Stabilitätspakt:Demontage mit Ansage

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Die Drei-Prozent-Regel des EU-Stabilitätspakts entstamme einer "Debatte eines anderen Jahrhunderts", findet Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (Foto: Benoit Tessier/Reuters)

Emmanuel Macron hält die EU-Schuldenregeln für ein überkommenes Relikt. Im Umfeld des französischen Präsidenten wird an ihrer Abschaffung gearbeitet.

Von Leo Klimm, Paris

Das Werkzeug wird schon einmal zurechtgelegt - die eigentliche Demontage des EU-Stabilitätspakts soll dann später folgen. Zu den vorbereitenden Arbeiten gehören etwa Äußerungen französischer Minister, die in den vergangenen Monaten eher beiläufig auf weniger strikte Schuldenregeln in Europa gedrungen haben.

Diese Woche nun kommt weiteres Werkzeug hinzu: Prominente Pariser Ökonomen fordern in einem Papier des Conseil d'analyse économique, einem dem französischen Premierminister beigeordneten Institut, die Abschaffung der geltenden EU-Verschuldungsgrenzen. Sie plädieren für "eine ehrgeizige Erneuerung des Haushaltsrahmens". Zu den Autoren der Studie zählen mit Jean Pisani-Ferry und Philippe Martin zwei frühere Berater von Präsident Emmanuel Macron. "Wir nehmen die Überlegungen sehr positiv auf", heißt es auch prompt im Pariser Finanzministerium.

Den EU-Stabilitäts- und Wachstumspakt, der 1997 die Regeln für Staatshaushalte in der EU definiert hat, halten Macron und seine Gehilfen schon lange für überholt. Vor der Corona-Krise bereits bespöttelte der Präsident ihn als Relikt aus dem 20. Jahrhunderts. Nun gibt ihm die Krise die Chance, den Pakt auseinanderzunehmen.

Das Vertragswerk ist wegen des Corona-Kollaps der Wirtschaft bis Ende 2022 ohnehin ausgesetzt. Damit können die EU-Staaten ihre Konjunkturprogramme finanzieren, ohne in Konflikt mit den Schuldengrenzen zu geraten; die schreiben eine jährliche Neuverschuldung in Höhe von maximal drei Prozent der Wirtschaftsleistung und Gesamtschulden in Höhe von höchstens 60 Prozent vor. Ein Kriterium, das in der Gruppe der 19 Euro-Staaten derzeit nur fünf erfüllen. Würde es Ende 2022 wieder eingesetzt, so heißt es in Paris, müssten viele Staaten ihre Ausgaben schlagartig so stark senken, dass sofort die nächste Krise käme. Macron will den Stabilitätspakt daher ersetzen - und dafür könnte er sich den politischen Kalender zunutze machen: Im ersten Halbjahr 2022 hat Frankreich die EU-Ratspräsidentschaft inne. Zugleich wird es Macron nach der Bundestagswahl in Berlin - von wo sonst Widerstand gegen weiche Haushaltspolitik kommt - mit einem international unerfahrenenen Neuling zu tun haben.

Die Ökonomen, die dem Präsidenten Argumente an die Hand geben, gehen von einer schlichten Feststellung aus: Die starren Prozent-Grenzen haben bisher weder dazu geführt, dass wirtschaftlich schwächere EU-Staaten aufgeholt haben, noch haben sie verhindert, dass die Schulden steigen. "Die Covid-Krise hat die Diskrepanz zwischen dem Rahmen und der Realität noch offensichtlicher gemacht", schreiben die Forscher. Niedrige Zinsen, das durch gemeinsame Haftung der EU-Länder gestützte Corona-Hilfsprogramm aus Brüssel und der massive Anstieg der Staatsschulden machten die bisherigen Haushaltsregeln hinfällig. Anders ausgedrückt: Je höher die Schulden, desto weniger ist den Ökonomen zufolge Sparen möglich.

"Schulden an der Wirtschaftsleistung zu messen, ist in Zeiten von Niedrigzinsen fragwürdig."

Als Ersatz für den Stabilitätspakt schlagen sie vor, dass sich jedes Land künftig selbst haushaltspolitische Ziele setzt, die den jeweiligen Bedürfnissen angepasst ist. Diese Politik solle dann auf nationaler Ebene von unabhängigen Instanzen kontrolliert und von der EU-Kommission genehmigt werden. Ein Minimum an gemeinsamen Regeln sei durchaus nötig, die Euro-Zone stabil zu halten.

Im Pariser Finanzministerium sieht man das alles ganz ähnlich. "Wir werden mit den EU-Partnern die Frage einer Rückkehr zur 60-Prozent-Regel ansprechen", sagt ein Spitzenbeamter. "Schulden an der Wirtschaftsleistung zu messen, ist in Zeiten von Niedrigzinsen fragwürdig." Frankreich ist mit dieser Sichtweise im Kreis der EU-Ländern nicht allein. Es kann zudem mit Hilfe durch EU-Währungskommissar Paolo Gentiloni rechnen, der eigene Reformideen erarbeitet. Dass der Stabilitätspakt grundsätzlich verändert werden soll, ist wenig strittig.

Ungeachtet von Macrons Reformagenda bemüht sich sein Finanzministerium unterdessen, den EU-Partnerstaaten den eigenen haushaltspolitischen Ernst zu beweisen: Bis 2027, wenn die Corona-Krise hoffentlich ausgestanden ist, will Frankreich die Neuverschuldung wieder unter die alte Grenze von drei Prozent drücken, heißt es in einer Mitteilung nach Brüssel. Allerdings: Das würde voraussetzen, dass Frankreich tatsächlich an seinen Ausgaben spart. Unter Macron hat es das nicht getan. Auch vor Corona nicht.

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