Lieferdienste:Essen auf Rädern

Food Couriers In Berlin

Seit einigen Tagen nicht mehr zu sehen: Radelkuriere mit Deliveroo-Rucksäcken.

(Foto: Michele Tantussi/Getty Images)

Der Fahrdienst Deliveroo hinterlässt viele arbeitslose Auslieferer. Konkurrent Lieferando wird weiterhin wegen der Arbeitsbedingungen kritisiert. Ein junger Gründer will den Markt jetzt sozialer machen.

Von Mauritius Kloft und Sven Lüüs, Berlin/München

Leider kann Mike Milovanovic nicht gut malen, wie er selbst sagt. "Sonst könnte ich meinen Deliveroo-Rucksack anmalen und weiter mit ihm ausliefern", scherzt er. Der Mann aus Kelsterbach bei Frankfurt am Main hat noch einen solchen Rucksack zuhause. Vor etwa einer Woche verkündete Deliveroo, seinen Lieferdienst nicht mehr in Deutschland anzubieten.

Der Rucksack ist Milovanovics geringstes Problem. Der 27-Jährige hat einen einjährigen Sohn und eine fünfjährige Tochter. Er arbeitet zwar in Vollzeit als Koch, braucht aber mehr Geld, damit seine Familie gut leben kann, sagt er. Etwa 500 bis 600 Euro im Monat hat er sich bei Deliveroo dazuverdient.

Ein Start-up will kein Geld von den Fahrern - und sich durch Werbung finanzieren

Der Wachstumsmarkt der Lieferdienste ist in Bewegung. Lieferando will sich die Marktanteile von Deliveroo aneignen. Aber einige Deliveroo-Fahrer wollen nicht für Lieferando arbeiten. Das ermöglicht soziale Ansätze in einem Markt, der nicht gerade für gute Arbeitsbedingungen bekannt ist. Ein solcher Ansatz ist etwa die Plattform Radkurier24. Martin Hawel hat sie entwickelt. Als "CEO" möchte er sich nicht bezeichnen, das klinge ihm "zu kapitalistisch". Seine Plattform soll Fahrern einen Job bieten, ohne diese auszubeuten. Die Fahrer loggen sich dort ein, wenn sie zeigen wollen, dass sie Zeit haben, Dinge auszuliefern. Dann werden sie als Punkte auf einer Karte angezeigt: Wenn sie verfügbar sind, in grün, wenn sie gerade einen anderen Auftrag ausliefern, in rot. Hawels Kunden sollen Restaurants, aber auch andere Gewerbe sein, die etwas ausliefern möchten und dafür Fahrer brauchen.

Auch der ehemalige Deliveroo-Fahrer Milovanovic will seine Aufträge bald über die Plattform von Hawel bekommen. Für Lieferando zu arbeiten, kommt für ihn nicht in Frage. Er kann nur als Selbstständiger nach Feierabend fahren, wie er es bei Deliveroo getan hat. Für eine Festanstellung, wie sie bei Lieferando vorgesehen ist, fehlt ihm die Zeit.

Neben Milovanovic wollten auch andere ehemalige Deliveroo-Fahrer ihre Aufträge mit Hawels Plattform bekommen, sagt der Gründer. Anders als Deliveroo und Lieferando verlangt Hawel von den Fahrern kein Geld. Bei Deliveroo oder Lieferando fließt ein Teil von dem, was Kunden für das Liefern zahlen, an die jeweilige Plattform. Hawel hingegen will seine Arbeit mit Werbung finanzieren. Dazu müsse die Plattform aber viele Nutzer haben. In zwei Wochen soll eine App verfügbar sein, die das koordiniert. "Ich verdiene noch kein Geld damit, das ist riskant", sagt der 32-jährige Gründer.

Aber er ist sich sicher: "Auf lange Sicht werden wir ein großer Player im Markt". Immerhin hat Hawel seinen Vollzeitjob in einer Behörde gekündigt, wohnt jetzt in einer Wohnung im Haus seiner Eltern im Allgäu und spart dadurch Geld. Er arbeite oft zwölf bis 15 Stunden täglich an dem Portal: "Ich fahre dieses Jahr nicht in den Urlaub und habe mein Geld stattdessen in das Portal gesteckt", erzählt er. Fahrradkurier Milovanovic weiß, dass Hawels Erfolg oder Misserfolg darüber entscheidet, ob er in Zukunft genug Geld für seine Kinder haben wird.

Lieferando sieht Start-ups wie Radkurier24 nicht als Konkurrenz. Der Markt wachse und sei groß genug, heißt es in einer Mitteilung. 750 ehemalige Deliveroo-Fahrer hätten schon bei Lieferando angeheuert, sagt ein Firmensprecher.

Dennoch gibt es unzufriedene Mitarbeiter. Ungefähr 50 Fahrerinnen und Fahrer forderten am Donnerstag und Freitag, alle Lieferando-Fahrer zu entfristen. Einige verlangen auch mehr Geld.

Vor der Lieferando-Zentrale bliesen die Demonstranten in Trillerpfeifen und schwenkten Fahnen der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten, kurz NGG. Viele trugen ihre Arbeitskleidung: T-Shirts, Jacken und Helme. Pink oder orange, Foodora oder Lieferando. Foodora gehört mittlerweile zu Lieferando.

Die Mitarbeiter der Lieferando-Zentrale traten aus ihren Büros in den oberen Etagen heraus auf die Balkone. Manche hielten die Kameralinsen ihrer Smartphones auf die Demonstranten. "Jetzt lassen die eine Gesichtserkennung über die Bilder laufen und schicken direkt eine Abmahnung raus", scherzte ein Demonstrant. So erwarte er das "bei diesem Unternehmen".

Lieferando ignorierte die Demonstranten erst, will jetzt aber verhandeln

Lieferando gilt in der Branche der Essenslieferdienste als fast alternativlos. In den vergangenen Monaten haben sich die Märkte sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland konzentriert, in den beiden Ländern gibt es nur noch einen großen Lieferdienst. So lange bleibt den Angestellten nur, von der Straße aus nach oben auf die Balkone zu rufen und zu hoffen, dass Lieferando sie hört. Gegen Ende der Demo trat ein Foodora-Fahrer an das Mikrofon "Ich bitte darum, dass die Geschäftsleitung herunterkommt und mit uns spricht. Wir wollen ja auch nur das Beste für die Firma," sagt er.

Lieferando teilt auf SZ-Anfrage mit, dass diejenigen, die neu eingestellt würden, unbefristete Verträge bekämen. Außerdem zahle das Unternehmen den Fahrern mehr als den Mindestlohn. "Wir sind der Meinung, dass wir gute Arbeitsbedingungen bieten".

Zu den Demonstranten kam von Lieferando niemand. Um ihre Forderungen zu untermauern, drehten sie die Musik laut auf - ein satirisches Lied über Ausbeutung. Zuletzt kamen noch zwei Lieferando-Vertreter auf die Straße. In einigen Wochen solle es Gespräche geben. Bis dahin werden sich wohl viele Auslieferer noch gedulden müssen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: