Machtkampf in der Siemens:Wenn die Not am größten ist

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Nach dem Rücktritt Pierers steht nun auch Konzernchef Kleinfeld unter Druck - die Krise bei dem Münchner Konzern treibt ihrem Höhepunkt zu.

Karl-Heinz Büschemann

Bei Siemens, dem von mehreren Korruptionsaffären belasteten Münchner Elektro- und Technologiekonzern, tritt der Aufsichtsratsvorsitzende zurück und wird durch einen konzernfremden Manager ersetzt.

Heinrich von Pierer, der 13 Jahre auch der angesehene Konzernchef war, wich dem wachsenden Druck von allen Seiten. Doch das war nicht alles. Jetzt wackelt auch noch der Vorstandsvorsitzende Klaus Kleinfeld. Maßgebliche Aufsichtsräte suchen schon hinter dem Rücken Kleinfelds nach einem geeigneten Nachfolger. Selten stand ein Unternehmen so an der Wand wie der Siemens-Konzern, der seit Mitte November aus den negativen Schlagzeilen nicht mehr herauskommt.

Das Publikum staunt

Die Siemens-Krise treibt ihrem Höhepunkt zu. Das Publikum staunt über das Ausmaß an Korruption und die vielfach eingestandenen Verfehlungen. Nicht nur, dass führende Manager in Untersuchungshaft genommen wurden - auch der Vorwurf, auf illegale Weise eine Parallelorganisation zur IG Metall aufgebaut zu haben, hat das Top-Management in den vergangenen Wochen und Monaten paralysiert.

Jetzt könnte der Eindruck entstehen, der Konzern sei fast ohne Führung. Der neue Aufsichtsratsvorsitzende Gerhard Cromme muss sich in den komplizierten Konzern erst einarbeiten. Der Vorstandsvorsitzende Kleinfeld hat offenbar das Vertrauen des Aufsichtsrates verloren und steht womöglich vor seiner Ablösung. Schlimmer kann es für einen Weltkonzern eigentlich nicht mehr kommen.

Man kann es aber auch anders sehen. Wenn jetzt die Spitze von Siemens komplett neu besetzt würde, dann wäre das ungefähr so, als hätte es im Land eine vorgezogene Parlamentswahl gegeben und die politische Macht wäre von der bisherigen Opposition erobert worden.

Damit würde eine erfahrene Administration in Pension geschickt und Menschen, die möglicherweise ohne konkrete Erfahrung mit dem Regierungsapparat sind, übernähmen die Posten in den Ministerien. Trotzdem würden Kommentatoren von wohltuendem Wechsel sprechen, von Reinigung, vom kommenden Aufbruch und einem Neuanfang.

War was?

Ähnlich ist das eben auch bei einem Konzern wie Siemens, der weltweit 475.000 Mitarbeiter beschäftigt. Der Konzern hatte in den vergangenen Monaten unter den Medienberichten zu leiden, die den Eindruck vermittelten, als sei der gesamte Konzern von oben bis unten korrupt. Das wird der überwältigenden Mehrheit der Mitarbeiter nicht gerecht, die jeden Tag in diesem Unternehmen ihre Arbeit leisten.

Die Vorstandsmitglieder aber erweckten in dem Korruptionssumpf den Eindruck, als sei kaum etwas gewesen - und haben damit die Lage verschlimmert. Sowohl Pierer als auch Kleinfeld ließen zu spät erkennen, dass auch ihnen an einer rückhaltlosen Aufklärung der Affären etwas liegt. Stattdessen sah es so aus, als wolle der eine den anderen lieber heute als morgen loswerden. Eifersucht und Machtspiele der Spitzenkräfte trugen dazu bei, dass die Affäre eskalierte.

Es wäre also kein Fehler, wenn auch noch Klaus Kleinfeld seinen Posten verlassen würde. Er muss zu viel Zeit damit verbringen, sich mit Fragen nach der eigenen Verstrickung zu befassen. Diese Zeit geht vom normalen Tagesgeschäft ab. Zudem muss Schluss sein mit einer Lebenslüge: dass Siemens nur von alten Siemens-Managern geführt werden könnte - das ist Unsinn. Andere Unternehmen zeigen, dass es anders geht.

Niemand ist unersetzlich und schon gar nicht muss es ein Eingeständnis von Schuld sein, wenn ein Unternehmenschef seinen Stuhl räumt, um einer lückenlosen Aufklärung einer schädlichen Affäre nicht im Weg zu stehen. Siemens hat die Möglichkeit zum Neuanfang. Der Aufsichtsrat sollte die Chance nutzen und mit einer Tradition brechen, die sicher dazu beitrug, dass Siemens in diese Krise geriet.

© SZ vom 25.04.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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