Mittelstand:Wenn es durchs Fenster zieht

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Handwerkliche Dienstleister erobern dank der Digitalisierung Märkte weltweit. Ein Beispiel ist die Sasse-Gruppe, die in Großbritannien mehrere Flughäfen und den öffentlichen Busverkehr betreut.

Von Marc Beise, München

Die Digitalisierung, heißt es häufig, sei im deutschen Mittelstand noch nicht wirklich angekommen. Ganz anders bei den großen Konzernen: Deren Chefs lassen kein Podium aus, um die Veränderungen zu beschreiben, denen ihr Geschäft durch die ungeheuren Datenmengen ausgesetzt ist, die heute in Sekundenschnelle verarbeitet werden können. Dagegen gibt es noch immer Mittelständler zu beobachten, die die Digitalisierung für eine vorübergehende Mode halten. Diverse Studien zeigen immerhin ein wachsendes Problembewusstsein auch im Mittelstand. Allerdings handelt es sich dabei meist um Betriebe des verarbeitenden Gewerbes, die dank "Industrie 4.0" ihre Maschinen leistungsfähiger und klüger machen und weltweit erfolgreich sind. Neu ist, dass sich nun auch produktionsnahe, handwerkliche Dienstleistungen digitalisieren.

Auch für einfachere, nicht hochtechnologisierte Arbeiten gilt: Der Kirchturm hat ausgedient. Sagt Eberhard Sasse, Unternehmer und IHK-Präsident. Die Dr.-Sasse-Gruppe - gegründet vor vier Jahrzehnten vom Namensgeber, bis heute geleitet von ihm und seiner Frau, die beiden Töchter, international ausgebildet, in den Startlöchern, das Geschäft zu übernehmen - wächst unentwegt: eben weil sie international unterwegs ist.

Als Gebäudereinigungsfirma gestartet und Mitte der Neunzigerjahre um das technische Gebäudemanagement erweitert, greifen die Sasses heute weit aus. Sie betreuen kleine und große Objekte, Krankenhäuser, Busse und Bahnen, ganze Fabriken und sogar Flughäfen - ein Feld, für das sich ein englischer Begriff eingebürgert hat: Facility Management, kurz: FM.

Auch nicht selbstverständlich bei häufig sehr verschwiegenen Familienunternehmen: Sasse kommuniziert Zahlen. Der Gruppenumsatz ist 2018 gegenüber dem Vorjahr um zehn Prozent gestiegen auf jetzt 220 Millionen Euro, klare Tendenz nach oben. Mit 53 Millionen Euro liegt der Auslandsanteil bei 24 Prozent. Damit ist Sasse unter den in Deutschland ansässigen Unternehmen der FM-Branche eines der wenigen mit einem nennenswerten internationalen Engagement.

Bei der Reinigung und Betankung von Bussen im öffentlichen Personennahverkehr in Großbritannien ist die Sasse-Gruppe die Nummer zwei im Markt. (Foto: LUKE MACGREGOR/Reuters)

"Wir gehen mit den Branchen mit, die wir betreuen", sagt Sasse. Dabei kommt ihm zugute, dass insbesondere einheimische Industrieunternehmen zunehmend ihren FM-Bedarf durch einen einzigen Partner abwickeln lassen. Das liegt an der wachsenden Komplexität der zu betreuenden Objekte und am Wunsch nach einheitlicher Dienstleistungsqualität. Und weil die Konzerne international sind, wird das betreuende FM-Unternehmen auch international. Soeben hat Sasse von einem großen Halbleiterhersteller dessen Werk in Österreich ins Auftragsbuch bekommen.

Nicht von ungefähr war Österreich die erste Auslandsstation des jungen Münchner Unternehmens. Seit 35 Jahren ist es dort aktiv und hat die Kniffe gelernt, mit denen sich ein Dienstleister ausländische Märkte erschließt: Netzwerke bilden, in die einheimische Kultur eintauchen, regionale Besonderheiten ausnutzen. Nächste Station war Osteuropa. Ein schwieriger Markt, der, formuliert der Gründer bewusst kompliziert, "noch nicht zur Gänze mit mitteleuropäischen Compliance-Anforderungen synchronisiert ist". Soll wohl heißen: Rechtsstaatlich geht es da nicht überall zu, Korruption kommt vor, und Zahlungssicherheit ist nicht garantiert - für einen Mittelständler ein gefährliches Pflaster. Erst recht gilt das für den arabischen Markt, wo Sasse verlässliche Rahmenbedingungen vermisst.

So sind ihm die britischen Inseln zum liebsten Auslandsstandort geworden. Ausgerechnet Großbritannien, muss man sagen, wo kein deutsches FM-Unternehmen nennenswert aktiv ist und wo nun mit der Wahl von Boris Johnson zum Premierminister erst recht der Austritt aus der EU und aus gemeinsamen Verträgen droht. Die Sasse Group hat drei Flughäfen unter Vertrag und ist bei der Reinigung und Betankung von Bussen im öffentlichen Personennahverkehr bereits die Nummer zwei.

Eberhard Sasse, 67, ist Familienunternehmer und Präsident der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern, der größten IHK in Deutschland. (Foto: oh)

Mit Johnson steige die Wahrscheinlichkeit eines "harten Brexit" im Oktober, hat im Handelsblatt gerade Michael Hüther gesagt, der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft. Er rät Firmen, sich auf einen EU-Ausstieg von Großbritannien ohne neuen Handelsdeal einzustellen. Gefährlicher als der No-Deal-Brexit sei, so die Wirtschaftsweise Isabel Schnabel, die erhöhte Unberechenbarkeit des neuen Premiers: Das sei "Gift für die britische und letztlich auch für die europäische Wirtschaft".

Unternehmer Sasse bleibt entspannt. Wer tief in den britischen Markt eingedrungen ist, sagt er, werde auch die neue Unübersichtlichkeit überleben. Die Briten seien pragmatisch, und wer dort Geschäfte mache, tue gut daran, das auch zu sein. Und die Digitalisierung könne dabei helfen. Durch die hohe Kunst der Datenverarbeitung hat sich die Kommunikation geändert. Reisen, konferieren, planen: Eine mobile internationale Gesellschaft überspiele neue Grenzen. Auf dem Weg zum Treffen hat Sasse am Straßenrand eine Runde internationaler Führungskräfte seiner Firma moderiert: das Auto rechts ran gefahren, den Laptop aufgeklappt, abwechselnd die Gesprächspartner ins Bild geholt und die notwendigen Datenkurven.

Dank der Digitalisierung rückt der Dienstleister auch näher an seine Auftraggeber heran. Der Wandel zur Industrie 4.0 erfordert eine immer aufwendigere FM. Die Prozesse können zeitnah gesteuert werden, exakt überwacht und transparent dargestellt - ohne dass die physische Entfernung die Beteiligten voneinander fernhält. Herausragendes Beispiel dafür ist die "Predictive Maintenance", auf Deutsch: vorausschauendes Instandhalten. Aus der Ferne kann der Dienstleister erkennen, wie gut Maschinen oder Objekte noch funktionieren. Durch aktives Eingreifen können teure Reparaturen und Ausfälle vermieden werden. Wenn er also dank Sensoren- und Messtechnik wisse, dass ein Fenster nach 5000-maliger Öffnung so viel an Dichtigkeit verliert, dass die Mitarbeiter im steten Luftzug sitzen, die Energiebilanz Schaden nimmt und die Schließtechnik nicht mehr zuverlässig ist, dann werde er eben bereits nach dem 4000. Öffnen einen Austausch vornehmen, sagt Sasse: "Hier bekommt das 'M' in Facility Management eine neue Dimension: Es emanzipiert sich aus der Abarbeitung von Pflichtenheften und wird zum Gestalter des gesamten Firmenumfelds."

© SZ vom 25.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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