Mittwochsporträt:Der ewige Gründer

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Roland Berger hat die bekannteste deutsche Unternehmensberatung gegründet und vieles angeschoben. An diesem Mittwoch feiert der begabte Netzwerker seinen 80. Geburtstag - von Ruhestand ist keine Rede.

Von Ulrich Schäfer

Roland Berger hatte mal das schönste Büro von München, ganz oben im 32. Stock der Highlight Towers, dieses gläsernen Turms im Norden Schwabings, am Beginn der Autobahn gen Allianz-Arena und Flughafen. Die Decke in diesem Büro war hoch, sehr hoch. Sechs, sieben Meter vielleicht. Hinter Bergers Schreibtisch hing ein Gemälde von Georg Baselitz, ein stürzender Adler. Den berühmten Maler schätzt Berger, der Kulturfreund, nicht nur wegen seiner Kunst, sie sind auch befreundet. Von seinem Schreibtisch aus ging der Blick gen Süden: auf die Leopoldstraße und den Englischen Garten, die Frauenkirche und die Theatinerkirche. In der Ferne erhoben sich die Alpen, in denen er so gerne wandert, und wenn der Föhn kräftig blies, waren die Gipfel plötzlich zum Greifen nahe - und auch alles sonst, was sein Leben ausmacht.

Roland Berger hat diesen Blick auf München genossen. Ihn, den gebürtigen Berliner, hat es in den ersten 15 Jahren seines Lebens ein paar Mal in andere Orte verschlagen, ehe er hier, in München, heimisch wurde. "Meine eigentliche Menschwerdung hat in Bayern stattgefunden", hat Berger mal erzählt, vor ein paar Jahren bei einem Gespräch in diesem weitläufigen Büro.

Diese Menschwerdung war anfangs nicht leicht: Aufgewachsen ist Berger in den Wirren und Trümmern des Zweiten Weltkriegs, seine Eltern zogen mit ihm zunächst nach Wien und 1944 dann nach Egglkofen in Oberbayern, wo seine Großeltern lebten. Von dort ist er später als Fahrschüler jeden Tag bis nach Landshut gefahren, wo er das Hans-Carossa-Gymnasium besuchte. Zwei Klassen über ihm: der spätere Bundespräsident Roman Herzog.

In der Zeit ist Berger bisweilen ohne Vater aufgewachsen, dieser wurde nach dem Austritt aus der NSDAP immer wieder von der Gestapo verhaftet und war zeitweise im Konzentrationslager Dachau. Berger sagt, er habe damals erlebt, was Not bedeutet. Geld war knapp, Essen auch. Das hat ihn geprägt und zu dem werden lassen, was er heute ist: der bekannteste Unternehmensberater der Republik, ein begnadeter Netzwerker, ein Mäzen, und einer, der immer wieder Unternehmen gründet, das letzte vor einem Jahr, und der von sich sagt: "Ich bin ein ergrautes Start-up."

Wenn man die Menschwerdung des Roland Berger verstehen will, dann steigt man am besten noch mal hinauf in die Highlight Towers, in den 32. Stock, wo sich heute ein Coworking Space findet, ein Gemeinschaftsbüro für Start-ups, Mittelständler und Konzerne, die gemeinsam an der Digitalisierung arbeiten, und lässt den Blick schweifen. Von hier kann man wunderbar all das überblicken, was Roland Bergers Leben ausmacht.

Der Unternehmer

Wenn man gen Südosten schaut, sieht man, leicht verdeckt von den Hochhäusern des Arabellaparks, ein unscheinbares Wohnviertel. Kleine, meist weiße, ältere Häuser. Hier, in der Stuntzstraße, fing die Karriere des Unternehmers Roland Berger an, hier hat er 1958 mit 21 Jahren seine erste Firma gegründet, eine Wäscherei, die er 1962 dann für 600 000 Mark verkauft hat. Auch seine zweite Firma, einen Schnapshandel, gegründet in der Schlussphase seines Betriebswirtschaftsstudiums, behielt Berger nicht lange. Er importierte Whiskey und anderen hochprozentigen Alkohol, für den damals noch staatliche Preiskontrollen galten, günstig aus dem Ausland, verkaufte ihn weiter und verdiente damit innerhalb weniger Monate ein paar Hunderttausend Mark. Weder die Wäscherei noch der Schnapshandel füllten ihn aber aus. "Ich wollte etwas intellektuell Anspruchsvolles machen", sagt er.

Der Berater

Da traf es sich gut, dass eine seiner Kundinnen aus der Stuntzstraße den Kontakt zu einer Mailänder Unternehmensberatung herstellte, und so wechselte Berger nicht nur das Fach, sondern zog für fünf Jahre fort aus München. Er lernte einen neuen Beruf und Italienisch, das er bis heute gern und fließend spricht. 1967 kam er dann zurück nach München, um seine eigene Beratung zu gründen. "Damals saßen die Konkurrenten alle in Düsseldorf, in der Nähe der alten Industrie. Wir hingegen waren hochattraktiv für die besten Talente, die am liebsten dort hingehen, wo das Leben pulsiert - und das war und ist München", erzählt Berger. Seine Beratung zog schon bald in den Arabellapark, nur ein paar Hundert Meter entfernt vom einstigen Zuhause der Wäscherei. Und wuchs rasant: Berger und seine Leute berieten alle Konzerne der Republik, gleich am Anfang, nach gut einem Jahr, gab er den Anstoß, den Touristikkonzern Tui zu schmieden, später zog Berger ins Ausland, gründete Niederlassungen. Noch heute reist er viel um die Welt. Zweimal im Jahr China, dreimal Japan, x-mal in die USA: Das machte ihm auch im hohen Alter nichts aus. Denn vor allem in Asien kommt es gut an, wenn der Gründer persönlich kommt. "I am the living brand", sagt er. Die lebende Marke.

Der Netzwerker

Schaut man von den Highlight Towers exakt gen Süden, erhebt sich ein wenig links von der Theatinerkirche eine gläserne Kuppel, sie gehört zur bayerischen Staatskanzlei, und hier hat Roland Berger sehr viele, intensive Stunden als politischer Berater verbracht. Denn als der CSU-Politiker Edmund Stoiber im Jahr 1993 bayerischer Ministerpräsident wurde, räumte dieser im Gespräch mit Berger ein, dass er nicht genug von Wirtschaft verstehe, aber dies ändern wolle. Ob Berger Zeit habe, ihm die Dinge zu erklären? Klar doch. So wurde Berger, der gut bezahlte Firmenberater, nebenbei zum Politikerberater. Geld dafür nahm er nie. "Ich habe das immer pro bono gemacht", sagt er. Auch später bei Gerhard Schröder, der 1998 Kanzler wurde - und bei seiner zweiten Bundestagswahl 2002 ausgerechnet gegen Stoiber antrat. Solche Situationen gab es immer wieder, denn Berger, der Netzwerker, kennt einfach viele Menschen. Über 4000 Namen stehen heute in seinem Adressbuch, jedes Jahr schreibt er 2200 Weihnachtskarten, eigenhändig mit Füller. Beziehungspflege geht ihm über alles, sie ist die Grundlage seines Geschäfts, und so hat Berger auch die Kunst entwickelt, bei Empfängen oder Festen binnen weniger Minuten von einem Gesprächspartner zum anderen zu schweben, immer mit einem Lächeln, immer mit ein paar freundlichen, persönlichen Worten; so gibt er binnen kurzer Zeit vielen Menschen das Gefühl von Wichtigkeit und Nähe.

Der Mäzen

Von der Staatskanzlei sind es nur ein paar Schritte bis zum Cuvilliés-Theater. Dieses Hoftheater in der Residenz, im einstigen Stadtschloss der bayerischen Herzöge, Kurfürsten und Könige, sähe heute nicht so aus, wenn nicht Berger vor einigen Jahren sehr viel Geld gespendet und weitere Spenden eingesammelt hätte, alles in allem fünf Millionen Euro. Dies half dem bayerischen Freistaat entscheidend dabei, dieses Juwel des Rokoko von Grund auf zu sanieren. Auch beim Konzertsaal, der in München entstehen soll, forderte Berger schon vor Jahren, dass private Spender den Bau unterstützen und "zehn bis zwanzig Prozent" der Kosten aufbringen sollten. Er selber zählt mit einem Vermögen von mehreren Hundert Millionen Euro zu den reichsten Menschen der Republik, doch er gebe davon gerne viel zurück, sagt er. Vieles fließt in die Kultur, noch mehr, bislang 50 Millionen Euro, in die Roland-Berger-Stiftung, die Kindern aus armen Familien eine bessere Ausbildung ermöglicht und sie mit Mentoren fördert. Einmal im Jahr vergibt die Stiftung auch einen mit 100 000 Euro dotierten Preis für Menschenwürde, er ging in den letzten Jahren an Frauenrechtlerinnen aus Sierra Leone und Tunesien oder eine Schulorganisation aus dem Kongo.

Heute genießt Roland Berger nicht mehr einen ganz so fantastischen Ausblick. Die Unternehmensberatung ist aus den Highlight Towers in ein deutlich niedriges Bürohaus zwischen Isar und Englischem Garten gezogen. Der Gründer, der längst alle aktiven Ämter niedergelegt hat und nur noch Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats ist, zog zunächst mit. Und dann weiter in ein eigenes Büro in der Prinzregentenstraße, gegenüber dem Hotel Vier Jahreszeiten. Denn es gab Spannungen, die Omnipräsenz des Gründers passte nicht allen in der Firma. Als Berger seinen Auszug dann auch noch mit einer Mail an 4000 Adressaten bekannt gab, für die er die Domain "rolandbergergroup.com" verwendete, strengte die nach ihm benannte Firma sogar einen Prozess an. Berger sagte dazu im Sommer in einem SZ-Interview nur knapp: "Die Firma hat die Klage erstinstanzlich verloren und die Berufung zurückgezogen. Damit ist der Fall erledigt." Im Übrigen sei er stolz, wie das heutige Team die Beratung voranbringe, man sei ständig im Gespräch.

An diesem Mittwoch feiert Berger seinen 80. Geburtstag im Kreis der Familie. Und nächste Woche dann mit 300 handverlesenen Gästen an einem Ort, der ihm am Herzen liegt: im Cuvilliés-Theater.

© SZ vom 22.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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