Maut-Desaster:Neue Schulden für Bahnlinien und Straßen

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Nach dem Ausfall der Lkw-Maut plant das Bundesverkehrsministerium nun den Notfall: Über eine staatliche Verkehrsgesellschaft sollen zusätzliche Kredite aufgenommen werden, um trotz des Maut-Desasters neue Bahnstrecken und Straßen finanzieren zu können.

Von Ulf Brychcy und Klaus Ott

(SZ vom 27.11.03) - Die Bundesregierung gerät wegen der fehlenden Einnahmen aus der Lkw-Maut zunehmend unter Druck. Deren Start ist nach wie vor ungewiss. Falls es Verkehrsminister Manfred Stolpe nicht gelingt, das Mautproblem rasch zu lösen und neue Mittel aufzutreiben, müssen zahlreiche Vorhaben verschoben oder aufgegeben werden.

Die künftige Autobahn A71 entsteht: Baustelle der Werratalbrücke. (Foto: Foto: dpa)

Auf einer internen Streichliste aus Stolpes Ressort sind zahlreiche neue Schienenstrecken, Straßen- und Schiffahrtsprojekte notiert, für die vor allem wegen des Ausfalls der Maut 1,35 Milliarden Euro fehlen. Darin enthalten ist auch eine globale Minderausgabe von 244 Millionen Euro, die der Rentenversicherung zugute kommen soll.

Die Zeit drängt

In der Liste ist über den Straßenbau vermerkt: Da in der ersten Dezemberhälfte "umfangreiche Ausschreibungen und Vergaben anstehen, drängt die Zeit zur Entscheidung, ob die Projekte begonnen werden können oder gestoppt werden müssen". Bei den Wasserstraßen wird sogar ein "sofortiger Vergabestopp" für alle Ausbaumaßnahmen als notwendig erachtet.

Die Maut, deren Einführung ursprünglich vor drei Monaten geplant war, sollte dem Bund 156 Millionen Euro pro Monat bringen. Der Bundestag erwartet, dass die Abgabe frühestens von Sommer oder Herbst nächsten Jahres an erhoben werden kann.

Besorgte Bauindustrie

Um diese Finanzlücke zu schließen, hatte der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie bereits ein Ausweichen auf Kredite gefordert. Die Bauindustrie fürchtet um zahlreiche Aufträge.

Verbandspräsident Ignaz Walter sagte, die staatliche Finanzierungsgesellschaft für die Verkehrsinfrastruktur (VIFG) solle künftig auch Darlehen aufnehmen dürfen. Die VIFG hat bislang nur die Aufgabe, die Erlöse der LKW-Maut für den Bund zu kassieren und zu verteilen.

"Gute Idee"

Der Sprecher des Verkehrsministeriums kommentierte den Vorschlag der Bauindustrie mit den Worten, "wir halten das für eine gute Idee". In der Politik und im Ministerium gebe es eine "breite Diskussion" über eine solche Lösung.

Nach Angaben aus der Regierungskoalition sondiert das Ministerium im Bundestag bereits, ob die VIFG nunmehr gesetzlich dazu ermächtigt werden könne, Schulden zu machen.

Verhalten bis ablehnend

Die Reaktionen fallen allerdings verhalten bis ablehnend aus. Der SPD-Abgeordnete und Verkehrsexperte Reinhard Weiß sagte, Kredite für die VIFG könnten erst dann in Betracht gezogen werden, wenn die Rückzahlung aus Mauterlösen gesichert sei. Derzeit sei das nicht der Fall.

Die Verkehrsexperten von Bündnis 90/Die Grünen und FDP, Albert Schmidt und Horst Friedrich, lehnten es dagegen ab, sich auf einen solchen "Schattenhaushalt" einzulassen. Der Fehlbetrag mache nicht 1,35 Milliarden Euro aus, wie vom Verkehrsministerium behauptet, sondern liege in Wirklichkeit viel höher, sagen die beiden Abgeordneten. Neue Schulden werde man nicht akzeptieren.

"Das darf Eichel nicht zulassen,", sagte auch der CDU-Abgeordnete Dirk Fischer. Für den Verkehrsexperten der Unionsfraktion sind bei der VIFG allenfalls "Überbrückungskredite denkbar, die mit Mauterlösen rasch getilgt werden können". Diese Lösung sei aber nicht in Sicht. Ihm lägen Informationen aus dem Bundesamt für Güterverkehr vor, wonach das geplante Maut-System von Telekom und DaimlerChrysler frühestens von September 2004 an einsatzfähig sei, "wenn überhaupt", sagt Fischer.

Olympia in Not

Die Finanzlücken im Verkehrsetat könnten die deutsche Bewerbung für die Olympischen Sommerspiele 2012 in Leipzig und den Ausbau der Verkehrswege für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 gefährden.

Die Streichliste enthält in Sachsen "alle drei WM- und Olympia-Projekte" beim Straßenbau und den Ausbau der Bahnstrecke Leipzig - Dresden. In fünf weiteren Bundesländern, darunter Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, sind sieben Straßenbau-Vorhaben für die WM 2006 genannt.

Als konkrete Beispiele für derzeit nicht mehr finanzierbare Vorhaben werden insgesamt acht große Strecken der Bahn und 14 Ausbau-Abschnitte bei Autobahnen und neun bei Bundesstraßen genannt.

Beckenbauer warnt

Der Chef des WM-Organisationskomitees, Franz Beckenbauer, warnt in Briefen an Stolpe und Bahnchef Hartmut Mehdorn vor Einschnitten. Die Haltestellen der Deutschen Bahn (DB) an den Stadien befänden sich in "keinem weltmeisterlichen Zustand".

Das gelte teilweise auch für die Hauptbahnhöfe in den zwölf WM-Städten. Deren Modernisierung kostet insgesamt 500 bis 600 Millionen Euro, den größten Teil wollen die Länder und der Bund bezahlen. Die Bahn müsste dem Vernehmen nach 80 Millionen Euro beisteuern. Die DB sei aber nicht in der Lage, ihre "für einen Baubeginn dringend notwendigen Mittel" bereitstellen, klagt Beckenbauer.

Der OK-Chef sieht "akuten Handlungsbedarf", da sonst die Zeit bis zur WM für die Baumaßnahmen nicht mehr reiche. Die Situation sei "bereits heute äußerst kritisch".

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