Manfred Schell: Neues Buch:Der Lokomotivführer lässt Dampf ab

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Der Held der Lokführer hat seine Autobiographie geschrieben. Es ist vor allem das Buch einer gerne gepflegten Feindschaft.

Thorsten Denkler, Berlin

Buschige Augenbrauen, Pfeife in der Rechten, gebeugte Haltung, graue Schläfen: Klarer Fall, das ist Manfred Schell. Er steht, den Ellenbogen auf dem Tresen gestützt, an der Bar im Restaurant des DBB-Forums (DBB Beamtenbund und Tarifunion) an der Berliner Friedrichstraße.

Ex-GDL-Boss Manfred Schell - jetzt hat er ein Buch geschrieben. (Foto: Foto: Reuters)

Mit dem Mundstück der Pfeife kratzt sich der einstige Gewerkschaftschef, der es dem Bahn-Chef Hartmut Mehdorn so richtig gezeigt hat, Schell-typisch an der Stirn. Gleich wird er sein Buch vorstellen. Moritz Kienast, sein Lektor im Rotbuch-Verlag, nennt später den Titel: "Die Lok zieht die Bahn." Er betont das Wort "zieht".

Manfred ("Manni") Schell hätte wohl auf "Lok" betont - einfach um die Machtverhältnisse kurz klarzustellen. Es ist seine Autobiographie, über die er gleich reden wird. Es geht um das Leben des Manfred Schell, des Gewerkschafters, des Menschen. "Tun Sie mir einen Gefallen, trennen Sie das nicht", sagt der Autor.

Das geht wohl auch nicht: Manfred Schell ist der Held der Lokführer. Er ist seit 1973 hauptamtlich Gewerkschafter und inzwischen Ehrenvorsitzender seiner Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, der GDL, die er von 1989 bis 2008 führte. Schell ist der Mann, der seine Organisation in den größten Eisenbahnerstreik in der Geschichte der Deutschen Bahn geführt hat. Neun Monate lang wussten die Deutschen nicht, ob am nächsten Tag ihr Zug fahren würde.

Hassliebe ohne Liebe

Die Geschichte des Streiks ist auch eine Geschichte von zwei Männern - die von Schell und seines Antipoden Mehdorn. Beide verbindet eine Hassliebe ohne Liebe. Der Manager Mehdorn nimmt in dem 220-Seiten-Buch breiten Raum ein.

Schell macht in dem Buch schon mit den ersten Sätzen klar, wo Freund und wo Feind stehen. "Die Bahn war mein Beruf", schreibt er: "Ich fing 1958 als Maschinenschlosserlehrling bei der Bundesbahn an und wurde dann Lokomotivführer. Wir fuhren noch unter Dampf und die Züge waren pünktlich."

Dass das heute alles nicht mehr so ist, lässt sich in dem Buch ausführlich nachlesen. Im Grunde ist es die Geschichte, die am Ende zum großen Streik führte.

Der Autobiograph scheint sich kleinzumachen auf seinem Barhocker hinter dem weißen Plastikstehtisch. Das Kinn auf der Brust, die Hände auf dem Tisch gefaltet. Wenn er aber redet, dann lugen zwei blitzwache Augen über seine Wasserflasche hinweg. Seine Hände zeichnen die ganz großen Linien in der Luft.

Da hat sich was zusammengebraut, sagt Schell, über Jahre hinweg. Nach der Wiedervereinigung waren bei der Bahn noch 580.000 Eisenbahner beschäftigt. Heute sind es nur noch 168.000 Bahner bei insgesamt 240.000 Mitarbeitern.

Das war ein "unheimlicher Personalabbau", so Schell. Hier seien Menschen "zur Ader gelassen worden, schlimmer ging das nicht mehr". Im Buch schreibt Schell auch über die Machtlosigkeit seiner Gewerkschaft. "Die Betriebsräte der GDL befassten sich größtenteils mit der Umsetzung von Sozialplänen. Wir haben Menschen mit Zukunftsängsten beraten und sie auf den Weg in die Arbeitslosigkeit begleitet."

Unfreie Gewerkschaft

Zugleich war die GDL in der "Gefangenschaft" mit den anderen Bahngewerkschaften, vor allem der viel größeren Transnet. Mit Transnet handelte die Bahn die Tarifverträge aus - die GDL hat die Papiere dann auch abzeichnen dürfen. Schell schreibt: Die Verträge "wurden unterschrieben, damit wir nach draußen signalisieren konnten, dass wir etwas bewegen. Aber bewegt haben wir nicht viel".

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Schells Triumphzug.

Im Sommer 2007 sollte sich das ändern. Die Ketten sprengen, endlich. Raus aus der Gefangenschaft, der Machtlosigkeit. Es ist die alte Geschichte von David gegen Goliath, die die Menschen daran faszinierte.

Wobei dieser David mehr als nur eine Steinschleuder in der Hand hatte. Hinter Schell standen die Lokführer der Bahn. "Die Lok zieht die Bahn", heißt sein Buch nicht ohne Grund. Ohne Lokführer fährt eben keine Lok. Das war Schells Trumpf. Nach neun Monaten war er am Ziel: Es gab einen eigenen Tarifvertrag für die Lokführer und elf Prozent mehr Lohn.

Die Einigung hat Schell und die Bahn offenbar nicht näher gebracht. Lektor Kienast kann erzählen, dass zur Leipziger Buchmesse eine Lesung mit Schell in einer Bahnhofsbuchhandlung und im Verkehrsmuseum geplant war. Dem Buchhändler ist dann wohl eingefallen, dass sein Vermieter die Deutsche Bahn ist - und im Verkehrsmuseum muss einem Verantwortlichen aufgefallen sein, dass die Bahn dort zu den Förderern gehört.

Die Lesung wird weder hier noch dort stattfinden.

Es soll aber Anzeigen für das Schell-Buch in der Bahn-Kundenzeitung mobil geben, die im ICE ausliegt. Sollte Mehdorn im Mai Zug fahren, wird ihm das Konterfei des ärgsten Widersachers seiner Amtszeit entgegenstrahlen.

Chefmentalität in Gutsherrenmanier

Schell hat nie hinter dem Berg gehalten, was er von Vorstandschef Mehdorn hält. Das macht er auch an diesem Abend im DBB-Forum nicht. Die Bahn werde, sagt der Gewerkschafter, "nach Gutsherrenmanier geführt. Der Gutsherr heißt Mehdorn und die anderen kuschen".

Nach dem Tarifstreit hatte die GDL ihren Gewerkschaftstag. Wie immer war auch der Bahnvorstand eingeladen. Mehdorn kam nicht, er schickte seine Personalvorstandsfrau Margret Suckale. Dass er nicht gekommen war, "hat etwas mit der Persönlichkeitsstruktur von Herrn Mehrdon zu tun", sagt Schell.

Es ist auch nie zu dem gemeinsamen Glas Bier gekommen, das Schell dem Manager Mehdorn angeboten hatte, wenn der Tarifstreit vorbei ist. An ihm, so Schell, sei das nicht gescheitert: Der Bahn-Chef "kann weder vergessen noch verzeihen".

Eigene Fehler in dem Tarifstreit? Schell muss länger nachdenken. Ihm fällt nichts ein. Sagt er jedenfalls. Aber doch, da war etwas. Etwas, das zumindest in der Öffentlichkeit als Fehler wahrgenommen wurde. Dass er mitten im Tarifstreit zur Kur nach Radolfzell gefahren sei. Journalisten hätten geschrieben, er stürze das Land ins Chaos und halte die Füße in den Bodensee, berichtet Schell und lächelt milde. Er habe sich nichts vorzuwerfen.

"Es gab nichts zu verhandeln." Da sei es egal gewesen, ob er in Frankfurt oder am Bodensee "Sauerstoff verbrauche". Und sonst? "Da fällt mir nicht viel ein." Warum auch? Schell ist der Held der Lokomotivführer. Und Helden machen keine Fehler.

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