleich mächtigsten und erfolgreichsten Frauen der weltweiten Internetindustrie. Seit gut vier Monaten ist die Holländerin Chefin des Hotelportals Booking.com, weltweit unangefochtener Marktführer bei Online- Buchungen. Eine Million Kunden nutzen im Durchschnitt die Angebote von Booking.com - am Tag. Der Mutter-Konzern Priceline, dessen mit Abstand wichtigster Teil Booking.com ist, wird an der Börse mit fast 65 Milliarden Euro bewertet, so hoch wie nur ganz wenige Internetfirmen.

Die Chefin tritt bescheiden und zurückhaltend auf, das Unternehmen aber ist heute eine Macht im internationalen Hotelgeschäft. Booking.com hat eine Million Unterkünfte in 220 Ländern, die Hälfte Hotels, mit zusammen zwölf Millionen buchbaren Zimmern im Programm. "Die Kunden mögen Auswahl, sie wollen wissen, was es da draußen gibt", erklärt Tans den Erfolg ihres Unternehmens. Booking.com ist geliebt und gefürchtet zugleich: Die Kunden bevorzugen die günstigen Konditionen und die Einfachheit. Die Hoteliers klagen über hohe Provisionen, die sie an Booking zahlen müssen und die zwischen zwölf und 15 Prozent vom Zimmerpreis liegen.

Der Weg zu Gillian Tans in der Booking-Zentrale führt durch moderne Großraumbüros, die um einen gläsernen Lichthof angeordnet sind. Ein rot markierter Fahrradweg auf dem Teppichboden führt durch das Gebäude, ganz wie in den Straßen von Amsterdam. An langen Holztischen sitzen die Mitarbeiter an ihren Computern, fast alle haben Kopfhörer auf. Die Booking-Seiten gibt es in 42 Sprachen mit 24-Stunden-Service für die Nutzer. Alle Online-Beschreibungen zu den Unterkünften werden von Booking selbst formuliert. "Wir sind vermutlich das größte Übersetzungsbüro der Welt", lacht Tans. Das Durchschnittsalter hier ist 32 Jahre, insgesamt beschäftigt Booking.com weltweit 12 000 Menschen, 3000 davon in Amsterdam, nur noch zehn Prozent davon sind Holländer, der Rest kommt aus aller Welt. Das hat Konsequenzen, auch im Kleinen: Während früher in der Kantine typisch holländisch vor allem Brot, Milch und Käse verkauft wurde, mag das inzwischen kaum noch einer. Das Angebot wurde schnell geändert.

Gillian Tans kam 2002 als siebte Mitarbeiterin zum Start-up Booking. Heute ist sie Chefin von 15 000 Beschäftigten. "Ich glaube, dass es wahnsinnig wichtig ist, dass es auch weibliche Vorbilder in der Tech-Szene gibt", sagt sie. (Foto: oh)

Sie testet oft das Angebot selbst und bevorzugt kleine Hotels und Pensionen

Gillian Tans ist schon seit 2002 beim Unternehmen, damals war sie die siebte festangestellte Mitarbeiterin, heute ist sie die Chefin. Ihr Vorgänger, der Kanadier Darren Huston, war im April über eine Liebesaffäre mit einer Kollegin gestürzt, der frühere Microsoft-Manager hatte damit interne Vorschriften des amerikanischen Priceline-Konzern verletzt und musste gehen. Es kam die Stunde von Tans, die bis dahin in enger Zusammenarbeit mit Huston bereits das gesamte operative Geschäft geführt hatte. Geändert habe sich durch die Beförderung aber nur wenig, sagt Tans. Bescheidenheit gilt hier als Tugend.

Tans sammelte schon in jungen Jahren erste Erfahrungen im Hotelgeschäft. Sie arbeitete unter anderem in einem Ferienhotel im Allgäu, in Immenstadt bei Obersdorf, dann in einem Ferienpark für Kinder bei Augsburg. Spätestens seitdem spricht sie gut Deutsch, auch wenn sie sich mit Englisch wohler fühlt. Dann besuchte sie im niederländischen Middelburg eine Schule für Hotelmanagement und ging in die USA zum Schokoladenkonzern Hershey in Pennsylvania, der dort eine Art Freizeitpark unterhält. Schließlich kam Tans zurück und arbeitete für große Hotelkonzerne und kleinere unabhängige Hotels.

"Als Mitte der 90er-Jahre das Internet aufkam, hatten viele Hotel-Ketten keine Ahnung, was sie jetzt tun sollten", erzählt sie. Damals habe sie ihren Job in der Hotelbranche aufgegeben und ist zu dem Start-up gekommen, das damals noch Bookings.nl hieß und vor allem Hotelbuchungen für reisefreudige Niederländer erledigte, etwa ins deutsche Winterberg zum Skifahren. "Wir haben dann angefangen, dieses Geschäft groß zu machen, auch wenn das am Anfang nicht leicht war."

2005 übernahm die Priceline-Gruppe die Firma für 130 Millionen Dollar. Der Preis ist aus heutiger Sicht ein Schnäppchen, damals erschien er aber hoch, wie sich Tans erinnert. Priceline finanzierte die Expansion. Tans sagt: "Wir konnten weiter an unserem Traum arbeiten." Der lautete von Anfang an: die Welt erobern. Bis heute lassen die Amerikaner der Firma große Freiheit. Gegründet wurde sie im Jahr 1997 in Amsterdam von dem Informatiker Geert-Jan Bruinsma. Er kannte die Technik, verstand aber nichts vom Marketing und schied schon 2003 wieder aus. Doch seit 2011 ist der Gründer wieder da und kümmert sich seitdem vor allem darum, dass die Online-Seiten von Booking noch schneller und effizienter werden - jetzt aber als normaler Angestellter.

Tans, Mutter von drei Kindern, radelt am liebsten morgens von ihrer nahen Wohnung in die Firmenzentrale. Aber das geht nicht immer, denn sie ist viel unterwegs: Sie fährt in die USA, auch zum Mutterkonzern in Connecticut, nach Europa und Asien. Ihre Lieblingsziele sind Barcelona und Berlin, beide Städte findet sie besonders anregend. Immer bucht sie ihre Übernachtungen bei Booking.com, testet das Angebot selbst. Gerade war sie in Tokio, in einem gemütlichen kleinen Hotel. Am liebsten sind ihr kleine Pensionen oder Bed & Breakfasts, sagt sie.

Tans kennt natürlich die Klagen der kleinen und großen Hoteliers und Vermieter. Die Kunden, übrigens nur 20 Prozent Geschäftsreisende, buchen online bei Booking.com und zahlen erst später im Hotel. Dieses muss dann einen Teil ihrer Einnahmen an Booking abgeben und Klauseln unterschreiben, dass es die Zimmer nirgendwo günstiger anbietet - diese sogenannte Bestpreis-Regel wurde in Deutschland vom Bundeskartellamt gerade gekippt (siehe Artikel "Immer Ärger mit Bonn"). Das alles sorgt auch für Unmut, denn Vermieter und Hoteliers sehen sich gegängelt. "Der weitaus überwiegende Teil ist zufrieden mit uns", sagt Tans dazu: "Wir bringen ihnen Kunden, die die Vermieter ohne uns gar nicht erreichen könnten." Das gelte vor allem, weil inzwischen immer mehr Kunden mobil per Smartphone buchten, auch hier baut Booking.com das Angebot aus.

Dazu kommt: Booking.com lässt sich die Dominanz im Internet viel kosten und ist einer der wichtigsten Anzeigenkunden von Google. Das Unternehmen zahlt eine Menge dafür, dass bei Hotelsuchen das Angebot von Booking.com oben in den Trefferlisten steht, noch vor den Webseiten der Hotels. Da die meisten Internetnutzer - ob aus Bequemlichkeit oder aus Unwissenheit - auf die obersten Angebote klicken, landen sie fast immer bei Booking.com, was gut für das Geschäft der Niederländer ist, aber schlecht für die Hotelbetreiber, die darüber sauer sind. So ist es Booking.com gelungen, die meisten Wettbewerber zu verdrängen. Die Hotelketten versuchen mittlerweile, Kunden mit eigenen Bonusprogrammen an sich zu binden. Aber kleinere Hotels sind oft machtlos.

Tans konzentriert sich bewusst auf die Vermittlung von Unterkünften, Flug- oder Pauschalreisen werden nicht angeboten. "Wir sind Partner für die Hotels, wir haben keine eigenen Hotels und werden auch keine eröffnen. Wir sind keine Wettbewerber", betont Tans. Auch vor Mitwohnzentralen im Netz hat sie keine Angst. "AirBnB ist natürlich ein Wettbewerber, aber er ist keine Gefahr unmittelbar für uns. Denn die haben ein anderes Geschäftsmodell", so die Booking-Chefin.

Inzwischen ist Booking.com größter Online-Hotelvermittler in vielen wichtigen Märkten, in Deutschland (allein hier gibt es 1000 Mitarbeiter), Frankreich, Spanien, Großbritannien. Aufholen müssen die Niederländer in den USA und in China, dort vor allem bei innerchinesischen Buchungen. Im Gegensatz zu Internet-Konzernen aus dem Silicon Valley will Tans aber nicht die Informationen über Kunden zu Geld machen. "Wir benutzen die Daten, die wir sammeln, nur, um unsere Produkte zu verbessern, nicht für andere Zwecke. Das ist nicht unser Geschäftsmodell", sagt sie.

© SZ vom 10.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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