Linde:Abschied zweiter Klasse

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"Unter Wert verschachert": Linde-Aktionäre üben scharfe Kritik an Chefaufseher Wolfgang Reitzle und der geplanten Fusion mit Praxair. Scheitert der ohnehin holprig verlaufende Zusammenschluss am Ende doch noch?

Von Caspar Busse, München

Wolfgang Reitzle, 69, ist an diesem Donnerstag als erster auf der Bühne. Er testet das Mikrofon, ordnet seine Unterlagen, läuft hin und her. Er hat schon viele Hauptversammlungen durchgestanden, aber diese hier ist doch etwas Besonderes für den Chefaufseher von Linde, den Multi-Aufsichtsrat, der früher auch schon für BMW und Ford gearbeitet hatte. Denn es ist das voraussichtlich letzte reguläre Aktionärstreffen bei dem Münchner Traditionsunternehmen. Wenn alles nach Plan läuft, kommt im Oktober der Zusammenschluss mit dem US-Konkurrenten Praxair zum dann international größten Anbieter von Industriegasen. Dann soll die bisherige Linde AG aus München schnell verschwinden, die letzten verbliebenen Aktionäre sollen zuvor zwangsweise abgefunden werden (also ein "squeeze-out").

"Das ist hier leider unsere Abschiedsveranstaltung", sagte Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Gegründet wurde die Firma schon 1879 als "Gesellschaft für Linde's Eismaschinen AG"; sie wuchs schnell, wurde bald ein internationaler Konzern und ist seit dessen Gründung Mitglied im Deutschen Aktienindex (Dax). Linde mit heute 58 000 Mitarbeitern hat einst die Kältemaschine erfunden und ist eine der deutschen Vorzeigefirmen. Künftig soll der fusionierte Konzern zwar den Namen "Linde" tragen, aber die Hauptverwaltung wird in den USA sein, Chef wird der Amerikaner Steve Angel, der offizielle Sitz in Dublin angesiedelt.

Die Aktionäre sparten nicht mit Kritik an den Plänen. "Sie haben Linde unter Wert verschachert", sagte Bergdolt unter großem Applaus an die Adresse von Reitzle. Der Zusammenschluss sei ohne Rücksicht und "mit der Brechstange" durchgedrückt worden. Praxair sei vor der Fusion "im Beauty-Salon" gewesen und habe sich anders als Linde schön gemacht. Deshalb seien die Amerikaner bei der Fusion zu hoch bewertet worden. Eigentlich hätte Linde das übernehmende Unternehmen sein müssen. Die Aktionäre hätten zudem zuvor befragt werden müssen, so Bergdolt: "Der Zusammenschluss ist nicht regelkonform." Ingo Speich von der Fondsgesellschaft Union Investment kritisierte, dass das Unternehmen künftig anderen Regeln der Unternehmensführung unterliege. Nach irischen Recht seien etwa keine Arbeitnehmer im Verwaltungsrat vertreten. Reitzle als künftiger Chef des Boards könne stärker ins Geschäft eingreifen.

Bei der Wahl zum Aufsichtsrat erzielte Reitzle dann mit 16,2 Prozent Gegenstimmen das schlechteste Ergebnis. Linde-Chef Aldo Belloni und Reitzle verteidigten die Fusion, diese sei "ideal" und würde Wert für alle Beteiligten schaffen. Es "wächst zusammen, was zusammengehört", sagte Belloni. Gemeinsam seien die Unternehmen stark genug, um profitabel zu wachsen. Die neue Linde solle auch im Dax bleiben. Bis zum 24. Oktober müssen nun alle Freigaben von Kartellbehörden vorliegen, ansonsten scheitert der Plan. Zudem müssen Linde und Praxair Geschäfte abgeben; das Interesse daran sei groß, Gespräche gebe es, sagte Belloni. Der Zusammenschluss läuft schon lange holprig, die Arbeitnehmer protestierten zunächst, es gab Verstimmungen zwischen dem Management beider Unternehmen. Zwischendurch setzte die EU-Kommission die Kartellprüfung aus, weil Unterlagen fehlten, was angeblich an Praxair lag.

© SZ vom 04.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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