Mitgliederschwund bei Gewerkschaften:Jobabbau bei den Jobschützern

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Die IG Bau will jeden fünften Mitarbeiter entlassen. Das ruft Kritiker auf den Plan: "Das sind die Arbeitgeber, vor denen sie uns warnen".

Sibylle Haas

Die DGB-Statistik spricht für sich. Die acht im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) organisierten Einzelgewerkschaften haben in den vergangenen zehn Jahren so viele Mitglieder verloren wie nie zuvor.

Selbst eine Baustelle: die Finanzen der Gewerkschaft IG Bau. (Foto: Foto: AP)

1995 gab es noch 9,35 Millionen Mitglieder in den DGB-Gewerkschaften, 2005 waren es nur noch 6,78 Millionen. In der Baubranche seien die dramatisch gesunkenen Beschäftigungszahlen der Hauptgrund für die Mitgliederentwicklung der Gewerkschaft, sagte ein Sprecher der IG Bau. Gewerkschaften finanzieren sich aus den Beiträgen ihrer Mitglieder und müssen deshalb sparen, wenn diese Zahlen schrumpfen.

Die IG Bau werde deshalb in den nächsten zwei Jahren 110 von derzeit 600 Stellen abbauen. "Wir hoffen auf die natürliche Fluktuation", sagte der Sprecher. Er schloss aber etwa 60 betriebsbedingte Kündigungen nicht aus.

Hohe Personalkosten schmälern Streikkasse

Etwa 50 weitere Beschäftigte sollen über Altersteilzeit ausscheiden. "Unsere Aufgabe ist es, streikfähig zu bleiben. Deshalb können wir unsere angesparte Streikkasse nicht für zu hohe Personalkosten verwenden", sagte der IG-Bau-Sprecher.

Gewerkschaften verhalten sich als Arbeitgeber wie jedes andere Unternehmen auch, so Volker Rieble, Inhaber des Lehrstuhls für Arbeitsrecht und Bürgerliches Recht an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Direktor des Zentrums für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht an der LMU.

Doch manchmal seien Gewerkschaften im Umgang mit ihren Mitarbeitern viel rücksichtsloser als Unternehmen. "Gewerkschaften sind die Arbeitgeber, vor denen sie uns immer warnen", meint der Arbeitsrechtler. Er kritisiert, dass es bei den Gewerkschaften keine Tarifverträge gibt, obwohl es den Verband der Gewerkschaftsbeschäftigten (VGB) gibt, mit dem solche Verträge verhandelt werden könnten.

Angst vor den selbst erarbeiteten Tarifverträgen

"Die Gewerkschaften als Arbeitgeber scheuen Tarifverträge wie der Teufel das Weihwasser, weil sie wissen, welchen Schutz Tarifverträge für die Beschäftigten bieten", sagte der VGB-Vorsitzende Martin Lesch. Lesch ist Gewerkschaftssekretär bei Verdi in Leipzig. Gewerkschaften verhandelten lieber mit den Betriebsräten über Arbeitsbedingungen und Löhne, weil die kein Streikrecht haben. "Das ist einfacher. Es ist wie der Kampf mit dem zahnlosen Tiger", so Lesch.

Große Probleme gibt es auch bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. "Nach unseren Richtlinien dürfen wir höchstens 50 Prozent unseres Geldes für Personal ausgeben", sagte ein Verdi-Sprecher.

Seit der Zusammenlegung von fünf Einzelgewerkschaften zu Verdi im Jahr 2001 ist die Zahl der Mitglieder von gut drei Millionen auf 2,35 Millionen (2005) zurückgegangen. Entsprechend rückläufig sind die Einnahmen. Deshalb mussten viele Arbeitsplätze gestrichen werden. Von etwa 4600 Stellen bei der Gründung sind laut Verdi heute knapp 3400 übrig geblieben. Betriebsbedingte Kündigungen sind bis Ende 2007 durch einen Sozialplan zwar ausgeschlossen, doch was danach kommt, ist ungewiss.

Verdi konnte Defizit abbauen

2008 werde der Sparkurs nicht beendet sein, kündigte der Verdi-Sprecher an. Im nächsten Jahr soll einem Großteil der Beschäftigten die betriebliche Altersvorsorge gekürzt werden, weil das im Umlageverfahren gestützte System nicht mehr finanzierbar sei. Zumindest ist laut Verdi das Haushaltsdefizit von 90 Millionen Euro abgebaut worden, das nach dem Zusammenschluss der Einzelgewerkschaften in den Büchern stand.

"Wir rechnen mit einem ausgeglichenen Haushalt in diesem Jahr", betonte der Verdi-Sprecher. Gespart wird auch beim DGB. Im Bildungswerk des DGB sollen Lohnkürzungen im Hotel- und Gaststättenbereich durchgesetzt werden, sagte ein DGB-Sprecher. Die Löhne und Gehälter der Beschäftigten lägen um 30 Prozent über dem Tarifvertrag der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG). Damit seien sie zu hoch.

© SZ vom 08.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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