Linde:Ein Mann ist auf Kollisionskurs

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DerLinde-Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle hält an seinem Plan fest, mit dem US-Konkurrenten Praxair zu fusionieren. Die Arbeitnehmer protestieren.

Von Karl-Heinz Büschemann, München

Manchmal ist sogar ein Vorstandsvorsitzender machtlos: Aldo Belloni, Chef des Münchner Gasekonzerns Linde, hatte noch Anfang März gesagt, er wolle sich nicht gegen seine Arbeitnehmervertreter stellen. Er werde die geplante Fusion mit dem US-Konkurrenten Praxair, die bei den Linde-Mitarbeitern so umstritten ist, nicht gegen deren Willen durchboxen. "Nein", hat er gesagt: "Das wäre schlecht."

Belloni kann sich darauf einstellen, dass dieses Wort nicht viel wert ist.

Der Italiener an der Linde-Spitze hatte aber den Ton getroffen, wie er in deutschen Unternehmen üblich ist. Wichtige Entscheidungen werden hierzulande in der Regel nicht gegen die Arbeitnehmer im Aufsichtsrat durchgepeitscht. Es gilt in Deutschland die ungeschriebene Regel, dass auch Fusionspläne im Einvernehmen mit den Arbeitnehmervertretern beschlossen werden. Die Sorge vor sozialem Unfrieden und Protesten im Hause ist zu groß.

Doch bei der 60 Milliarden Euro-Fusion von Linde mit Praxair soll es anders kommen. Der Aufsichtsratsvorsitzende Wolfgang Reitzle, der selbst von 2003 bis 2014 Vorstandschef war, plant den Schritt über den Atlantik so, als wäre er noch immer der Vorstandschef. Und er ist entschlossen, den Deal durchzuboxen. Er will einen neuen Weltmarktführer für Industriegase schaffen und gemeinsam mit den Amerikanern eine Milliarde Dollar Kosten sparen. Reitzle hatte es seinem Nachfolger Wolfgang Büchele übel genommen, dass unter dessen Führung die Spitzenposition von Linde in der Welt verloren ging.

Die Mitarbeiter stört, dass die Zentrale des neuen Konzerns in den USA liegen soll

Wird er die entscheidende Doppel-Stimme des Aufsichtsratschefs im paritätisch besetzten Kontrollgremium ziehen? "Ja, ich werde das tun", sagte Reitzle der Financial Times. Der Stratege Reitzle ist entschlossen, auf Kurs zu bleiben, auch wenn er die Arbeitnehmerseite übergehen muss.

Im vergangenen Sommer schien die Sache schon erledigt. Reitzle war mit seinem Fusionsplan zunächst gescheitert. Die amerikanischen Gesprächspartner, die an das deutsche Modell der Mitbestimmung und die Macht der Gewerkschaften nicht gewöhnt sind, hatten plötzlich Bedenken gegen den Zusammenschluss und die Gespräche beendet. Auch im Linde-Vorstand hatte es Widerstand gegeben. Linde stürzte in eine Krise. Vorstandschef Büchele musste gehen, ebenfalls der widerspenstige Finanzvorstand Georg Denoke.

Weltweit aktiv: eine Linde-Anlage zu Erdgasverflüssigung in der Nähe von Hammerfest im Norden von Norwegen, 800 km nördlich des Polarkreises. (Foto: Linde AG)

Nun der zweite Anlauf: Bei den Linde-Beschäftigten sorgt für Unmut, dass die Zentrale des neuen Unternehmens, das den Namen Linde behalten wird, in den USA liegen wird. Vorstandsvorsitzender soll der bisherige Praxair-Chef Steve Angel werden, der keinen Zweifel daran lässt, dass der neue Konzern nach amerikanischen Prinzipien geführt wird.

Reitzle setzte mit Belloni einen langjährigen Linde-Vorstand an die Spitze des Unternehmens, der schon vor zwei Jahren in Pension gegangen war, den er aber als loyalen Manager schätzte. Belloni, den Arbeitnehmervertreter als "Reitzles Soldaten" titulieren, tut brav, was der Aufsichtsratschef von ihm verlangt: Die Fusion über die Bühne zu bringen. Bis zur Hauptversammlung am 10. Mai sollen die Gespräche abgeschlossen wein. Für Reitzle brächte der transatlantische Konzern eine interessante Führungsposition. Der 68-jährige, der sich zu jung fühlt für das Rentnerdasein, würde den Posten des Präsidenten einnehmen. Der hat sogar mehr Kompetenzen als ein deutscher Aufsichtsratsvorsitzender, und ist auch viel besser bezahlt. Wie hoch das Salär des künftigen Linde-Präsidenten sein wird, ist noch unbekannt.

Doch zuletzt wuchs der Widerstand der Arbeitnehmer. Die hatten im Herbst die Sache bereits verloren gegeben und sich damit abgefunden, dass der Deal nicht zu verhindern wäre. Doch dann kam den Arbeitnehmern die Finanzaufsicht Bafin zu Hilfe. Die Kontrollbehörde hat Ermittlungen gegen Reitzle eingeleitet wegen des Verdachts des Insiderhandels. Reitzle, so der Verdacht, soll kurz vor der Ankündigung des Fusionsplanes Linde-Aktien gekauft haben, die nach Bekanntwerden der Pläne nach oben gegangen sind. Sollte Reitzle über diese Vorwürfe stürzen, wäre in ihren Augen der letzte Wahrer deutscher Interessen bei Linde nicht mehr da, sagen die Arbeitnehmervertreter.

Inzwischen sind die Gewerkschaften nicht mehr zu stoppen. Linde-Aufsichtsrat und Betriebsrat Gernot Hahl warnt vor den Folgen der Fusion. "Die meisten Beschäftigten haben Angst um Ihre Arbeitsplätze". Er sei "ziemlich sicher, dass die Arbeitnehmer im Aufsichtsrat komplett dagegen stimmen" werden. Auch der Europäische Betriebsrat kündigt Widerstand an. Selbst die Politik fühlt sich aufgerufen, sich zu Praxair zu melden. Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) forderte von der Kapitalseite, "dass nicht gegen die Arbeitnehmerschaft entschieden wird."

Reitzles Plan wird zum Politikum, nicht zuletzt weil seine betriebswirtschaftlichen Begründungen für die Fusion schwach wirken. Ein wesentliches Argument ist, dass ein Unternehmen, das an der New Yorker Börse notiert ist, höher bewertet wird als in Deutschland. Bisher ist Linde nur in Frankfurt notiert. "Wir tragen das Ding in die Öffentlichkeit", sagt ein Arbeitnehmervertreter über den Widerstand. Es gebe keinen Grund für diesen Zusammenschluss: "Linde braucht Praxair nicht."

Auch Reitzle hat ein Druckmittel. Kurz vor Weihnachten hatte Linde mit der Belegschaft einen Plan zur Beschäftigungssicherung ausgearbeitet. Bis 2021 soll es in Deutschland bei den 8000 Mitarbeitern keine betriebsbedingten Kündigungen geben. Diese Garantie gelte aber nur, wenn die Fusion zustande kommt.

Die Fronten sind völlig verhärtet. Es gibt im Moment keine Gespräche zwischen den Parteien, die in einem Unternehmen arbeiten. "Beide Seiten graben sich ein", sagt ein Arbeitnehmervertreter.

© SZ vom 04.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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