Luxus-Schnäpse:Teurer Rausch

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Hauptsache edel und ungewöhnlich: In Bars sind exklusive Spirituosen schwer angesagt. Vor allem Gin erlebt eine Renaissance.

Von Björn Finke, London/Whitchurch

Tim Warrillow kultiviert diesen sehr englischen Hang zur Untertreibung. Eins seiner ersten Erlebnisse nach der Einreise in den Kongo war, dass jemand ein Nagelbrett vor seinen Wagen warf. "Eine ausgesprochen effektive Methode, ein Auto zu stoppen", wie er so sachlich wie korrekt feststellt. Danach hätten Männer die Mündungen ihrer Gewehre ins Fahrzeug gehalten und Geld gefordert: "Ich fand das ziemlich beängstigend." Solche Straßensperren wiederholten sich. Einmal sei ein Jugendlicher mit einem Raketenwerfer aus dem Dschungel gestolpert, erinnert sich der Manager. Die Reise habe ihm "Respekt" vor den Menschen eingeflößt, die es in dem chaotischen und "gesetzlosen Land" aushielten.

Warrillows ganz persönlicher Ausflug ins Herz der Finsternis ist schon zehn Jahre her. Und er hat sich gelohnt. Damals besuchte der Brite im Krisenstaat eine Chinarindenbaum-Plantage. Aus der Rinde dieses Baums wird Chinin gewonnen - der bittere Stoff ist wichtigste Zutat für Tonicwater. Nun sitzt der Manager entspannt im Besprechungsraum einer Londoner Investmentbank, wo er einen Tag lang Fondsmanagern die Jahreszahlen seiner Firma erklärt. Der 40-Jährige ist Gründer und Chef eines kleinen börsennotierten Herstellers von Tonicwater und anderen Mischgetränken für Longdrinks und Cocktails.

Das Unternehmen heißt wie die Getränke, die es verkauft: Fever-Tree. Die Brause enthält keine künstlichen Aromen und Konservierungsstoffe, ist aber im Durchschnitt anderthalbmal so teuer wie beim Marktführer Schweppes. Trotzdem wächst die Nachfrage rasant - im vorigen Jahr stieg der Umsatz von Warrillows Betrieb um die Hälfte auf fast 50 Millionen Euro, in Deutschland verdoppelte er sich.

Fever-Trees Erfolg ist der jüngste Auswuchs von zwei Trends im Bargeschäft. Zum einen ordern Barbesucher immer häufiger kostspielige und exklusive Spirituosen. Auch im Supermarkt verkauft sich Edles gut. Und so einen feinen Wodka oder Gin wollen die ausgabefreudigen Trinker nicht mit einem ganz gewöhnlichen Mischgetränk strecken; die Massenware von Schweppes ist dem stilbewussten Hippster ein Graus. Da muss es schon etwas Ausgefalleneres sein. Wie Fever-Tree.

Zum anderen feiert der lange verpönte Gin in den vergangenen Jahren eine Renaissance. Und der Tonic gehört eben zum Gin wie der Kater zum Saufgelage.

Die großen Gin-Hersteller brachten edlere Varianten des Wacholderschnapses auf den Markt, Diageo etwa Tanqueray No. Ten. Zugleich eröffneten in vielen Ländern kleine Destillerien, deren Gebranntes bei Lokalpatrioten und Trinkern auf der Suche nach Extravagantem schwer beliebt ist. Aus München stammt The Duke Munich Dry Gin, aus dem Schwarzwald der preisgekrönte Rivale Monkey 47.

Früher galt Gin als Mother's Ruin, als letzter Trost der Armen und Säufer, doch hat der Schnaps eine beeindruckende Rehabilitation erlebt. Im schicken Berlin-Mitte öffnete gar die "Gin & Tonic Bar", eine Tränke, die ganz dieser Spirituose geweiht ist - und deren Start der Alkoholkonzern Diageo finanzierte. Die großen Produzenten versuchen, ihre Gins mit aufwendigem Marketing als coole und authentische Tropfen mit langer, außergewöhnlicher Historie zu inszenieren.

Diageo-Konkurrent Bacardi gab sich dafür nicht mit einer hippen Bar zufrieden. Das Unternehmen mit Sitz auf den Bermuda-Inseln brauchte für seinen Gin Bombay Sapphire eine neue Destillerie - die errichtete der Schnaps-Multi aber nicht in einem Gewerbegebiet neben der Autobahn, sondern auf einem geschichtsträchtigen Anwesen inmitten der lieblichen grünen Grafschaft Hampshire: am Rande des Städtchens Whitchurch, 100 Kilometer südwestlich von London.

Zu der Brennerei mit Namen Laverstoke Mill gehören Besucherzentrum, Bar und Museum; die Firma eröffnete den Komplex im Oktober mit einer großen Sause. Gin-Fans können dort an Führungen und Cocktail-Seminaren teilnehmen, bisher kamen 20 000 Gäste. Laverstoke Mill, die Mühle am Fluss namens Test, besteht aus einer Ansammlung flacher Fabrikhallen aus rotem Backstein - viktorianische Industrie-Architektur. Zwischen 1718 und 1963 wurde dort Banknoten-Papier hergestellt. Nun beherbergt die Mühle die mächtigen Brennblasen, in denen Gin destilliert wird. Abfüllen lässt Bacardi woanders. In zwei Gewächshäusern, deren hübsch geschwungene Form den Blasen nachempfunden ist, wachsen die zehn Pflanzen, die diesem Gin seinen Geschmack geben.

Mit Laverstoke Mill habe Bombay Sapphire nun eine Heimat, sagt Valerie Brass, die bei Bacardi für die Gin-Marke zuständig ist: Hier könne die Qualität und das reiche Erbe von Bombay Sapphire gut präsentiert werden. Das mit dem Erbe ist allerdings so eine Sache. Zwar ist auf den Flaschen prominent zu lesen, dass der Schnaps auf einem Rezept von 1761 beruht - tatsächlich wurde die Marke jedoch erst 1987 eingeführt. Wo Historie fehlt, muss sie eben inszeniert werden.

Fever-Tree aus London brachte sein Tonicwater 2005 auf den Markt. Es ist viel teurer als etwa Schweppes-Produkte, doch das Geschäft wächst rasant. (Foto: privat)

Fever-Tree-Gründer Warrillow kann es nur recht sein, wenn Spirituosenkonzerne die teureren Gins aufwendig bewerben. Tonicwater, das natürliche Streckmittel für Gin, macht immer noch fast die Hälfte seines Umsatzes aus. Die bittere Limonade, deren Chinin die Plantage im Kongo liefert, war 2005 die erste Brause des Londoner Start-ups. Inzwischen verkauft die hochprofitable Firma, die im November an die Börse ging, in 50 Ländern zwölf Getränkesorten, darunter auch Ingwerbier, Ginger Ale und Bitter Lemon.

Fever-Tree - englisch für Fieberbaum, ein anderer Ausdruck für den Chinarindenbaum - kommt dabei mit weniger als 30 Beschäftigten aus. Abfüllen, Vertrieb und Transport erledigen Subunternehmer. In zwei Fabriken wird abgefüllt, in England und in Rheinland-Pfalz. Warrillow schätzt, dass nur gut zwei Prozent des Weltmarktes für Mischgetränke wie Tonicwater auf extra-teure Marken entfallen. Aber in diesem Premiumsegment wiederum sei Fever-Tree mit 50 Prozent Anteil die Nummer eins, sagt der Vorstandschef. Wobei es in vielen Ländern starke lokale Rivalen gibt, in Deutschland etwa Thomas Henry. Das ist ein Berliner Limonaden-Hersteller, der 2010 gegründet wurde.

Die Idee zu Fever-Tree kam Warrillow und seinem Mitgründer Charles Rolls schon 2003. Rolls war früher Chef der Gin-Marke Plymouth gewesen und hatte bemerkt, dass für die ganzen teuren Gins, die so im Trend liegen, angemessen distinguierte und hochwertige Mixer fehlten. Eine Marktlücke. Rolls überzeugte Warrillow von dem Projekt; der hatte sich zuvor um das Marketing von Luxus-Lebensmitteln gekümmert. Finanzinvestoren stellten Startkapital bereit.

Weil das Duo keine künstlichen Aromen verwenden wollte, reiste es um die Welt und besuchte Plantagen, die natürliche Inhaltsstoffe liefern sollten. Rolls hatte sich 20 Jahre vorher bei einer Kongo-Visite Malaria eingefangen - daher war es nun an Warrillow, in den Krisenstaat zu fliegen und Gewehrläufe auf sich richten zu lassen. Doch ein bisschen Risiko gehört eben zum Unternehmerdasein dazu.

© SZ vom 28.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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